ImRahmen der rechtsmedizinischen körperlichen Untersuchung eines sieben Wochen alten Säuglings gaben die Eltern an, dass ihnen drei Tage zuvor eine Blauverfärbung und Schwellung des Penis bei ihremSohn aufgefallen sei, schreibt Dr. Annika Basner vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in der Zeitschrift „Rechtsmedizin“. Daraufhin habe die Mutter einen Rettungswagen angefordert. Nach Angaben der Großmutter gab es in der Vergangenheit Verhaltensauffälligkeiten der knapp drei Jahre alten Enkeltochter, die auf einen sexuellen Missbrauch hinweisen könnten. Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung waren jedoch bisher nicht bekannt.

Laut Arztbrief warendie Vorhaut reizlos und die Hoden unauffällig, ohne Hinweis auf eine Paraphimose, Balanitis oder eine anderweitige Entzündung. Bei der Sonografie des Penis wurde eine eher gesteigerte Durchblutung ohne lokalisiertes Hämatomfestgestellt.

Da die Eltern weder ein Trauma noch eine anderweitige Erklärung für den scheinbar plötzlich aufgetretenen Befund angeben konnten, wurde zunächst das Jugendamt eingeschaltet, das den Säugling drei Tage später in der Rechtsmedizin vorstellte.

Abschnürung naheliegend

Bei der Untersuchung war der Säugling in gutemAllgemein-, Pflege- und Ernährungszustand. Der gesamte Penis war geschwollen und blaulivide, teils rötlich, teils beginnend grüngelblich verfärbt. Die Verfärbung stellte sich imoberen Anteil des Penis scharf begrenzt mit einer zirkulär verlaufenden, etwa 1 mmbreiten Furchung der Haut dar, die teilweise gering unterbrochen zu sein schien. Hoden und Afterregion waren unauffällig. Des Weiteren wurden als Zeichen stumpfer Gewalteinwirkungen imBereich beider Waden rundliche rötlichbräunliche, bis zu 0,4 cm messende Hämatome identifiziert, die in einer in Beinlängsachse verlaufenden gedachten Linie angeordnet waren.

Misshandlung plausibel

figure 1

Bei Krankenhausaufnahme von den Kinderärzten angefertigte Übersichtsaufnahme.

Nach Einschätzung der Untersucher war der Befund höchstgradig verdächtig für eine Kindesmisshandlung. Daraufhin wurde der Säugling zunächst durch das Jugendamt in Obhut genommen und in einer Pflegefamilie untergebracht.

Bei der Verhandlung des Falls vor dem zuständigen Familiengericht wurde u. a. die Möglichkeit des Vorliegens eines penilen Haar-Tourniquet-Syndroms diskutiert. Bei diesemsehr seltenen sog. Stauschlauchsyndromwerden Körperanhänge durch Haare abgeschnürt. Es handelt sich umeinen chirurgischen Notfall, denn es kann zu schweren Durchblutungsstörungen bis hin zu Nekrosen und nachfolgenden Komplikationen wie z. B. urethralen Fisteln kommen.

Das kombinierte Vorliegen von Griffspuren an den Unterschenkeln und des scharf abgegrenzten Hämatoms amPenis mit der Schnürfurche, sprachen für eine Kindesmisshandlung. Der in der zweiten Instanz hinzugezogene weitere rechtsmedizinische Sachverständige kamzu dem gleichen Ergebnis. Auf Beschluss des Gerichts wurde den Eltern das Sorgerecht dauerhaft entzogen.