Zusammenfassung
Vor dem Hintergrund der Frage, inwieweit in Deutschland noch eine Gesundheitsversorgung für alle auf höchstem Niveau gewährleistet werden kann, wird das deutsche Gesundheitswesen auf seine allokativen Grundprinzipien hin untersucht. Die Art und Weise, wie die Rationierungsdebatte insbesondere auch in Bezug auf ihre ethischen Aspekte öffentlich ausgetragen wird, macht es notwendig, zunächst sowohl egalitaristische als auch utilitaristische Denkansätze unter Berücksichtigung der Verteilung von Gesundheitsgütern zu unterscheiden. Mit Hilfe der so herausgearbeiteten Begrifflichkeiten wird es vor dem Hintergrund des Neokorporatismus im deutschen Gesundheitswesen möglich, einerseits die Rationierung von Gesundheitsgütern und andererseits die entsprechende Debatte analytisch zu fassen. Während sich Rationierung auch für Deutschland nachweisen lässt, wird Leistungsausgrenzung in der Diskussion zumeist noch als etwas Zukünftiges behandelt. Diese Diskrepanz von Realität und Debatte findet ihren Ausdruck nicht zuletzt in einer Rationierungspraxis, die den Prinzipien einer pluralistisch verfassten Gesellschaft entgegensteht. Abschlieβend wird besonders unter demokratisch legitimatorischen Gesichtspunkten der Rahmen des Vertretbaren abgesteckt.
Abstract
This paper takes a close look at the distributive principles of the German health system and analyses to what extent the highest standard of health care can still be ensured for all patients in Germany. The way in which the public rationing debate is being conducted and ethical issues are being addressed, highlights the necessity to distinguish between egalitarian and utilitarian approaches to the distribution of health care services. The terminology derived by making this distinction can then be used to analytically classify the rationing of health care services as well as the debate surrounding the issue within the context of german neocorporatism. Whilst there is already clear evidence of rationing in Germany, in the debate the exclusion of health care services is generally treated as something that will become relevant in the future. This apparent discrepancy between debate and reality is also mirrored by a rationing praxis, which at times contravenes the principles upon which a pluralistic society is based. This paper concludes with an attempt to define the democratic bounds within which justifiable restrictions to current health care services can conceivably be carried out.
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Rommel, A. Allokationsethik im deutschen Gesundheitswesen: Zur Diskrepanz von Rationierungsrealität und Rationierungsdebatte in Deutschland. Z. f. Gesundheitswiss. 8, 38–57 (2000). https://doi.org/10.1007/BF02956469
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