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Vorgeschichte

Das weltweit erste Lehrbuch der Neurologie stammt von Moritz Heinrich Romberg (1795-1873), der an der Berliner Charité die Medizinische Poliklinik leitete. Sein "Lehrbuch der Nervenkrankheiten des Menschen" erschien von 1840 bis 1846 und stellt die historisch wichtigste Wurzel des Fachs dar [1]. Dennoch kam es im deutschen Sprachraum erst lange nach Einrichtung der ersten Spezialkrankenhäuser in London (Queen Square, 1860) und Paris (Salpêtrière, 1872) dazu, dass neurologisch Kranke außerhalb von Innerer Medizin oder Psychiatrie, dem sehr unterschiedlichen Elternpaar der Neurologie, versorgt wurden. So vertrat Johann Hoffmann (1857-1919) seit 1907 in Heidelberg zwar "Innere Medizin und Neurologie" und leitete die "Nervenabteilung und Nervenambulanz der Medizinischen Klinik"; sein Lehrstuhl war aber nicht von der Inneren Medizin getrennt. Der erste deutsche Lehrstuhl für Neurologie wird von der Universität Frankfurt reklamiert: Mit ihrer Gründung 1914 erhielt der neuroanatomisch ausgerichtete Ludwig Edinger (1855-1918) ein "persönliches Ordinariat für theoretische und klinische Neurologie", kriegsbedingt aber keine eigene Klinik. Erst ab 1919 führte Max Nonne (1861-1959) in Hamburg über eine außerordentliche Professur, die 1925 in ein Ordinariat umgewandelt wurde, auch eine eigenständige Klinik mit Bettenstationen [2, 3]. An der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) ließ diese Entwicklung noch einige Dekaden - bis in die 1970er-Jahre - auf sich warten.

Innere Medizin und Psychiatrie

Vom Internisten Müller und der Schule Guddens zur "Psychiatrischen und Nervenklinik"

Vor 1971 wurden neurologische Patienten an der Münchner Universität meist in internistischen Abteilungen betreut. So existierte seit 1913 an der Medizinischen Poliklinik eine neurologische Spezialambulanz unter Leitung von Eugen von Malaisé (1875-1923), dessen Habilitation in Neurologie die erste in München war [4]. International hochangesehen war der medizinische Ordinarius Friedrich von Müller (1858-1941), der immer wieder auch neurologische Themen bearbeitete [5]. Sein Assistent Wilhelm von Stauffenberg (1879-1918) war der zweite Münchner Habilitand im Fach, fokussiert auf kognitive Neurologie [6], und hat an seinem Patienten, dem Psychologieprofessor Theodor Lipps (1851-1914), wohl erstmals einen Fall von Multisystematrophie (MSA) beschrieben [7].

Nachdem die Psychiatrie 1862 als Fach in die Ärzteprüfung in Bayern aufgenommen wurde, beteiligten sich die zunehmend eingerichteten psychiatrischen Lehrstühle auch an der Versorgung neurologischer Patienten. An der LMU entwickelte Bernhard von Gudden (1824-1886) die tierexperimentelle Neuroanatomie und begründete damit die bis heute fortbestehende neurowissenschaftliche Forschung in München [8]. Zu den bei ihm tätigen Psychiatern meist mit anatomischer Ausrichtung gehörten der spätere Züricher Ordinarius August Forel (1848-1931), die beiden Münchner Nachfolger Guddens, Anton Bumm (1849-1903) und Emil Kraepelin (1856-1926), sowie Franz Nissl (1860-1919). 24-jährig hatte dieser eine von Gudden gestellte Preisaufgabe der Fakultät bearbeitet und so 1884 die noch heute aktuelle "Nissl-Färbung" entwickelt [9]. Ebenfalls als Student bei Gudden wurde Friedrich von Müller durch dessen Neuroanatomie-Begeisterung geprägt [10].

Der Alltag in der Münchner Psychiatrie wurde anekdotisch unter anderem so geschildert: "Das Bier spielte eine überaus wichtige Rolle im Anstaltsbetriebe. Wenn ich mich recht erinnere, wurden täglich 3 Hektoliter ausgeschenkt. Einzelne Kranke erhielten nach Verfügung ihrer Angehörigen täglich mehrere Liter und wachten eifersüchtig auf ihre verbrieften Rechte." [11] Kraepelin berichtete in seinen Lebenserinnerungen auch über seinen Lehrer Gudden: "Den Grundzug seiner wissenschaftlichen Persönlichkeit bildete das unbeirrbare Streben nach unbedingt sicheren Tatsachen. So erschien ihm als der einzige Zugang zu dem Labyrinth der Psychiatrie die in alle Feinheiten des Hirnbaues eindringende anatomische Zergliederung, nicht aber die trügerische, von tausend Fehlerquellen durchzogene klinische Beobachtung. Sein ganzes wissenschaftliches Streben richtete sich daher mit nie erlahmender Tatkraft auf das Kaninchenhirn, in dessen Bau er durch das von ihm ersonnene und planmäßig ausgedehnte Verfahren der sekundären Entartung Schritt für Schritt tiefere Einblicke gewann." [11]Dadurch, dass experimentell eine fokale Hirnläsion gesetzt und die resultierende sekundäre Degeneration ("Wallersche Entartung", z. B. als makroskopische Atrophie) beobachtet wurde, erlaubte die "Guddensche Methode" das Erkennen von Verbindungen unterschiedlicher, auch weit voneinander entfernter Teile des Gehirns. Gudden klärte auf diese Weise den bis dahin umstrittenen gekreuzten Bahnverlauf im Chiasma opticum auf und wurde dafür 1883 mit dem Albrecht-von-Graefe-Preis der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft ausgezeichnet.

Eine zweite Errungenschaft war die Entwicklung des "Guddenschen Mikrotoms", das durch präzise Erstellung von dünnen Hirnschnitten in Serie einen wesentlichen Fortschritt gegenüber der bisherigen Freihandtechnik darstellte (Abb. 1 links). Mit ihm gelang Gudden und Forel 1875 erstmals die Herstellung einer kompletten Serie mikroskopischer Schnitte (55 µm Dicke) durch ein menschliches Gehirn [12].

Abb. 1:
figure 1

© Gudden B. [12]

Aus der Zeit vor der Eigenständigkeit der Neurologie an der Münchner Universität soll die wichtige Rolle herausgehoben werden, die die Psychiatrische Klinik unter Bernhard von Gudden (1824-1886) und seinem Schüler Emil Kraepelin (1856-1926) als "Mekka der Hirnforschung" spielte. Links ist das von Gudden zusammen mit dem Münchener Instrumentenbauer Hermann Katsch entwickelte Mikrotom [12] zu sehen: Auf dem kontinuierlich über ein Schraubengewinde höhenverstellbaren Metallzylinder in der Mitte des Mikrotoms wird ein Gewebeblock (bis hin zu ganzen Gehirnen) fixiert und ein Schneidmesser, das am Rande des Gewindes geführt wird, trägt Schnitt für Schnitt feinste Gewebsscheibchen ab, die im Wasserbad (= das den Zylinder umgebende Becken) aufgefischt werden, um schließlich auf Objektträgern fixiert und gefärbt zu werden. Die Technologie des kontinuierlichen Serienschnitts zur anatomischen Analyse komplexer räumlicher Gebilde kann in Analogie zu den modernen radiologischen Schnittbildverfahren gesehen werden. Mit chemischen Färbungen wie sie Franz Nissl (1860-1919) in München entwickelt hat [9], werden im Prinzip analoge Effekte zu den heutigen Bildgebungssequenzen erzielt, nämlich die Herausarbeitung von Kontrasten zur Abgrenzung von normalen sowie pathologisch veränderten Strukturen. Ein Beispiel (rechts) sind die nach hundert Jahren noch mit dem Mikroskop analysierbaren Schnitte aus der Hirnrinde von Alois Alzheimers Frankfurter Patientin Auguste D. [13]. Alzheimer machte an diesem Material seine grundlegenden Beobachtungen von pathologischen Gewebseinschlüssen in Form von Neurofibrillenbündeln (neurofibrillary tangles) und "Drusen"/Plaques. Auf dieser Grundlage prägte sein Klinikdirektor, Emil Kraepelin, in seinem weit verbreiteten Psychiatrie-Lehrbuch das Eponym "Alzheimersche Krankheit" für ein Demenzsyndrom mit Nachweis dieser charakteristischen histopathologischen Signatur.

In dieser Münchner Tradition steht auch Alois Alzheimer (1864-1915). Die von ihm 1906 im Gehirn der Patientin Auguste D. (Abb. 1 rechts) beobachteten Plaques und Neurofibrillenbündel definieren bis heute die Alzheimer-Krankheit [13]. München galt als "Mekka der Neuropathologie", nachdem Guddens psychiatrisch-anatomische Schule unter Kraepelin erneut aufblühte. Er richtete an seiner neu gebauten Universitätsklinik ein eigenes histopathologisches Labor für Alzheimer ein und gründete auch die "Deutsche Forschungsanstalt für Psychiatrie" (heute Max-Planck-Institut in der Kraepelinstraße). Durch die psychiatrische Krankheitssystematik seines in vielen Auflagen "Dem Andenken Bernhard von Guddens" gewidmete Lehrbuch ist Kraepelin auch in der gegenwärtigen Medizin noch präsent, war aber für die Entwicklung der klinischen Neurologie unbedeutend.

In Oswald Bumke (1877-1950) hatte er einen Nachfolger, der sich als "Nervenarzt" für neurologisch ebenso wie für psychiatrisch Erkrankte verantwortlich sah. Mit Amtsantritt ließ Bumke die "Königlich Psychiatrische Klinik" in der Nußbaumstraße dementsprechend in "Psychiatrische und Nervenklinik" umbenennen. Zusammen mit dem Breslauer Neurochirurgen Otfrid Foerster (1873-1941) war Bumke in den 1930er-Jahren Herausgeber des vielbändigen Handbuchs der Neurologie im Springer-Verlag, das auf noch immer eindrucksvolle Weise das umfangreiche bis in die Zwischenkriegszeit akkumulierte Fachwissen dokumentiert. Das sogenannte "Dritte Reich" bedeutete einen schweren Rückschlag [14, 15]: durch Vertrauensverlust gegenüber der Klinik aufgrund von Patientensterilisation und "Euthanasie", durch die Vertreibung und Vernichtung jüdischstämmiger Mitarbeiter sowie durch die Kriegstoten unter dem Personal.

Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg und Gründung des Friedrich-Baur-Instituts

Unter Kurt Kolle (1898-1975), "ordentlicher Professor für Psychiatrie und Neurologie" von 1952 bis 1966, wurden Abteilungen für organische Diagnostik in der Nervenklinik ausgebaut. Dies waren 1949 ein EEG-Labor, lange Jahre unter Leitung von Johann Kugler (1923-2014), und die Röntgenabteilung, wiederaufgebaut mit eigenem Operationssaal und der Möglichkeit zur Strahlentherapie, unter Leitung von Kurt Decker (1921-1984). Die Zusammenarbeit mit der Morphologie war jetzt weniger eng, aber Otto Stochdorph (1914-1999), seit 1961 Neuropathologe am nahegelegenen Pathologischen Institut, war häufig zu Gast. Die Stellung der Neurologie zwischen den Fächern Psychiatrie und Innere Medizin wurde an der LMU dadurch betont, dass 1953 auf einen der beiden Lehrstühle für Innere Medizin Gustav Bodechtel (1899-1983) berufen wurde, dessen klinischer Schwerpunkt neurologisch war. Von der Düsseldorfer Medizinischen Akademie brachte Bodechtel auch Adolf Schrader (1912-2002) mit, der sich vor allem mit den neurologischen Auswirkungen internistischer Erkrankungen und der Multiplen Sklerose beschäftigt hatte [16].

Eine Stiftung des Industriellen Friedrich Baur zugunsten der Medizinischen Fakultät wurde bald vorrangig für ein Institut verwendet, das der II. Medizinischen Klinik unter Bodechtel angegliedert wurde. Dies ermöglichte 1956 im Innenhof der Klinik ein Gebäude mit Raum für bis zu 12 (bald 20) Betten aufzubauen, insbesondere für Poliomyelitispatienten, die maschinell mit "Eisernen Lungen" beatmet wurden, außerdem ein Labor zur Virusdiagnostik. Ein Labor zur histopathologischen Differenzialdiagnostik bei Muskelschwund wurde von Friedrich Erbslöh (1918-1974) geleitet, ferner entstand unter der Leitung von Albrecht Struppler (1919-2009) eine in München damals einmalige Abteilung für Elektromyografie. Durch Einführung der Impfung und Abnahme der Poliomyelitisfälle ergab sich eine Ausweitung des Stiftungsziels auf die "Erforschung und Behandlung neuromuskulärer Erkrankungen" allgemein. Bodechtel fungierte auch nach seiner Emeritierung 1969 als ehrenamtlicher Leiter des Instituts.

Kolle hatte die spezielle Situation nach Bodechtels Ankunft als "edlen Wettkampf zwischen dem internistischen und psychiatrischen Neurologen" gekennzeichnet: "Von Rivalität konnte im Hinblick auf unsere alte Freundschaft ohnehin keine Rede sein" [17]. Nachdem bereits 1960 der Wissenschaftsrat "die Errichtung eigener neurologischer Kliniken zusätzlich zu den vorhandenen psychiatrisch-neurologischen Kliniken" empfohlen hatte [18], bestanden deutschlandweit heftige Debatten zwischen Neurologie und Psychiatrie um die Nähe der Fächer in Versorgung und Lehre sowie um ihre Abgrenzung und praktische Trennung [19]. Auch der LMU empfahl der Wissenschaftsrat die Einrichtung eines ordentlichen Lehrstuhls für Neurologie neben dem bestehenden Lehrstuhl für Psychiatrie und Neurologie. Kurt Kolle hielt zwar an der Idee einer gemeinsamen Einrichtung für Psychiatrie und für Neurologie fest, konnte aber die Trennung nicht verhindern [14].

Sein Nachfolger Hanns Hippius (1925-2021), Leiter der Klinik für Psychiatrie der FU Berlin, erarbeitete im Rahmen seiner Berufungsverhandlungen auf den Münchner Lehrstuhl auf Wunsch der Medizinischen Fakultät ein Konzept zum Aufbau einer eigenständigen Klinik für Neurologie. Eine rasche Umsetzung war zur bevorstehenden Neubaueröffnung des Klinikums Großhadern (Grundsteinlegung 1961) erforderlich.

Loslösung

Eigenständigkeit der Neurologie unter Adolf Schrader und Umzug nach Großhadern

Mit Wirkung zum 01.01.1971 wurden Hippius und Schrader gleichzeitig als Ordinarien für Psychiatrie bzw. Neurologie an die LMU berufen. Adolf Schrader hatte sich an der LMU 1954 unter Bodechtel für Innere Medizin habilitiert und war ab 1962 Chefarzt der II. Medizinischen Abteilung des Städtischen Krankenhauses München-Harlaching, seit 1969 zudem ehrenamtlicher Leiter des klinisch-neurologischen Behandlungszentrums der Inneren Mission im ehemaligen Prominentensanatorium Ebenhausen, das nun Patienten mit Multipler Sklerose (MS) versorgte. Grundlage für die Unterstützung der Einrichtung durch die Krankenkassen war, dass in diesem Nachsorgehaus mit lediglich einem Arzt gute Pflege und "Heilgymnastik" angeboten wurden. Die MS-Diagnostik und die immunologische Therapie (orales Kortison im Schub und Azathioprin zur Rezidivprophylaxe) wurden aber in der Hauptklinik durchgeführt und, wenn erforderlich, erfolgte auch eine Rückverlegung dorthin bei Komplikationen oder neuen diagnostischen Fragen.

Neben der MS waren Schraders Schwerpunkte, ganz im Sinne einer internistischen Herangehensweise, Erkrankungen des Nervensystems als Ausdruck von systemischen Störungen des Stoffwechsels, von Intoxikationen und von Infektionen [20]. In seinen Berufungsverhandlungen konnte Schrader erreichen, dass er anfangs noch drei Tage in der Woche in Harlaching tätig war, da die Versorgung von Patienten mit neurologischen Erkrankungen in München nur unzureichend sichergestellt war. Erst allmählich wurden entsprechende Abteilungen in und über München hinaus geschaffen (München-Harlaching, München-Bogenhausen, Bezirkskrankenhäuser Haar und Gabersee sowie Abteilungen an den Kliniken in Ingolstadt und Augsburg).

Im Laufe des Jahres 1971 wurde an der Nervenklinik neben der "Abteilung für Psychiatrie" erstmals die eigenständige "Abteilung für Neurologie" eingerichtet und als solche ab dem Wintersemester 1971/72 im Vorlesungsverzeichnis ausgewiesen. Mit zwei Oberärzten und sechs Assistenzärzten arbeitete Schrader zunächst noch in Räumlichkeiten in der Nußbaumstraße. Zugleich wurden Einrichtung und Umzug nach Großhadern vorbereitet. Noch in der Nußbaumstraße wurde mit Walter Brendel (1922-1989), der ebenfalls noch nicht in sein neues Institut für Chirurgische Forschung nach Großhadern umgezogen war, eine experimentell-immunsuppressive Therapie bei schwerer MS mittels Drainage des Ductus thoracicus versucht [21]. In dieser Zeit der beginnenden Transplantationschirurgie gewann die Neurologie durch die Untersuchung auf eingetretenen Hirntod eine große fachübergreifende Bedeutung. Die Hirntoddiagnostik wurde bis vor wenigen Jahren von Heinz Angstwurm (Jahrgang 1936) als international angesehenem Experten und verantwortlichem Leiter berufspolitischer sowie ethischer Gremien, auch nach abgeschlossener aktiver Berufszeit, betreut [22].

Im Sommersemester 1974 wurde die Bezeichnung "Klinik und Poliklinik für Neurologie" eingeführt und mit der Fertigstellung des Neubaus zog die Neurologie im Herbst 1974 als eine der ersten Kliniken in Großhadern ein. Schrader versorgte die Kranken in Großhadern und im Konsiliardienst Innenstadt mit insgesamt zehn Assistenten und vier Oberärzten und baute weitsichtig die erste neurologische Intensivstation auf. Er führte auch die Methode der Muskelbiopsie in Großhadern ein. Die in der Nußbaumstraße etablierte neuroradiologische Diagnostik wurde bald durch die Aufstellung von neuen Geräten wie Computertomografie (1976) und Magnetresonanztomografie (MRT, 1984) in den Großhaderner Kliniken für Neurochirurgie und Radiologie abgelöst, während Verfahren wie Ventrikulografie und Pneumenzephalografie oder das Mittelecho zur Überwachung einer einseitigen Hirnschwellung [23] rasch obsolet wurden.

Abb. 2 zeigt Vertreter der Neurologie an der LMU München aus der Zeit vor Gründung der Neurologischen Klinik am Klinikum Großhadern und die drei Ordinarien des Faches seit 1971.

Abb. 2:
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© Obere Reihe links: Kaiser H. Z Rheumatol 2007;66:514-521; oben Mitte: [4]; mittlere Reihe (3): [14]; untere Reihe links: [14]; unten Mitte: T. Brandt; unten rechts: M. Dieterich

Vertreter der Neurologie an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität aus der Zeit vor Gründung der Neurologischen Klinik am Klinikum Großhadern (obere beide Reihen) und die drei Ordinarien des Faches seit 1971 (untere Reihe; jeweils von links nach rechts beschrieben). Die oberste Reihe zeigt Friedrich von Müller (1858-1941) und Eugen von Malaisé (1875-1923) als Vertreter einer aus der Inneren Medizin kommenden Beschäftigung mit den Erkrankungen des Nervensystems. Von Malaisé war der erste an der Münchener Medizinischen Fakultät für Neurologie (als Schwerpunkt der Inneren Medizin) Habilitierte. Oswald Bumke (1877-1950) und Kurt Kolle (1898-1975) in der mittleren Reihe sind die Ordinarien der Psychiatrie, die im Gegensatz zu Kraepelin das Konzept "Psychiatrische und Nervenklinik" verfolgten und sich als "Nervenärzte" gleichermaßen den psychiatrisch als auch den neurologisch Erkrankten verpflichtet fühlten. Der dringlichen Empfehlung des Wissenschaftsrates zur Gründung unabhängiger Neurologie-Lehrstühle musste sich Kolle schließlich fügen. Ganz rechts in der mittleren Reihe ist der Ordinarius für Innere Medizin Gustav Bodechtel (1899-1983) gezeigt, der mit der Einrichtung eines von dem Kaufmann Friedrich Baur gestifteten Instituts (FBI) an seiner Klinik die Verselbständigung der Neurologie in München einleitete. Diese erfolgte erst 1971 mit Gründung einer eigenständigen Klinik, der schließlich auch das FBI als Spezialeinrichtung für neuromuskuläre Erkrankungen zugeordnet wurde. In der unteren Reihe: Adolf Schrader (1912-2002, Ordinarius 1971), Thomas Brandt (Jahrgang 1943, Ordinarius 1984) sowie Marianne Dieterich (Jahrgang 1956, Ordinaria 2008 und auf ihrer unmittelbar vorangegangenen Position in Mainz die erste Frau auf einem Lehrstuhl für Neurologie in Deutschland).

Neurologie als klinische "Systemwissenschaft" durch Kooperation von Ärzten, Ingenieuren und Grundlagenforschern

Schraders Nachfolger wurde 1984 Thomas Brandt (Jahrgang 1943), ein Schüler von Richard Jung (1911-1986), dem langjährigen Direktor der Klinik für Neurologie an der Universität Freiburg, selbst ehemals Doktorand der Münchner Schule [24] und Mitbegründer der klinischen Neurophysiologie. Brandt war mit modernen neurophysiologischen und psychophysischen Methoden vertraut, als er mit erst 32 Jahren Chefarzt für Neurologie am Alfried Krupp Krankenhaus in Essen wurde. In München hatte der wie Jung neurophysiologisch arbeitende und ebenfalls eine ganze Forschergeneration prägende Otto Detlev Creutzfeldt (1927-1992) am Max-Planck-Institut für Psychiatrie zwar erstmals visuell evozierte Potenziale abgeleitet [25], aber die neuen Methoden hatten noch nicht den Weg in die klinische Anwendung gefunden. Brandt brachte aus Essen nicht nur die Neurophysiologie mit, sondern auch Bioingenieure als Ausdruck seiner Überzeugung, dass die sensomotorische Steuerung biologischer und technischer Systeme eng verwandten Gesetzmäßigkeiten unterliegt [26].

Biologische Prinzipien inspirieren technische Konzeptionen; andererseits sind mathematisch-systemtheoretische Modellbildungen essenziell für das Verständnis von Hirnfunktionen und neurologischen Erkrankungen. Biologische Systeme, durch die Evolution über Millionen von Jahren optimiert, können neue Wege zur Optimierung der sensomotorischen Steuerung von Robotern und medizinischen Neuroprothesen aufzeigen. Ein Beispiel ist die von Brandt mit dem Ingenieur Erich Schneider entwickelte blickgesteuerte "Kopfkamera" [27] (Abb. 3 rechts unten).

Abb. 3:
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© Gebäude: Brandt T et al. PLoS One 2015;10(10):e0141257; Kopfkamera: Neurolog. Klinik der LMU München

Die Forschung von Thomas Brandt als Inhaber der ersten deutschen Seniorprofessur für Klinische Neurowissenschaften griff unter anderem auf seine früheren sinnesphysiologischen Experimente zurück. Das Beispiel bildet die verzerrten mentalen Repräsentationen ab [32], wenn die realen Größenverhältnisse (A) des Klinikumgebäudes am Campus Großhadern der LMU von langjährigen Mitarbeitern aus dem räumlichen Gedächtnis wiedergegeben werden sollten. Neben Streckung in die Höhe und Stauchung in der Horizontalen (B) können die "Bilder vor dem geistigen Auge" auch Kurvaturen (C) aufweisen. Als zweites Beispiel (rechts unten) ist das neuartige mobile Kamerasystem zu nennen, das den Bereich filmt, auf den der Blick gerichtet ist. Der Benutzer trägt ein kopffixiertes Kamerasystem mit einer an der Brille befestigten Video-Okulografie. Die Augenposition wird in ein Signal zur Steuerung von Servomotoren transformiert, womit die optische Achse der in den drei Raumachsen beweglichen Kamera eingestellt und den Blickachsen nachgeführt wird. Anwendung neben der Raumorientierungsforschung [37] ist beispielsweise die Dokumentation komplexer sensomotorischer Vorgänge wie die Durchführung einer Operation [27].

Unter Brandt entwickelte die Neurologische Klinik ein breiteres Diagnostikspektrum mit umfassenden Neurophysiologie- und Ultraschallmethoden, Genetiklabor sowie einer Verselbständigung der Neuroradiologie als eigene Abteilung (1996 Hartmut Brückmann) an der Klinik für Radiologie. Zu den neuen Schwerpunkten der Klinik gehörten Einheiten für Schwindeldiagnostik, Bewegungsstörungen (inklusive tiefer Hirnstimulation), Kognitive Neurologie und Epilepsiemonitoring sowie eine Schlaganfalleinheit. Ein Institut für Klinische Neuroimmunologie (1999 Reinhard Hohlfeld) und - zusammen mit Anästhesie und Onkologie - das Interdisziplinäre Zentrum für Palliativmedizin (1999 Gian-Domenico Borasio) wurden als eigenständige Lehrstühle errichtet. Darüber hinaus wurden vielfältige Kooperationen zu anderen Instituten und Kliniken innerhalb und außerhalb der LMU aufgebaut, internationale Kooperationen eingeschlossen. Parallel zum Personalaufwuchs (5 C3/W2 Professuren, Stellen für 6 weitere Oberärzte, 40 Assistenzärzte, ca. 42 Wissenschaftler über Drittmittel) steigerten sich auch die Forschungsleistungen in allen Bereichen. Der Publikationsstrom aus der Klinik wurde durch Initiativen wie die Graduiertenkollegs "Sensorische Interaktionen in biologischen und technischen Systemen" und "Orientierung und Bewegung im Raum", die Klinische Forschergruppe "Vestibuläres System und Okulomotorik" der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), den DFG-Sonderforschungsbereich "Sensomotorik bei Mensch und Maschine" sowie das Münchner "Bernstein Center for Computational Neuroscience" (seit 2005) unterstützt. Forschungsprojekte wurden auch durch Gewinnung hochmotivierter internationaler Studenten in der Folge von Brandts Mitwirkung an der Gründung einer Graduiertenschule der LMU im Rahmen der Exzellenzinitiative, der "Graduate School of Systemic Neuroscience" (seit 2006) verwirklicht. Bereits 1993 waren neue Forschungsflächen des "Instituts für Sensomotorik" in einem Forschungspavillon bezogen worden, erbaut im Gefolge von Bleibeverhandlungen nach einem Ruf Brandts nach Zürich.

Das Friedrich-Baur-Institut (FBI) blieb bis zum Jahr 2000 zum Lehrstuhl der Inneren Medizin zugehörig und wurde von 1980 bis 2007 von dem Internisten und Neurologen Dieter Pongratz (1941-2017) geleitet. Am 01.06.2001 wurde die Zugehörigkeit des FBI zur Neurologie institutionalisiert als "Institut der Medizinischen Fakultät an der Neurologischen Klinik".

Das von den drei Jung-Schülern Brandt, Dichgans und Diener 1987 in erster Auflage konzipierte und mittlerweile von ihren Nachfolgern in 8. Auflage herausgegebene Buch "Therapie und Verlauf Neurologischer Erkrankungen" [28, 29] entwickelte sich rasch zum Standardwerk im deutschen Sprachraum und spiegelt die Entwicklung der Neurologie vom Diagnostikfach für seltene Erkrankungen zum breit aufgestellten therapeutischen Fach wider. Ebenso bedeutend wurden auch Brandts "Vertigo"-Bücher [30, 31].

Nach seinem Ausscheiden als Klinikdirektor ist Thomas Brandt seit 2008 als erster Hertie-Senior-Stiftungsprofessor (Lehrstuhl für Klinische Neurowissenschaften) in seinen Spezialgebieten wie der allgemeinen Sinnesphysiologie [32] weiter aktiv (Abb. 3). Er hat als Gründungssprecher 2009 das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanzierte "Integrierte Forschungs- und Behandlungszentrum für Schwindel und Gleichgewichtsstörungen" eingerichtet, das nach Auslaufen der Förderung zehn Jahre später gemeinsam mit seiner Nachfolgerin Marianne Dieterich als unabhängiges Zentrum am Klinikum Großhadern mit mehreren Professuren institutionalisiert wurde. Als "Deutsches Schwindel- und Gleichgewichtszentrum" (DSGZ) gilt es heute als international führend und steht jetzt unter Leitung des Neurologen Andreas Zwergal.

Neurowissenschaftliche Bildgebung mit MRT und PET sowie umfassende neurologische Akuttherapie

Marianne Dieterich (Jahrgang 1956) übernahm 2008, nach siebenjähriger Tätigkeit an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz als erste Ordinaria für Neurologie im deutschsprachigen Raum, die Leitung der Münchner Klinik. 1981 an der Neurochirurgischen Universitätsklinik in Essen promoviert, hatte sie schon langjährig an der Neurologischen Klinik der LMU als Assistentin und später Oberärztin gearbeitet.

Das Konzept einer breit aufgestellten Neurologie mit vielen verschiedenen Spezialbereichen unter einem Dach und in enger Verknüpfung zu den Nachbardisziplinen wurde von Marianne Dieterich fortgeführt und ausgebaut, um fächerüberschreitend eine bestmögliche Diagnostik und Therapie, abgestimmt auf den einzelnen Patienten, anbieten zu können (personalisierte Medizin).

So wurde das Epilepsiezentrum weiterentwickelt und kann in Zusammenarbeit mit dem Haunerschen Kinderspital prächirurgische Epilepsiediagnostik auch außerhalb der Erwachsenenneurologie anbieten. Multimodale Bildgebung in Verbindung mit konventionellem Oberflächen-EEG oder intrakranieller EEG-Ableitung und elektrischer Stimulation wurde als Grundlage der gemeinsamen Operationsplanung zwischen Neurologie und Neurochirurgie verfeinert [33]. Wenn eine chirurgische Behandlung der Epilepsie, z. B. bei medikamentöser Therapieresistenz, indiziert ist, kann mit derart detaillierter anatomischer und epileptologischer Planung individualisiert auf die jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalls eingegangen werden (Abb. 4 links).

Abb. 4:
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© Neurolog. Klinik der LMU München

Ohne die neuesten informationstechnologischen Verfahren sind die an der Neurologischen Klinik unter Marianne Dieterich etablierten Therapiemöglichkeiten nicht denkbar. Auf dem Bild links wurde die Gehirnoberfläche aus einer Vielzahl von multimodal erhobenen Daten samt den Venen als Leitstrukturen für ein epilepsiechirurgisches Vorgehen dreidimensional rekonstruiert [33]. In diesem individuell genau analysierten Fall erfolgte eine therapeutische Exzision des epileptogenen Areals, das als umschriebene Einsenkung des Gyrus frontalis medius rechts erkennbar ist. Durch Schussverletzung entstanden, hatte es eine medikamentös therapieresistente Epilepsie mit Status epilepticus verursacht. Die Aufnahme rechts entstand während einer telemedizinischen Untersuchung im Rahmen von NEVAS ("Neurovaskuläres Telemedizin Versorgungsnetzwerk Südwest Bayern"). Gemeinsam mit dem am Bett des Patienten mit Schlaganfall-Verdacht befindlichen Kollegen des peripheren Krankenhauses wird vom NEVAS-Arzt am Klinikum Großhadern die neurologische Untersuchung durchgeführt (hier Armhalteversuch). Am zweiten Monitor werden die externen neuroradiologischen Aufnahmen zur abschließenden Beurteilung analysiert, ggf. zur Indikationsstellung für systemische Thrombolyse und anschließendem Transport ("drip and ship") zur endovaskulären Thrombektomie am Zentrum in Großhadern.

Nach dem Ausscheiden von Dieter Pongratz wurde das FBI neu strukturiert und breiter aufgestellt mit einer Grundlagenprofessur und vier klinisch-wissenschaftlich tätigen Professorinnen und Professoren sowie einem weiteren Oberarzt und einer weiteren Oberärztin, die die gesamte Breite neuromuskulärer Erkrankungen abdecken und insbesondere auf dem Gebiet seltener Erkrankungen wissenschaftlich sehr aktiv sind.

Die Stroke Unit wurde erweitert und ein "Neurovaskuläres Telemedizin Versorgungsnetzwerk Südwest Bayern" (NEVAS) mit drei Zentren und 16 Kliniken aufgebaut, das pro Jahr 2.550 Patienten telemedizinisch versorgt (Abb. 4 rechts). So wird flächendeckend eine frühzeitige Thrombolyse bei Hirngefäßverschlüssen und - zusammen mit den Neuroradiologen - deren mechanische Rekanalisation [34] auch für Patienten aus ländlichen Regionen ermöglicht. Wie an der Schlaganfallmedizin deutlich wird, entwickelte sich die Neurologie zunehmend zu einem Fach der Notfallmedizin und der Akutversorgung. Damit wurden neue Strukturen mit ständiger Arztpräsenz in der zentralen Notaufnahme erforderlich.

Die Interdisziplinäre Zentrale Notaufnahme (ZNA) am Klinikum Großhadern wurde unter Dieterichs Leitung neu organisiert und, auch exemplarisch für andere große Kliniken, ausgebaut. Die ZNA erhielt eine neurologische oberärztliche Leitung, wofür dieses Fach aufgrund der vielen interdisziplinären Kooperationen als Querschnittsfach besonders geeignet ist. Die neue Gewichtung der Akuttherapie erforderte eine Umstellung der gesamten Klinikstruktur auf Ganztagsdienstsysteme (24/7), die durch 5 parallele Schichtdienste (1 Ärztin/Arzt in der ZNA, 1 Ärztin/Arzt auf Stroke Unit, 2 Ärztinnen/Ärzte auf Intensivstation, 1 Ärztin/Arzt für NEVAS-Telemedizin) mit durchgehender oberärztlicher Rufbereitschaft verwirklicht wurden.

Durch Unterstützung einer großen Stiftung (Solorz-Żak) wurde 2009 ein Lehrstuhl (Martin Dichgans) und Institut für Schlaganfall- und Demenzforschung (ISD) am Klinikum der Universität eingerichtet. Zwischen ISD und Neurologischer Klinik besteht eine enge klinische und wissenschaftliche Kooperation über die Stroke Unit. Das ISD bezog 2015 zusammen mit dem Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE München) sowie dem Lehrstuhl für Stoffwechselbiochemie der LMU (Christian Haass) einen großzügigen Neubau am Campus Großhadern. Haass ist Sprecher im "Munich Cluster for Systems Neurology" (SyNergy), einer Förderlinie der DFG für Eliteuniversitäten (in München in Kooperation von LMU und Technischer Universität), wo Marianne Dieterich mit Mitarbeitenden der Arbeitsgruppe "Klinische Neurodegeneration" den klinischen Teil in Studien zur Alzheimer-Krankheit und anderen Demenzformen, zum Down-Syndrom sowie zur Amyotrophen Lateralsklerose vertritt.

Der persönliche klinisch-wissenschaftliche Schwerpunkt von Marianne Dieterich umfasst neben Sensomotorik, Schwindel und Gleichgewicht methodisch vor allem die Bildgebung. Als wesentliche Verbesserung der Schwindeldiagnostik wurde die Neuroorthoptik eingeführt zur Untersuchung von Bewegungsstörungen und Fehlstellungen der Augen mit Hilfe von Laser-Scanning-Ophthalmoskopie, Videookulografie und Bestimmung der subjektiven visuellen Vertikale, dem empfindlichsten topografischen Indikator für einseitige Labyrinth- oder Hirnstammläsionen. Als Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft für neurologische Bildgebung innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie (DGKN) erarbeitete Dieterich mit Vertretern der beteiligten Fachgesellschaften ein interdisziplinäres Konzept, das schließlich zur Umbenennung in "Deutsche Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung" führte. Strukturelle und funktionelle Bildgebungsmethoden mittels MRT, PET und EEG wurden an der LMU klinisch und wissenschaftlich für unterschiedliche neurologische Fragestellungen aufgebaut und weiterentwickelt (an der Epilepsiechirurgie beispielhaft in Abb. 4 links illustriert). Klinisch-wissenschaftlich ist Marianne Dieterich führend auf dem Gebiet der Bildgebung des vestibulären Systems sowie multisensorischer, sensomotorischer und kognitiver Interaktionen und der häufigen funktionellen (früher psychosomatischen) Erkrankungen. Zusammen mit Michael Strupp und Thomas Brandt organisiert sie an der LMU Jahr für Jahr die deutschlandweit und international attraktiven Seminare "Vertigo" und aktuell erscheint die 3. Auflage des deutschen und des englischen Lehrbuchs zum Thema [35, 36].

Marianne Dieterich folgt der Devise "Generalistin im Fach trotz klinisch-wissenschaftlicher Spezialisierung". Ausdruck dafür ist auch ihr 15-jähriges Engagement in der wissenschaftlichen Leitung der Großveranstaltung "NeuroUpdate", die jährlich in Mainz und Berlin stattfindet und einen kompakten Überblick über die aktuellen Entwicklungen in den verschiedenen Bereichen der Neurologie bietet.

Ausblick

Die Entwicklung der letzten Dekaden hat gezeigt, dass sich die Neurologie (ähnlich wie Innere Medizin und Chirurgie) zunehmend in Spezialbereiche aufgliedert, wie sie Neuroimmunologie, Neuroonkologie oder Epileptologie sowie die Spezialisierungen auf Bewegungsstörungen und auf neurovaskuläre oder auf neuromuskuläre Erkrankungen darstellen. Zunehmend entstehen daher neurologische Kliniken mit nur ein oder zwei Schwerpunkten unter Vernachlässigung der klinischen Breite. Das mag für die Forschung sinnvoll und notwendig sein, ist aber für den Patienten mit akuten neurologischen Beschwerden oft unzureichend und auch der Ausbildung zukünftiger Fachärztinnen und Fachärzte nicht förderlich.

Optimale Patientenversorgung wie auch breite und zugleich qualifizierte Ausbildung der nachwachsenden Ärztegenerationen sind auch künftig am besten gewährleistet, wenn sie mit vielfältigen Aktivitäten in der Forschung einheitlich unter einem gemeinsamen neurologischen Dach zusammengehalten werden. So lassen sich neue Erkenntnisse aus allen Zweigen der neurowissenschaftlichen Grundlagenforschung auf kürzestem Wege in die praktische Anwendung übertragen (translatieren).

Klinisches Credo der Neurologischen Klinik der LMU war stets, dass die Versorgung der Patienten den Generalisten erfordert, der fallweise einen Spezialisten zu Rate ziehen kann: An einer großen Universitätsklinik mit vielen neurologischen Experten ist das gut zu verwirklichen. Das bedeutet nicht, dass man nicht auch Veränderungen der herkömmlichen Fächerordnung diskutieren kann, indem man sich etwa interdisziplinär an Leitsymptomen orientiert. Für Schmerz/Kopfschmerz ist dies an einigen Kliniken bereits realisiert und auch an der LMU wurde dieser Weg für das Leitsymptom Schwindel beschritten, mit dem international noch einmaligen interdisziplinären Deutschen Schwindel- und Gleichgewichtszentrum. Im DSGZ findet Translation auf unterschiedlichen Ebenen statt, nicht nur zwischen Grundlagenforschung und Klinik, zwischen den verschiedenen beteiligten Berufsgruppen oder den Fächern HNO und Neurologie, sondern auch in der Versorgung der Patienten von der Kindheit bis zum Senium.