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Seit 2010 wird im Florence-Nightingale-Krankenhaus der Kaiserswerther Diakonie in Düsseldorf eine Advanced Nursing Practice (ANP) aufgebaut. Die damit verbundenen beruflichen Rollen lassen sich unter den Begriff und das Konzept Advanced Practice Nursing (APN) fassen. Neben einer Hebammenexpertin APN in der Geburtshilfe werden sieben Pflegeexpertinnen und Pflegeexperten APN in den Fachbereichen Operative Kliniken, Kinderanästhesie und Akutschmerz, Intensivpflege, Innere Medizin, Neonatologie, Pneumologie und Onkologie sowie der Psychiatrie und Psychotherapie eingesetzt. Diese Pflegenden bieten eine erweiterte und vertiefte pflegerische Praxis im Sinne des international beschriebenen und etablierten Konzeptes der Advanced Nursing Practice (Schober & Affara, 2008) an. Umgesetzt wird die Empfehlung im Positionspapier der deutschsprachigen Berufsverbände der Pflege DBfK, ÖGKV und SBK (2013). Ausgeübt werden berufliche Rollen, die insbesondere bei Hamric (2009) mit Primärkriterien und Kompetenzen in einem konzeptuellen Modell zu APN beschrieben sind. Bei der Implementierung dieser neuen beruflichen Rollen wird das PEPPA-Framework genutzt, welches von Bryant-Lukosius & DiCenso (2004) erarbeitet wurde.

ANP im Florence-Nightingale-Krankenhaus

Hauptziel der Advanced Nursing Practice im Florence-Nightingale-Krankenhaus der Kaiserswerther Diakonie ist die Entwicklung und Etablierung erweiterter pflegerischer Interventionsangebote zur Verbesserung einer komplexen und bis dato unbefriedigend gelösten Versorgung einer definierten Gruppe von Patienten bzw. Klienten. Weitere Ziele sind die Profilbildung der damit verbundenen beruflichen Rollen, die verantwortliche Steuerung der entsprechenden Praxisentwicklung sowie die Generierung von Daten, die den Nutzen von ANP belegen können.

Psychiatrie und Psychotherapie — bewährtes Arbeitsfeld für ANP

Die Psychiatrie und Psychotherapie kann in vielen Ländern zum Teil seit Jahrzehnten als bewährtes Arbeitsfeld für klinisch arbeitende Pflegeexperten im Sinne von ANP betrachtet werden. In den USA gehörten psychiatrische Pflegeexperten neben Anästhesiepflegenden und Hebammen zu den ersten Pflegefachkräften, die sich im Rahmen von weiterführenden Studiengängen über die übliche Pflegepraxis hinaus spezialisierten (vgl. Schober & Affara, 2008). So initiierte und führte Hildegard Peplau 1954 in Nordamerika den ersten Studiengang mit Master-Abschluss für klinische Pflegespezialisten in der Psychiatrie (vgl. Zegelin, 2005; ANA, APNA, & ISPN, 2014).

Die Pflegepraxis dieser Pflegeexperten konzentriert sich grundsätzlich auf die Anwendung von Kompetenzen, Wissen und Erfahrung, bezogen auf Einzelpersonen, Familien oder Gruppen mit komplexen psychiatrisch-psychischen Problemen. Die Förderung der psychischen Gesundheit in der Gesellschaft spielt eine bedeutende Rolle, entweder in Zusammenarbeit mit oder durch die überweisung an Angehörige anderer Gesundheitsberufe, je nachdem, was die Bedürfnisse der Patienten oder der Praxisfokus dieser Pflegeexperten vorgeben. Angeboten wird ein breites Leistungsspektrum mit starker interdisziplinärer und Institutionen beziehungsweise Sektoren übergreifender Ausrichtung. In Deutschland, Österreich und der Schweiz steckt die Ausübung von ANP in der direkten Pflegepraxis von Arbeitsfeldern der Psychiatrie und Psychiatrie durch studierte und praxiserfahrene Pflegende noch in den Kinderschuhen. Dabei ist auch hier der Bedarf vielfältig. Genannt seien an dieser Stelle das Sektoren übergreifende Case-Management bei vulnerablen Gruppen (z.B. für chronisch psychisch Erkrankte) und die fallführende psychosoziale Versorgung mit spezifischen Verfahren und Interventionen der Beziehungs- und Milieugestaltung sowie Hilfen zur Krankheits- und Alltagsbewältigung. Daneben könnte ANP in spezifischen Settings (z.B. Akutversorgung oder Psychotherapie) oder im Rahmen von Supervisions-, Beratungs-, Konsiliar- und Liaisondiensten wertvolle Dienste leisten.

Als Pflegeexperte APN im multiprofessionellen Team der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Florence-Nightingale-Krankenhauses der Kaiserswerther Diakonie unterstütze ich in Zusammenarbeit mit der Pflegedirektion, der Pflegedienstleitung der Klinik und der Stabsstelle Pflegeentwicklung die Weiterentwicklung einer wissenschaftlich begründeten, nachhaltigen und wirksamen psychiatrischen Pflege. Im Zentrum meiner Arbeit steht die klinische Praxis mit direkter Patienten- und Angehörigenbetreuung für eine definierte Gruppe von Patienten/Klienten.

Arbeiten an der Schnittstelle

Komplex und bis dato unbefriedigend gelöst ist die Situation von psychisch erkrankten Menschen an der Schnittstelle zwischen (teil-)stationärer und außerstationärer beziehungsweise ambulanter psychiatrischer Versorgung. Wie in anderen Bereichen des Gesundheitswesens auch hat hier eine erhebliche Fragmentierung möglicher Versorgungsangebote stattgefunden, die gleichzeitig durch anspruchsvolle Regularien und Anforderungen sowie eine sich schnell ändernde (Leistungs-)Rechtslage gekennzeichnet ist.

Im Interesse psychisch erkrankter Menschen gilt es, die bestehenden System- und Sektorengrenzen zu überwinden. Schwerpunkt meiner Arbeit als Pflegeexperte APN ist deshalb die Entwicklung, Etablierung und Durchführung eines erweiterten pflegerischen Interventions- und Leistungsspektrums im Sinne von Advanced Nursing Practice an der Schnittstelle zwischen (teil-)stationärer und außerstationärer beziehungsweise ambulanter psychiatrischer Versorgung im Düsseldorfer Norden. Im Kern geht es um die Nutzung von Bezugspflegeprozessen über den Krankenhausaufenthalt hinaus (und ggf. wieder hinein) sowie um erweiterte Pflege, die nach Bedarf Sektoren übergreifend und ergänzend zur Behandlung in der Klinik, beim Hausarzt, Facharzt oder Psychotherapeuten zum Einsatz kommt.

Konkret führe ich zurzeit unter anderem Adherence Therapie, STEPPS und ambulante Nachsorge durch. Adherence Therapie ist eine Beratung in mehreren Einzelsitzungen zur Adhärenz-Förderung und zielt auf ein möglichst optimales und zwischen Patient und professionell Tätigen gemeinsam getragenes und erarbeitetes Krankheitsmanagement auch nach (teil-)stationärer Behandlung ab. STEPPS ist ein circa halbjähriges Gruppentrainingsprogramm mit wöchentlichen Sitzungen für Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung. Als Fertigkeiten- und Verhaltenstraining soll es dazu beitragen, dass Betroffene bessere Möglichkeiten zur Bewältigung von emotionalen Krisen, der Alltagsgestaltung, des Problemlöseverhaltens sowie der Beziehungsgestaltung entwickeln. Die ambulante Nachsorge ist ein Gruppenangebot der Psychiatrischen Institutsambulanz der Klinik. Es dient der Sicherstellung der weiteren Stabilisierung für psychisch erkrankte Menschen nach (teil-)stationärer Behandlung.

Die Versorgung verbessern

Bei meiner Arbeit an der Schnittstelle verfolge ich einen teamzentrierten Ansatz, der mit umfangreicher und vielgestaltiger Praxisentwicklung und Befähigung von Kolleginnen und Kollegen der Pflege verbunden ist. Die erweiterte Pflegepraxis ist aber auch Teil eines Projektes zur Weiterentwicklung und Neuausrichtung eines Sektoren übergreifend ausgerichteten Leistungsangebotes der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie sowie der Sozialpsychiatrie der Kaiserswerther Diakonie. Das Projekt ist multiprofessionell und multimodal angelegt. Es wird von mir als Pflegeexperte APN geleitet. Aus Sicht der Klinik und der Sozialpsychiatrie geht es darum, gemeinsam eine umfassende prä- und poststationäre Angebotsstruktur vorzuhalten, die an den Bedarfen der psychisch erkrankten Menschen der Region ausgerichtet ist und ihre Versorgung verbessert.

Weitere Schwerpunkte meiner Arbeit als Pflegeexperte APN in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie sind die Entwicklung und Durchführung pflegerischer Gruppenangebote in der Tagesklinik, die pflegefachliche Führung des professionellen Deeskalationsmanagements sowie die Gestaltung des regelmäßigen pflegefachlichen Austausches. Begleitend ist es meine Aufgabe, in der Klinik sämtliche einzelfall- und gruppenspezifischen Pflegeverfahren auf den Prüfstand zu stellen, neue Erkenntnisse zu integrieren und gegebenenfalls an den Bedarf anzupassen.

ANP als Bindeglied

Advanced Nursing Practice ist ein Bindeglied zwischen Pflegewissenschaft und Pflegepraxis, welches sich zunehmend verbreitet und als ein zukunftsweisender Ansatz in der Gesundheitsversorgung betrachtet werden kann. Die in der Serie in HEILBERUFE vorgestellten Beispiele unterschiedlicher klinischer Einsatzgebiete von Pflegeexpertinnen und Pflegeexperten APN zeigen, dass ANP kein Selbstzweck ist, sondern pflegerische Antworten auf komplexe und unbefriedigend gelöste Versorgungsprobleme liefern kann. Dies erfordert eine akademische Ausbildung auf dem Master- oder Promotionsniveau (mit der Konzentration auf eine APN-Rolle) und eine anerkannte Fachlichkeit der beruflichen Praxis auf einem fortgeschrittenen Level.

Die zentrale Kompetenz von Pflege-expertinnen und Pflegeexperten APN ist die direkte und exzellente klinische Praxis. Außerdem verfügen die Kollegen über Kompetenzen in Experten-Coaching, Beratung und Anleitung, Forschung, klinischer und fachlicher Führung, Zusammenarbeit sowie ethischer Entscheidungsfindung. Es gilt jetzt, das vielfältige Potenzial dieser neuen beruflichen Rollen zu nutzen und sie sinnvoll in den Skill- und Grademix zukünftiger pflegerischer Versorgung zu integrieren.

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Holger Schmitte, M.Sc.