Ob chronische Knie-, Kreuz- oder Spannungskopfschmerzen, die Nadeln sind mindestens genauso wirksam wie konventionelle Therapieoptionen, betont Prof. Albrecht Molsberger, Orthopäde aus Düsseldorf und Leiter der Forschungsgruppe Akupunktur in der Zeitschrift „Der Orthopäde“.

Das bestätigt nicht nur Molsbergers langjährige Erfahrung, große multizentrische, kontrollierte Wirksamkeitsstudien wie die GERAC (German Acupuncture)- und ART (Acupunture Randomized Trials)-Studien haben die Wirksamkeit nachgewiesen. Die gesetzlichen Krankenkassen haben daher im Jahr 2007 die Akupunktur bei chronischen Kreuzschmerzen und Gonarthrose in ihren Leistungskatalog aufgenommen.

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Die Akupunktur ist längst in der westlichen Medizin angekommen.

© Klaus Rose

Den richtigen Punkt finden ...

Die chinesische Medizin interpretiert Erkrankungen des Bewegungsapparates als Blockade der sogenannten Lebensenergie „Qi“, ausgelöst durch klimatische Faktoren, Überlastungen und Fehlernährung. Die Blockaden werden den Akupunkturmeridianen, aber auch Muskeln, Sehnen und Organen zugeordnet. „Bei orthopädischen Indikationen werden die Akupunkturpunkte primär nach den Meridiantheorien ausgewählt“, erklärt Molsberger und beschreibt die Punktkombination — Ahshi-Punkte, Nahpunkte, Fernpunkte — als typisch für die Behandlung orthopädischer Beschwerdebilder.

Ahshi-Punkte befinden sich direkt in der schmerzenden Region. Nahpunkte liegen auf Meridianen, die über das erkrankte Areal hinwegziehen oder in der Nähe liegen. Fernpunkte gehören entweder ebenfalls zu diesen Meridianen oder liegen auf topografisch analogen Meridianen. Punkte mit symptomatischer Wirkung (z.B. analgetisch oder relaxierend) oder Wirkung auf bestimmte Gewebe (z.B. Sehnen, Muskeln und Knochen) können ergänzend stimuliert werden. Die Nadeln werden unterschiedlich tief eingestochen, subkutan, intramuskulär oder bis zum Periost. Bei korrekter Stichtechnik und -tiefe empfindet der Patient ein Druck- oder Wärmegefühl, das sogenannte „DeQi“.

Wichtige orthopädische Akupunkturpunkte

Schmerzen im Kniegelenk: Für die Gonarthrosetherapie sind Lokal- und Nahpunkte entscheidend. Die Ahshi-Punkte müssen exakt getroffen werden, betont Molsberger, sie liegen meist am unteren medialen Kapselansatz. Auch beim femoropatellaren Schmerzsyndrom ist die Akupunktur wirkungsvoll. Die besten Erfolge sind nach Molsbergers Erfahrung mit zehn bis 15 dünnen Nadeln zu erzielen, die rund um den Patellarand gestochen werden. Bei Bakerzysten hingegen bleibt die Akupunktur wirkungslos.

Kreuzschmerzen und Ischialgien: Um Kreuzschmerzen zu behandeln, sind mindestens 11 Sitzungen notwendig, und bei jeder müssen mindestens 12 Punkte gestochen werden. Die Punktauswahl richtet sich nach Meridianen und Syndromen, wobei vor allem Nieren-Yin/Yang-Mangel, feuchte Kälte und Qi-Blutstagnation im Vordergrund stehen. Ahshi-Punkte sowie die Punkte Blase 23, 40, 54, 60 und Gallenblase 34 sind immer zu stechen, alle weiteren Punkte muss der Therapeut bei jedem Patienten individuell wählen.

Mit einer speziellen Form der Akupunktur, der Neuroakupunktur, lassen sich Ischialgien gut in den Griff bekommen; sogar ausheilen, wenn die Bandscheibenvorfälle nicht zu groß sind. Mitglieder der Forschungsgruppe Akupunktur haben diese Technik entwickelt. Seit zehn Jahren wird sie in Deutschland zur Behandlung von Radikulitiden eingesetzt.

Schmerzen im Schultergelenk: Auch Patienten, die aufgrund einer Periarthritis, „frozen shoulder“ oder Tendopathie an chronischen Schulterschmerzen leiden, profitieren. Einen klinischen Erfolg erzielt aber nur der Akupunkteur, der die Ahshi-Punkte exakt lokalisieren kann. Und die lassen sich an der Schulter oftmals nur tasten und stechen, wenn der Patient entsprechend gelagert ist. Die Behandlung chronischer tendinöser und kapsulärer Schultererkrankungen erfordert Geduld. Der Patient muss wissen, dass bis zu 15 Sitzungen notwendig sind, ehe sich die Beschwerden bessern. Akute Schultereinsteifungen, auf reflektorischen Muskelversteifung basierend, lassen sich meist schon in einer bis drei Sitzungen vollständig mobilisieren. Gestochen wird der Punkt Magen 38 am Bein des Patienten. Ist die Einsteifung chronisch, kann die Nadelung an diesem Punkt die physikalische Therapie zumindest unterstützen.

Spannungskopfschmerzen und Migräne: Bei diesen Indikationen ist die Akupunktur eine gute Alternative zur herkömmlichen Behandlung und avanciert für Molsberger zur Therapie der ersten Wahl. Sie wirke, so der Autor, genauso gut, sei aber anders als die symptomatischen Therapieoptionen der Schulmedizin weit weniger nebenwirkungsbelastet. Gestochen werden Nahpunkte am Schädel und Fernpunkte an den Extremitäten. Ausschlaggebend für den Therapieerfolg ist u.a. die exakte Lokalisation der Ahshi-Punkte über den Nn. occipitalis minor et major. Diese Punkte entsprechen den Akupunkturpunkten Gallenblase 20 und 10. Gerade bei Kopfschmerzpatienten müssen die Nadeln wohl dosiert gesetzt werden, warnt Molsberger. Zu viele Nahpunkte und zu starke Nadelintensität verschlimmern die Beschwerden, so seine Erfahrungen.

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© Ingeborg Knol / panthermedia.net