Ein wichtiges Ziel bei der Versorgung von Patienten mit diabetischem Fußsyndrom (DFS) ist es, die Amputationsraten zu senken. Was bei der Erstversorgung der Betroffenen mit DFS beachtet werden muss, hat Dr. Jürgen Raabe, Birkenwerder in der Zeitschrift „Der Diabetologe“ aus dem Blickwinkel eines Fußzentrums zusammengefasst.

Um das Therapiekonzept im Verlauf regelmäßig überprüfen zu können, empfiehlt der Diabetologe eine Checkliste zu den Themenbereichen Wunde, Weichteilinfektion, Knocheninfektion, Perfusion, Begleiterkrankungen und Ruhigstellung.

Wie ist das Wundbild?

Bei der Untersuchung des Ulkus werden zunächst beide Füße betrachtet, da bei Diabetes, peripherer Neuropathie und peripherer arterieller Verschlusskrankheit (PAVK) mit weiteren Ulzerationen auch am anderen Fuß gerechnet werden muss. Vorwiegend treten diese im Bereich der Zehenspitzen, der Metatarsalköpfchen sowie an Knochenvorsprüngen auf. Aber auch die Zehenseiten sowie die Interdigitalräume müssen inspiziert werden.

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Sondierung einer plantaren Ulzeration.

Nachdem die Beläge und die den Rand überragenden Hyperkeratosen entfernt wurden, wird die Ulkusgröße bestimmt. Dazu werden die längste Ausdehnung und im rechten Winkel dazu die Breite gemessen. Ein angelegtes Maßband ermöglicht bei der Fotodokumentation größtmögliche Objektivität. Zur Prüfung der Ulkustiefe wird eine Sonde eingeführt (s. Abb), mit der auch gezielt nach fistelartigen Gängen an der Plantarseite entlang der Beugesehnen gesucht werden muss. Insbesondere wenn streifen- oder keilförmige Rötungen auf der Fußsohle sichtbar sind, muss sorgfältig nach Hohlräumen gefahndet werden. Zu beurteilen sind außerdem die Wundränder. Furchen mit hyperkeratotischem Rand etwa sind Zeichen einer Wundheilungsstörung und ungenügender Druckentlastung.

In welchem Stadium befindet sich die Wunde?

Für die Verlaufskontrolle werden die einzelnen Stadien am besten per Foto dokumentiert.

Eine gerötete Wundumgebung gilt als Zeichen einer Weichteilinfektion. Markiert man die Rötung mit einem Stift, kann dies als Verlaufsparameter während einer antiinfektiösen Therapie genutzt werden. Hautrötungen können auch Hinweise auf Gewebsnekrosen sein. Mit einer Sonde sollte überprüft werden, ob die entsprechenden Areale unterminiert sind. Trifft die Sonde auf einen Knochen, kann man von einer Osteomyelitis ausgehen. Da eine Röntgenkontrolle oft erst nach Wochen Osteolysen anzeigt, ist die Sondenuntersuchung bei der Erstversorgung besonders wichtig.

Die Klassifikation der Wunde erfolgt schließlich nach Wagner und Armstrong und erlaubt eine Einschätzung des Amputationsrisikos. Dabei wird die Wundsituation nach Wagner in die Klassen 0 bis 5 eingeteilt. Während in Gruppe 0 keine Läsionen und ggf. Fußdeformationen oder Zellulitis vorliegen, finden sich in Klasse 1 bereits oberflächliche Ulzerationen, in Klasse 2 ein tiefes Ulkus bis zu Gelenkkapsel, Sehnen oder Knochen. Klasse 3 ist gekennzeichnet durch zusätzliche Abszendierung, Osteomyelitis und Infektionen der Gelenkkapsel, in Klasse 4 besteht eine begrenzte Nekrose im Vorfuß- oder Fersenbereich und in Klasse 5 ist diese über den gesamten Fuß ausgeweitet.

Berührungssensibilität und Durchblutung

Eine häufige Ursache von Ulzerationen ist die Neuropathie der Diabetiker. 80% von ihnen können Druck nur deutlich eingeschränkt wahrnehmen. Die Patientencompliance im Hinblick auf Schutzmaßnahmen ist dennoch häufig schlecht. Zudem leidet etwa jeder zweite DFS-Patient an einer PAVK. Sie kann im Zweifelsfall über die Angiografie abgeklärt werden. Wegen der erhöhten Infektneigung und schlechteren Heilungstendenz bei Patienten mit neuropathisch-vaskulärem DFS ist die Revaskularisation notwendige Voraussetzung für die Abheilung des Ulkus.

Um eine Neuropathie zu überprüfen, werden Vibrations- und Druckwahrnehmung gemessen. 80% der Patienten mit DFS erreichen die in der Nationale VersorgungsLeitlinie „Neuropathie des Diabetes im Erwachsenenalter“ vorgegebenen Schwellenwerte nicht. Sensible Symptome sollen der NVL „Neuropathie“ zufolge mit dem Neuropathie-Defizit-Score bewertet werden. Zudem sind Hinweise auf eine autonome Neuropathie zu beachten. Versorgt mindestens eine Arterie den Fuß ohne relevante Strömungsbehinderung, kann man von dessen ausreichender arterieller Durchblutung ausgehen.

Vorbereitende Sanierung des Wundbettes

Zur Wundreinigung werden abgestorbene Gewebeanteile möglichst beseitigt. Trockene Nekrosen können meist von den mit einem Skalpell gelösten Rändern her entfernt werden. Bestehen tiefe Wundhöhlen und Fistelgänge, kann mit einem scharfen Löffel kürretiert werden. Um den Abfluss des eitrigen Wundsekrets zu gewährleisten, ist eine Gegeninzision am tiefsten Pol solcher Gänge hilfreich. Bei gangränösen Infektionen müssen solche Prozeduren mehrmals täglich stattfinden. Je nachdem, ob eine Neuropathie mit gleichzeitiger Durchblutungsstörung und ausgeprägter Hyperpathie oder ausschließlich eine Neuropathie vorliegen, ist hierbei eine Anästhesie erforderlich oder nicht. Das Wunddébridement ist wichtig für die Wirksamkeit der weiteren Behandlungsmaßnahmen.

Im Anschluss an das Débridement wird standardmäßig ein tiefer Abstrich zur mikrobiologischen Diagnostik durchgeführt. Bei Verdacht auf eine Osteomyelitis kann eine Knochenbiopsie das Keimspektrum im Knochen aufdecken.

Therapeutische Maßnahmen

Die Lokalbehandlung muss der jeweiligen Wundsituation angepasst werden. Weist die gereinigte Wunde keine Infektionszeichen auf, ist eine feuchte Wundbehandlung indiziert. Entscheidend für die Auswahl der Wundauflage ist dabei die Sekretionsstärke. Bei bradytrophem Gewebe und geringer Wundsekretion sind Hydrokolloidverbände geeignet, da sie im Vergleich zum Polyurethanschaum weniger Sekret binden und die Wunde feuchter halten. Befindet sich die Wunde dagegen in einem frühen Stadium und besteht ein Umgebungsödem, ist mit reichlich Sekret zu rechnen, und es sollten Alginat- und Polyurethanschaumauflagen gewählt werden.

Ist die Wunde infiziert, muss zum Débridement ein Antiseptikum appliziert werden. Zudem soll bei deutlichen Zeichen einer Infektion wie Rötung, Ödem und eitrigem Sekret sofort, ohne den mikrobiologischen Befund abzuwarten, eine Lokaltherapie mit einem Antibiotikum begonnen werden, so Raabe.

Als Therapeutika stehen hier Cephalexin und Clindamycin an erster Stelle. Bei schweren Infektionen wird häufig gleich zu Beginn eine Kombination von Amoxicillin/Clavulansäure oder Clindamycin mit Ciprofloxacin eingesetzt. Bestehen systemische Infektzeichen, kann eine parenterale Therapie erforderlich sein.

Wesentlich für die Wundheilung ist zudem eine ausreichende Druckentlastung. Sie ist beispielsweise möglich durch Orthesen mit Weichpolsterauflage, Gipstechnik, therapeutische Schuhe oder das Benutzen von Gehstützen bzw. Rollstuhl.