Was ist die beste Therapiestrategie für Patienten mit und nach einer Hirnblutung? Angesichts der immer noch sehr hohen Mortalität bei hämorrhagischen Infarkten wird darüber viel diskutiert, vor allem auch aufgrund der steigenden Zahl von Patienten, die mit oralen Antikoagulanzien behandelt werden. Sie dürfte dazu führen, dass auch die Zahl der Patienten mit Hirnblutungen weiter zunimmt.

Klar ist immerhin, dass eine systolische Blutdrucksenkung unter 180 mmHg von Vorteil ist; eine aktuelle Auswertung der Studie INTERACT II deutete zumindest indirekt darauf, dass ein systolisches Optimum bei 130 mmHg liegen könnte. Auch die Therapie mit Antidots, soweit verfügbar, steht außer Frage, um bei einer Antikoagulanzien-Behandlung die Folgen der Blutung zu mindern.

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Nach einem hämorrhagischen Infarkt sollten Patienten weiterhin Antikoagulanzien bekommen.

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Doch wie stark ist die Blutgerinnung wieder herzustellen? Und was folgt nach der Behandlung? Müssen die Patienten weiterhin Blutverdünner bekommen oder nicht? Drei Viertel der Ärzte sind offenkundig der Ansicht, eine Hirnblutung genüge, das Risiko einer weiteren wollen sie nicht eingehen — und verzichten fortan auf eine orale Antikoagulation.

INR-Werte unter 1,3 bei Akuttherapie von Vorteil

Eine neue, groß angelegte deutsche Untersuchung könnte diese Praxis nun ändern: „Wir wissen jetzt nicht nur, dass wir während einer Hirnblutung die Wirkung dieser Arzneien möglichst vollständig neutralisieren müssen, sondern auch, dass diese Medikamente in der Langzeittherapie vor neuen Schlaganfällen schützen, ohne das Risiko einer neuen Hirnblutung zu erhöhen“, so Prof. Dr. Joachim Röther, Asklepios Klinik Altona in einer Mitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG).

Wird jemand mit oralen Antikoagulanzien behandelt, dann sollte er diese nach einem überstandenen hämorrhagischen Infarkt weiterhin bekommen, so die klare Botschaft. Zu den Schlussfolgerungen kommen Neurologen um Dr. Joji Kuramatsu, nachdem sie mehr als 1170 Patienten untersucht haben, bei denen sich unter Vitamin-K-Antagonisten (VKA) Hirnblutungen ereignet hatten.

Hämatomexpansion bei 36%

Alle Patienten wurden in den Jahren 2006 bis 2010 in die Klinken eingeliefert. Im ersten Teil der Studie hatten sich die Ärzte aus 19 Zentren in Deutschland primär der Akutbehandlung solcher Infarktpatienten gewidmet. So schauten sie sich zum einen an, wie häufig und wie ausgeprägt es zu einer Hämatomexpansion kam. Eine solche beobachteten sie bei 36% der untersuchten Patienten, dabei vergrößerte sich das Hämatom im Median um 14 ml. Der INR-Wert bei der Klinikeinweisung war dafür jedoch wenig aussagekräftig: Zur Expansion kam es bei relativ hohen und niedrigen Werten ähnlich häufig. Die Art der Antidots hatte ebenfalls kaum einen Einfluss auf die Häufigkeit einer Expansion, entscheidend dafür war eher, wie schnell die Ärzte den Blutdruck und den INR-Wert senken konnten und welche Werte sie nach etwa vier Stunden erreicht hatten.

Wurden vier Stunden nach der Klinikeinweisung INR-Werte unter 1,3 erreicht, kam es nur bei knapp 20% dieser Patienten zur Expansion des Hämatoms, dagegen geschah dies bei einem mehr als doppelt so hohen Anteil (41%) von Patienten mit Werten über 1,3. Ließ sich der systolische Blutdruck im selben Zeitraum auf Werte unter 160 mmHg senken, lag die Rate bei 33%, blieb er darüber, dann kam es bei 52% zur Expansion der Blutung. Noch größer war der Nutzen, wenn die Ärzte sowohl eine entsprechende INR- als auch Blutdrucksenkung erreichten, dann expandierte das Hämatom nur noch bei 18%, dagegen bei 44% aller übrigen Patienten.

Der Erfolg einer INR- und Blutdrucksenkung übersetzte sich auch in einen Vorteil bei der Sterberate: Von den Patienten mit einer INR unter 1,3 und einem systolischen Blutdruck unter 160 mmHg nach vier Stunden starben 13,5% noch in der Klink, bei den übrigen Patienten waren es hingegen 20,7%. Wurden jedoch alle Patienten berücksichtigt, also auch solche, die die ersten Stunden nicht überlebten, dann ergab sich insgesamt eine Kliniksterberate von 31%.

Ohne Antikoagulation häufiger Ischämien

Nach drei Monaten waren 43% aller Patienten tot, und nach einem Jahr 56%. Knapp 80% der Patienten waren bei der Klinikentlassung tot oder schwer behindert (mRS 4–6).

Von den Patienten, die lebend aus der Klinik entlassen worden waren, hatten nur 24% wieder eine orale Antikoagulation bekommen. Immerhin war der Anteil bei Patienten mit künstlichen Herzklappen deutlich höher (68%). Wie sich zeigte, kam es bei den Patienten ohne orale Antikoagulanzien dreimal häufiger zu ischämischen Ereignissen als bei solchen mit Blutverdünnern (15,0 vs. 5,2%), dagegen waren erneute Blutungen in beiden Gruppen ähnlich häufig zu beobachten (6,6 vs. 8,1%), der Unterschied war hier nicht signifikant.

„Die Wiederaufnahme der Blutverdünnung zeigte einen klaren Schutz vor Schlaganfällen, ohne dass wir in unserer Patientenkohorte gleichzeitig ein vermehrtes Auftreten der gefürchteten Hirnblutung beobachteten“, so Studienleiter Prof. Dr. Hagen Huttner, Erlangen. „Somit ergibt sich ein Netto-Nutzen zugunsten der Wiederaufnahme der Blutverdünnung.“ Da es sich jedoch um eine retrospektive Analyse handelt, und eine Reihe von Störfaktoren nicht ausgeschlossen werden kann, müssen die Ergebnisse nun wohl in größeren randomisierten Studien bestätigt werden.

INTERACT Intensive Blood Pressure Reduction in Acute Cerebral Haemorrhage Trial