Lady Di, Angelina Jolie, Johnny Depp: Die Liste der Prominenten, die sich angeblich selbst verletzt und dies publik gemacht haben, ist lang. Experten verfolgen solche Outings jedoch mit gemischten Gefühlen, da die Gefahr besteht, dass selbstverletzendes Verhalten so hoffähig gemacht wird. „Das hilft dabei, das Thema zu enttabuisieren. Aber wir laufen damit auch Gefahr, dass sich Jugendliche die Prominenten zum Vorbild nehmen“, sagt Christa Limmer, Leiterin der Aktion Kinder- und Jugendschutz Schleswig-Holstein. Wegen einer hohen Dunkelziffer sind auch Expertinnen wie Limmer auf Schätzungen angewiesen: Bundesweit wird von 1,2 Mio. Betroffenen ausgegangen.

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Die meisten betroff enen Jugendlichen wünschen sich mehr Beachtung.

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Oft sind es Mädchen zwischen zwölf und 18 Jahren, die ihren Körper misshandeln. Das Geschlechterverhältnis bei den selbstverletzenden Jugendlichen beträgt fünf zu eins — Mädchen sind deutlich gefährdeter, allerdings mit einer steigenden Tendenz bei den Jungen. Viele, aber längst nicht alle von ihnen sind Opfer sexueller Gewalt. Die Auslöser für selbstverletzendes Verhalten sind nicht immer ersichtlich und müssen von der Umgebung gar nicht als außergewöhnlich eingeschätzt werden. Dies reicht von Liebeskummer über ein Gefühl der Leere, Leistungsversagen, Vernachlässigung bis zu kleinsten Abweichungen beim Erreichen von Zielen.

Erwachsene reagieren oft hilflos

Feststeht: Die meisten Jugendlichen wünschen sich mehr Beachtung, Zeit, Anteilnahme und Anerkennung. Viele Erwachsene reagieren hilflos, wenn sie selbstverletzendes Verhalten beobachten. Die Aktion Kinder- und Jugendschutz hat deshalb gemeinsam mit der Landesvereinigung für Gesundheitsförderung Schleswig-Holstein auf einer Fachtagung in Kiel Pädagogen, Sozialarbeiter, Psychologen und andere Interessierte zusammengebracht und über das Thema unter dem Motto „Bitte hört, was ich nicht sage!“ informiert — allerdings wurden Ärzte dabei schlicht vergessen. Auch ohne Mediziner war das Interesse allerdings so groß, dass die Veranstaltung kurzfristig wiederholt werden musste, rund 500 Fachkräfte kamen insgesamt zu den beiden Veranstaltungen.

Sie erfuhren zum Beispiel, dass die Betroffenen häufig unter unnormal hohen Stimmungsschwankungen und einem katastrophalen Selbstbild leiden, ihnen oftmals ein stabiles soziales Netz fehlt und sie meistens glauben, minderwertig zu sein. Nicht zu unterschätzen ist laut Limmer die Gefahr einer Ansteckung und falsch verstandener Solidarität, wenn Freunde sich selbst verletzen.

Oft droht der Suizid

Um betroffenen Freunden zu helfen, rät Sozialpädagogin Dorothee Michalscheck von der Landesvereinigung für Gesundheitsförderung in Schleswig-Holstein, sich an Lehrer, Beratungsstellen oder Eltern zu wenden: „Das ist kein Verpetzen, sondern Hilfe.“

Manchmal bewahrt diese Hilfe sogar vor schlimmeren Folgen als Verletzungen. Denn zum Teil münden nicht verarbeitete Krisen im Suizid — bei Jugendlichen über 15 Jahren immerhin die zweithäufigste Todesursache. Wie hoch die Zahl der Suizidversuche in Deutschland ist, weiß niemand. Die Aktion Kinder- und Jugendschutz schätzt zehn Versuche auf einen Suizid. Selbstverletzungen sind nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention ein Alarmzeichen für Suizidgefährdung. Daneben nennt die Gesellschaft auch sozialen Rückzug, Gleichgültigkeit, traurige Stimmung, Verzweiflung, Nutzung von Suizidforen, Alkohol- und Drogenmissbrauch und Verwahrlosungstendenzen.

Im Norden sollen Ärzte stärker in den Austausch einbezogen werden. Wer in seiner Praxis eine Broschüre zum Thema vorhalten möchte, kann diese bei der Aktion Kinder- und Jugendschutz bestellen.