Zwar hätten verschiedene Studien in der Vergangenheit gezeigt, dass bei suizidalen Schussverletzungen bestimmte Einschusslokalisationen besonders häufig vorkommen, erläuterte Dr. Svenja Binder vom Institut für Rechtsmedizin in Köln auf dem diesjährigen Rechtsmedizin-Kongress. Doch immer wieder seien in der Literatur auch ungewöhnliche Selbsterschießungen beschrieben, die vom klassischen Muster abweichen. So auch die drei Fälle, die die Referentin exemplarisch vorstellte.

Fall 1: Mord an Motorrad-Rocker war Suizid

Ein 49-jähriger Mann aus dem Rockermilieu wurde leblos am Straßenrand neben seiner Harley Davidson aufgefunden. In unmittelbarer Nähe wurde ein Revolver sichergestellt. Zunächst wies alles auf eine Tötung hin. Die Obduktion erbrachte eine Durchschussverletzung — die Eintrittsstelle befand sich am Rücken, die Austrittsstelle an der Körpervorderseite.

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Ungewöhnliche Schussverläufe müssen nicht immer fremdgeschuldet sein.

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Trotz dieses für einen Suizid untypischen Schussverlaufes verdichteten sich im Zuge der Ermittlungen die Hinweise, dass es sich um eine Selbsttötung handelte: Die Tatwaffe gehörte dem Verstorbenen, an den Händen wurden Schmauchspuren festgestellt und Rekonstruktionen zeigten, dass es durchaus möglich war, sich eine solche Schussverletzung selbst zuzufügen. Die Zusammenschau dieser Ergebnisse führte die Ermittler zu dem Schluss, dass es sich um einen als Tötung getarnten Selbstmord handelte (wir berichteten).

Fall 2: Gemeinsam in den Tod

Ein 44-jähriger Mann und seine 24-jährige Freundin wurden von einem Mitbewohner leblos im Bett aufgefunden. Der männliche Leichnam lag unter dem weiblichen — mit dem Gesicht waren sie einander zugewandt. Der Verstorbene wies starke Schmauchspuren an den Händen auf. Ein Revolver befand sich ebenfalls im Bett.

Die Obduktion der Frau erbrachte einen Einschuss am Rücken und einen Ausschuss direkt in der Mitte des Brustkorbs. Wirbelsäule und Brustbein waren durchschossen, die junge Frau starb an einem Blutvolumenmangelschock aufgrund ihrer inneren Verletzungen. Der männliche Leichnam wies hingegen einen Einschuss an der Körpervorderseite auf. An seiner Wirbelsäule wurde ein stark verformtes Projektil entdeckt, eine Austrittsstelle gab es nicht. In der Zusammenschau aller Befunde erhärtete sich der Verdacht, dass nur ein — für beide tödlicher — Schuss abgegeben wurde, abgefeuert vom männlichen Verstorbenen. Ob dieser mit oder ohne Einverständnis seiner Freundin handelte, blieb ungeklärt.

Fall 3: Streifschuss oder Stichverletzung?

Ein 84-jähriger Mann wurde schwer verletzt und bewusstlos mit Halsdurchschuss am Schreibtisch aufgefunden, daneben ein Revolver. Die rechtsmedizinische Untersuchung ergab eine Einschussstelle am Nacken des Mannes mit Austritt des Projektils am linken Hals. Der Mann überlebte schwer verletzt, ist aber seit dem Vorfall nicht ansprechbar, so dass er zum Tathergang keine Aussage mehr treffen kann.

Die Rechtsmediziner erhoben zusätzlich zu der Schussverletzung einen weiteren Befund: An der linken Brustkorbaußenseite fanden sie eine Verletzung, die sie am ehesten als Stichwunde einordnen würden. Da aber keine scharfe Waffe zur Erklärung gefunden wurde, klassifizierte die Polizei diese Verletzung als Streifschuss, entstanden durch Ablenkung des Projektils, das für den Halsdurchschuss verantwortlich war. Zwar hielten die Rechtsmediziner eine solche Flugbahn des Projektils für hochgradig unwahrscheinlich, doch es wurde in diesem Fall nicht weiter ermittelt. Eine Abschieds-SMS ließ einen versuchten Suizid zudem als sehr wahrscheinlich erscheinen. Das Rätsel um die Ursache der stichwundenartigen Verletzung am Brustkorb blieb ungelöst.

„Suizide mit untypischen Befunden werden immer wieder beobachtet“ — so das Fazit der Referentin. Ein Suizid sollte daher nicht vorschnell ausgeschlossen werden, auch bei ungewöhnlichen Schussverläufen.