Leserbrief

Sehr geehrter Herr Professor Beyer,

in Ihrem Editorial des Heftes Manuelle Medizin Nr. 5 vom Oktober 2007 findet sich folgender Satz: „Der Frage nach Übereinstimmung von Befunden der Untersuchung verschiedener Untersucher geht der Übersichtsartikel „Manuelle Untersuchung an der Wirbelsäule“ von Stockendahl et al. nach. Anhand von 48 Studien wird ausreichende Akzeptanz festgestellt.“

Diese Interpretation des Artikels kann nicht unwidersprochen bleiben!

Vielmehr kommen die Untersucher zu folgenden Schlussfolgerungen, die in Kurzversion im „Fazit“ nachzulesen sind:

  1. 1.

    Nur die Palpation in Bezug auf Schmerz ist auf einem akzeptablen Niveau reproduzierbar.

  2. 2.

    Palpation in Bezug auf GA (allgemeine Einschätzung) ist nur vom gleichen Untersucher reproduzierbar.

  3. 3.

    Die Reproduzierbarkeit von MP („motion palpation“), STC (Weichteilgewebeveränderungen) und SP (Weichteilgewebeschmerz) ist klinisch nicht akzeptabel.

In den zahllosen Kursen in manueller Medizin und Osteopathie wurde uns aber pausenlos eingetrichtert, dass gerade die Palpation von feinen Bewegungen und von Weichteilgewebeveränderungen Grundlage unserer Diagnostik sind.

Selbst wenn es uns Manualtherapeuten und Osteopathen nicht gefallen mag, so bleibt es dabei: Die wissenschaftliche Basis unseres Tuns steht auf sehr wackligen Füßen.

Bei der Abfassung Ihres Editorials war wohl der Wunsch der Vater des Gedankens, nach dem Motto: „Weil nicht sein kann, was nicht sein darf!“

Derartige Missinterpretationen von Studien – seien sie ungewollt oder gewollt – beeinträchtigen Ihre Glaubwürdigkeit. Sie erweisen damit sich selbst, der Zeitschrift, deren Herausgeber Sie sind, und nicht zuletzt der gesamten manuellen Medizin leider einen Bärendienst.

Ein treuer Leser der Manuellen Medizin

S. Korn, Rottenburg

Stellungnahme

Sehr geehrter Herr Kollege Korn,

herzlichen Dank für Ihre Zuschrift.

Ihrer Kritik an meinem Optimismus möchte ich nicht grundlegend widersprechen. Allerdings erscheint mir Pessimismus mit der Folgerung Ihres Schlusssatzes ebenso wenig gerechtfertigt.

Am tatsächlichen Stand der Dinge kommen wir ja beide nicht vorbei. Die Autoren Stockendahl et al. präsentieren uns einen aktuellen Kenntnisstand, der sehr diffizil und akribisch erstellt wurde. Hier stellt sich aus meiner Sicht die Frage: „Wie weiter?“ Die Herausgeber haben sich um die Publikation dieses Beitrages bemüht, weil wir davon ausgehen, dass hier ermutigende Ansätze demonstriert werden, die zu einem auch für Nichtmanualmediziner ausreichend akzeptablen Nachweis der Zweckmäßigkeit von Palpationsuntersuchungen am Bewegungssystem führen kann. Bei Manualmedizinern darf man doch wohl auf diese Akzeptanz hoffen, nicht nur weil es „pausenlos eingetrichtert“ wurde. Ich schlage deshalb vor, davon auszugehen, dass sich „das Glas der Erkenntnis im Stadium der Füllung“ befindet. Ich hoffe auch, durch unsere Kommunikation bei einigen Lesern nachträgliches Interesse für den im Heft 5 publizierten Beitrag zu wecken und die Erkenntnis hervorzurufen, dass die gewünschten Effizienznachweise nur aus der Praxis heraus entstehen können, woraus die Bereitschaft entstehen sollte, sich an entsprechenden Studien zu beteiligen. Kurz möchte ich noch darlegen, was mir bei der kritisierten Aussage Mut machte:

  • Studienqualität steigert sich von 27% (vor 1988) auf 54% (nach1996),

  • Training der Untersucher vor der Studie hat wenig Einfluss auf das Ergebnis,

  • es besteht klinisch hohe Akzeptanz für Intra-Untersucher-Reproduzierbarkeit,

  • Paralleltests (Untersuchungsregimes) fördern die klinische Entscheidungsfindung und erhöhen die Reproduzierbarkeit; für solche Testkombinationen sind bisher wenig oder noch keine Studien erstellt worden (obwohl in der täglichen Praxis üblich), also auch erst noch in das Lehrgebäude der MM zu integrieren,

  • die Inter-Untersucher-Reproduzierbarkeit ist geringer, weil sie von der Interaktion zwischen Untersucher und Untersuchter abhängt und

  • die Schmerzpalpation ist offensichtlich unbestritten akzeptabel reproduzierbar.

Mit kollegialen Grüßen

Prof. L. Beyer, Jena