Insekten haben es, Krebse, Spinnen und Tausendfüßer: Exoskelette, stabile und stabilisierende äußere Hüllen. Sie bestehen aus Chitin, Silikat oder Kalziumverbindungen und schützen den weichen Körper der Tiere.

Findige Köpfe haben auch für Menschen solche äußeren Strukturen entwickelt, ursprünglich, um den Körper bei schwerer Arbeit zu stützen. Das erste Exoskelett wurde 1965 gebaut und wurde bezeichnenderweise Hardiman getauft. Der Prototyp sollte es Menschen ermöglichen, bis zu 680 Kilogramm schwere Lasten zu heben. Doch das Projekt scheiterte, da die kontrollierte Benutzung nicht gelang. Es folgten Roboteranzüge mit Greifarmen, die bis zu 340 Kilo heben sollten, doch die Gerätschaft wog selbst fast eine dreiviertel Tonne.

Heute sind Exoskelette um vieles leichter, denn es werden immer kleinere Elektromotoren und Batterien verbaut und die Materialien sind aus Faserverbundstoffen wie karbonfaserverstärktem Kunststoff. Auch die Steuerung ist dank moderner Software präziser als je zuvor. Microcontroller sorgen dafür, dass Daten wie Bewegung und Druck in Echtzeit an eine Kontrolleinheit weitergegeben werden und ein flüssiger Bewegungsablauf möglich wird.

Vielfältige Einsatzbereiche

Etliche Einsatzbereiche sind mittlerweile etabliert. Beim Heben, Tragen, Absetzen und Halten von Lasten in der Industrie und im Handel finden die Exoskelette ihre Anwendung. Meist wird die Schulter, der Nacken oder die ganze Wirbelsäule gestützt, schwere Arbeit kann kraftschonender und ohne Ermüdungs- oder Verletzungsgefahr durchgeführt werden.

Sogar für Schisportler wurde ein Exoskelett, das ums Knie geschnallt wird, entwickelt. Es misst und berechnet während des Fahrens mit Sensoren den Druck, der auf dem Knie lastet, und reguliert damit ein unterstützendes, aufblasbares Kissen. In den USA soll das knieschienenähnliche Gestell sowohl zu kaufen als auch zu mieten sein.1

Müdigkeit und Schmerzen durch lange chirurgische Feinarbeit sollen für Chirurgen bald der Vergangenheit angehören. So soll laut einer Studie der Medizinischen Universität von San Diego ein speziell angepasstes Exoskelett die Schläfrigkeit der Ärzte während Operationen nach zwölf Minuten nahezu halbieren und die Schmerzrate um etwa 25 Prozent verringern.2 Seit Anfang 2020 testen Spezialisten an der Neurochirurgischen Klinik der Universitätsmedizin Göttingen ein ähnliches Stützgerüst, das während mikrochirurgischer Operationen, zum Beispiel in der hinteren Schädelgrube, die Haltung der Arme unterstützt.3

Medizinische Rehabilitation

Ob Querschnittslähmung, Multiple Sklerose, Muskelerkrankungen, Gehbehinderung oder Schlaganfall, Rückenmarksverletzungen, Schädel-Hirn-Traumata, ALS, Parkinson und Zerebralparesen — Therapien mit Exoskeletten setzen sich in der medizinischen Rehabilitation immer mehr durch. Für die Entwicklung solcher Produkte sind weltweit interdisziplinäre Forschungsgruppen entstanden, Elektrotechniker, Maschinenbauer, Informatiker, Biomediziner, Neurowissenschaftler und Rehabilitationsexperten arbeiten darin Hand in Hand. So wurde in Spanien und Frankreich ein roboterangetriebenes Hüft-Knie-Knöchel- Exoskelett für Kleinkinder mit Zerebralparese und schweren neuromuskulären Erkrankungen entwickelt und in ersten klinischen Studien bereits erprobt.4 In Japan sind an die 300 Systeme an 125 Spitälern im Einsatz, und jedermann kann sich schon seit einer geraumen Weile Exoskelette für 160 Euro für zwei Stunden mieten.5

Was Patienten und Physiotherapeuten berichten

Die Erwartungen sind hoch und die Erfahrungsberichte von Patienten durchwegs positiv. So erzählt Sabrina Terzer, MS-Patientin aus Wien, wo seit einigen Jahren im Therapiezentrum des Orthopädischen Spitals Speising eine ambulante Therapie mit einem Exoskelett angeboten wird, in einem Crowd-Investing- Blog: „Mein erstes Mal im Exoskelett war sehr emotional, Freudentränen. Kribbeln in den Beinen, weil die Durchblutung angeregt wurde. Angenehm, weil ich nicht mehr wusste, wie es sich anfühlt zu gehen. Einfach unglaublich, weil ich meine Beine besser spüren konnte. Außerdem hat die Therapie einen positiven Effekt auf meine Psyche.“6 Birgit Bauer lebt seit 2005 mit Multipler Sklerose, engagiert sich in Sachen Patientenrechte und ist MS-Bloggerin. Sie testete im Rahmen einer Kooperation ein Produkt aus der Schweiz. Auf ihrem Blog heißt es: „Das ist eine Art Anzug, der einem hilft, die Muskeln in den Beinen zu stärken, zu kräftigen und quasi zurück ins Leben zu gehen. Einsteigen? Einfach ... Am Anfang war es ungewohnt. Das Teil ist erst mal eng, seltsam und dennoch: Man kann damit gut laufen. Damit unterstützt er die normalen Bewegungen beim Gehen, Treppensteigen oder beim Aufstehen von einem Stuhl. Allerdings nur auf Unterstützung warten ist nicht. Gehen muss man immer noch selbst.“7

Dennis Veit ist Physiotherapeut in Deutschland und in Wien. Er unterstreicht die Wichtigkeit der Zusammenarbeit zwischen Patient und Therapeut: „Wichtig ist immer, ein individuelles Therapieziel gemeinsam mit den Patienten und Patientinnen zu erarbeiten. Dies kann in der Erhaltung, Wiederherstellung oder Verbesserung der Gehfähigkeit liegen.“ Seiner Erfahrung nach lassen sich Verbesserungen von neuropathischen Schmerzen, Spastizität, Herz-Kreislauf-Funktion, Atemfunktion, Blasen-Darm-Funktion sowie der Sexualfunktion erreichen. „Allgemein beobachten wir bei vielen Patienten eine Verbesserung der subjektiven Lebensqualität“, so Veit.

Marktpotenziale

Wurden 2015 laut dem Daten-Portal Statista gerade mal 2500 Stück weltweit abgesetzt, so waren es 2019 bereits 10.500 Stück. Tendenz stark steigend — auf der ersten Konferenz zu medizinischer und industrieller Wearable Robotik vor zwei Jahren in Stuttgart wurde von Verzehnfachung bis zum Jahr 2025 gesprochen.8

Physiotherapeut Veit schränkt allerdings die oft zu hohen Erwartungen der Patienten etwas ein. „Man muss dabei beachten, dass keines dieser Geräte, die aktuell verfügbar sind, den Rollstuhl ersetzen können. Ich persönlich gehe davon aus, dass wir innerhalb der nächsten zehn Jahre große Fortschritte in diesem Bereich sehen werden.“ Ebenso sieht er die Investitionskosten von rund 150.000 Euro für ein Exoskelett als noch zu hoch für die Anschaffung für freiberufliche Therapeuten an. „Dies ist aber hauptsächlich durch die geringe Vergütung der Kostenträger bedingt, die den Investitionsaufwand, die Ausbildungskosten für die Therapeuten und die Effizienz der Therapie nicht widerspiegelt.“