Zusammenfassung
Die Semantik ist das Teilgebiet der Linguistik, das sich mit den Bedeutungen natürlichsprachlicher Ausdrücke befasst. Allerdings ist nicht jedes Bedeutungsphänomen auch ein semantisches Phänomen. Bestimmte Bedeutungen werden in der Pragmatik, einem weiteren Teilgebiet der Linguistik, analysiert, sodass wir nach einer Klärung der Frage, was Bedeutungen grundsätzlich sind, die Beziehungen und Abgrenzungen zwischen der Semantik und der Pragmatik behandeln werden.
Als ein Beispiel für die Unterscheidung zwischen der Semantik und der Pragmatik mag die folgende Situation dienen: Zwei Personen sitzen in einem Raum, in dem ein Fenster geöffnet ist. Einer der beiden Personen ist es zu kalt, und sie fragt daher: Kannst Du das Fenster schließen? Dieser Fragesatz ist eine Entscheidungsfrage, die man mit ja oder nein beantworten könnte. Würde die angesprochene Person jedoch auf diese Weise antworten, ohne das Fenster tatsächlich zu schließen, hätte dies eine gewisse soziale Note, denn die Frage war gar nicht als Frage, sondern als (höfliche) Aufforderung gemeint.
Wie eine solche Frage als Aufforderung zu interpretieren ist, ist z. B. ein Problem, das in der Pragmatik behandelt wird. Die Semantik beschäftigt sich hingegen z. B. mit der Frage, was die einzelnen Wörter des Satzes generell bedeuten und wie diese Wortbedeutungen zur Bedeutung eines Satzes kombiniert werden.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Similar content being viewed by others
Literatur
Bach, E. (1989). Informal Lectures on Formal Semantics. Albany: State University of New York Press.
Bierwisch, M. (1983). Semantische und konzeptuelle Repräsentation lexikalischer Einheiten. In R. Ružika, & W. Motsch (Hrsg.), Untersuchungen zur Semantik (S. 61–99). Berlin: Akademie-Verlag.
Blank, A. (2001). Einführung in die lexikalische Semantik für Romanisten. Tübingen: Max Niemeyer Verlag.
Cruse, D. A. (1991). Lexical Semantics. Cambridge: Cambridge University Press.
Edmonds, P., & Hirst, G. (2002). Near-synonymy and Lexical Choice. Computational Linguistics, 28(2), 105–144.
Gamut, L. T. F. (1991). Logic, Language and Meaning. Chicago: University of Chicago Press.
Geeraerts, D. (2010). Theories of lexical semantics. Oxford: Oxford University Press.
Gutzmann, D. (2019). Semantik. Eine Einführung. Stuttgart: Metzler.
Heim, I., & Kratzer, A. (1998). Semantics in Generative Grammar. Oxford: Blackwell.
Horn, L. (1989). A natural history of negation. Chicago: University of Chicago Press.
Jacobs, J. (1982). Syntax und Semantik der Negation im Deutschen. München: Fink.
King, L. (1992). The Semantic Structure of Spanish. Amsterdam: John Benjamins.
Löbner, S. (2015). Semantik. Eine Einführung (2. Aufl.). Berlin: Walter de Gruyter.
Mehl, S. (1993). Dynamische semantische Netze. Zur Kontextabhängigkeit von Wortbedeutungen. Sankt Augustin: infix Verlag.
Mihatsch, W. (2006). Kognitive Grundlagen lexikalischer Hierarchien. Tübingen: Max Niemeyer Verlag.
Nuyts, J., & Pederson, E. (1997). Language and conceptualization. Cambridge: Cambridge University Press.
Ogden, C. K., & Richards, I. A. (1923). The meaning of meaning. London: Routledge and Kegan Paul.
Pafel, J., & Reich, I. (2016). Einführung in die Semantik. Grundlagen – Analysen – Theorien. Stuttgart: Metzler.
Pfeiffer, H. (1996). Das große Schimpfwörterbuch. München: Wilhelm Heyne Verlag.
von Polenz, P. (2008). Deutsche Satzsemantik (3. Aufl.). Berlin: de Gruyter.
Schildt, J. (1969). Gedanken zum Problem Homonymie – Polysemie in synchronischer Sicht. Zeitschrift für Phonetik, Sprachwissenschaft und Kommunikationsforschung, 22, 352–359.
Raible, W. (1983). Zur Einleitung. In H. Stimm, & W. Raible (Hrsg.), Zur Semantik des Französischen (S. 1–24). Wiesbaden: Steiner.
Reich, I. (2022). Bedeutungstheorien. In R. Klabunde, W. Mihatsch, & S. Dipper (Hrsg.), Linguistik im Sprachvergleich (S. 389–412). Stuttgart: Metzler. Kap. 19.
Riemer, N. (2010). Introducing Semantics. Cambridge: Cambridge University Press.
Rosch, E. (1978). Principles of categorization. In E. Rosch, & B. B. Lloyd (Hrsg.), Cognition and categorization. Erlbaum.
Saeed, J. (2022). Semantics (5. Aufl.). Oxford: Blackwell.
Uszkoreit, H. (2001). Vorlesungsfolien Einführung in die Computerlinguistik. http://slideplayer.de/slide/645960/
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Editor information
Editors and Affiliations
Appendices
Antworten zu den Selbstfragen
Selbstfrage 1
Die Konzepte des Numerals, der beiden Adjektive und des Nomens werden auf der Basis der syntaktischen Struktur der Konstituente miteinander kombiniert. Das Konzept bestimmt drei Äpfel, die groß (sich also auf einer Größenskala oberhalb eines Normalwerts oder eines im Kontext bestimmten Werts befindend) und grün sind. Die Denotation umfasst den Schnitt der Menge der Äpfel mit der Menge der grünen Dinge sowie der Menge der großen Dinge. Diese Schnittmenge enthält mindestens drei Elemente.
Das Konzept zu vollmundige Ankündigung kann nicht als Intersektion analysiert werden, also den Schnitt zweier Denotationen bestimmen; eine vollmundige Ankündigung ist nicht der Schnitt der Menge der Ankündigungen mit der Menge der vollmundigen Entitäten. Vielmehr drückt vollmundig eine bestimmte Einstellung des Sprechers zu einer Ankündigung aus.
Selbstfrage 2
Die kontextfreie Ausdrucksbedeutung ist die Angabe, dass drei Männer, über die nichts weiter bekannt ist, in einer Trinken-Relation zu fünf Bieren stehen. Es gibt keine Information, ob die drei Männer zusammen fünf Biere trinken (die sog. „kumulative Lesart“) oder jeder für sich (die sog. „distributive Lesart“). Eine mögliche Ausdrucksbedeutung beinhaltet die Festlegung der Referenz von Drei Männer sowie die Festlegung, ob eine kumulative oder eine distributive Lesart vorliegt (i. e., ob sie gemeinsam die fünf Biere trinken oder jeder für sich). Ein möglicher kommunikativer Sinn wäre z. B. in einer entsprechenden Situation ein Ratschlag an einen Wirt, mehr Bier zu zapfen.
Selbstfrage 3
Die Vertrauheit zwischen Sprecher/Grüßendem und dem Gegrüßten wird von Beispiel zu Beispiel als stärker signalisiert. Die sozialen Bedeutungen sind unterschiedlich.
Selbstfrage 4
Deskriptive Bedeutungen von Wohnung und Bude: Wohnbereich in einem Gebäude. Expressive Bedeutung von Bude: Abwertende Einstellung des Sprechers zu der Wohnung. Mögliche Konnotationen von Wohnung: gemütlich, möbliert, geräumig …Mögliche Konnotationen von Bude: verwohnt, schäbig, klein …
Deskriptive Bedeutungen von sterben und von uns gehen: Übergang vom Zustand des Lebendig-seins in den Zustand des Tot-seins. Sterben hat keine expressive Bedeutung. Expressive Bedeutung von von uns gehen: distanzierende, beschönigende Einstellung des Sprechers zu diesem Zustandswechsel. Mögliche Konnotationen von sterben und von uns gehen: Trauer, Erlösung vom Leiden, Sarg …
Selbstfrage 5
Bei der kumulativen Lesart (die drei Männer tragen gemeinsam das Klavier) gibt es zwei Lesarten: Jeder nutzt einen eigenen Spanngurt, oder ein Spanngurt wird gemeinsam verwendet. Bei der distributiven Lesart (jeder Mann trägt sein eigenes Klavier) kann entweder jeder einen eigenen Spanngurt verwenden, oder sie verwenden einen Gurt gemeinsam. Es gibt also vier Lesarten. Die Möglichkeit der gemischten Interpretation „distributiv sowie für eine Zweiermenge kumulativ“ betrachten wir nicht.
Selbstfrage 6
Hahn: männliches Tier bei diversen Vogelarten, insbesondere dem Haushuhn; Wetterfahne in Gestalt des männlichen Vogels; Armatur wie z. B. beim Zapfhahn oder Wasserhahn. Ähnlichkeit der Form der Wetterfahne bzw. der Armatur mit dem Huhn als Basis für Polysemie.
Selbstfrage 7
Lesarten von Universität: Gebäude (Die Universität befindet sich an der Nobelstraße), Campus (Die Universität liegt am Rheinufer), Institution (Die Universität beschließt die Bachelorreform, Sie ist Dozentin an einer Universität), Mitglieder der Institution (Die Universität streikt für die Anwesenheitspflicht), Prinzip des Erkenntnisgewinns und der Wissensvermittlung (Die Universität wird alle Gesellschaftsformen überdauern). Es handelt sich um Polysemie.
Selbstfrage 8
Hyponyme: schreiten, latschen, trippeln, dackeln …
Hyperonym: sich fortbewegen
Selbstfrage 9
Cousin ist gegenüber Vetter stilistisch gehobener: Cousin von Königin Elisabeth II. vs. Vetter von Königin Elisabeth II. (i. e. Prinz Richard); Cousin von Donald Duck und Gustav Gans vs. Vetter von Donald Duck und Gustav Gans (i. e. Dussel Duck) Dieser Bedeutungsunterschied zeigt sich auch in den angegebenen Korpusbelegen.
Selbstfrage 10
Auf einer Größenskala denotieren winzig und riesig die Endbereiche. Sie sind also Antonyme. Der Unterschied zu den Antonymen klein und groß ist der Bezug auf einen kleineren Bereich als bei den genannten Adjektiven: Ist etwas winzig, ist es auch klein, aber kleine Dinge sind nicht zwingend winzig.
Selbstfrage 11
Direktionale Opposition: früher, später; gestern, morgen; Vergangenheit, Zukunft
Komplementäre Ausdrücke: Tag, Nacht; Arbeitstag, Feiertag
Selbstfrage 12
Die kompositionelle Bedeutung orientiert sich an der syntaktischen Struktur. Diese sei [Ein [Lokomotivführer [aus Lummerland]\({}_{\mathrm{PP}}\)]\({}_{\mathrm{N^{\prime}}}\)]\({}_{\mathrm{NP}}\). Dann wird die Bedeutung von aus Lummerland mit der Bedeutung von Lokomotivführer kombiniert (räumliche Lokalisierung der Menge von Lokomotivführern) und anschließend die Semantik dieses Ausdrucks mit der Semantik des indefiniten Artikels ein.
Aufgaben
Die folgenden Aufgaben sind unterschiedlich schwierig zu lösen. Die Einschätzung der Schwierigkeitsgrade ist natürlich individuell verschieden. Sie sollten daher nicht an sich zweifeln, wenn Sie eine Aufgabe, die als einfach klassifiziert ist, als schwer empfinden.
- \(\bullet\) :
-
einfache Aufgaben
- \(\bullet\bullet\) :
-
mittelschwere Aufgaben
- \(\bullet\bullet\bullet\) :
-
anspruchsvolle Aufgaben, die fortgeschrittene Konzepte benötigen
5.1
\(\bullet\) Analysieren Sie die folgende Hotelbewertung (von der Bewertungsseite tripadvisor.de) bzgl. der unterschiedlichen Bedeutungsarten (deskriptive, soziale und expressive Bedeutung):
War mit meinem Enkel da, ansonsten gabs zu 90 % Engländer, die sich fast alle sehr ungehörig benehmen, laut und sehr rücksichtslos, zudem wurde um 7 Uhr in der Früh’ mit dem Laubsauger und anderen Höllenmaschinen gearbeitet, es war nicht erholsam, nachts lagen wir in der Disco, das war nicht lustig!
5.2
\(\bullet\) Betrachten Sie die Paare engl. prize/award sowie dt. Couch/Sofa und Myokardinfarkt/Herzinfarkt: Welche Art von Synonymie liegt vor? Bitte begründen Sie Ihre Entscheidung anhand von Korpusbelegen.
5.3
\(\bullet\) Sind die Nomenpaare Held/Feigling, Genie/Dummkopf sowie Riese/Gartenzwerg Antonymenpaare? Bitte begründen Sie auch diese Entscheidung anhand von Korpusbelegen.
5.4
\(\bullet\bullet\) Geben Sie zu dem Satz Das Wesen des vorliegenden Buches wird man am besten beurtheilen können, wenn ich kurz angebe, wie ich dazu kam, es zu schreiben. (Charles Darwin 1874, Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, Kap. 2; siehe gutenberg.spiegel.de/buch/4526/2) die Ausdruckbedeutung an sowie zwei mögliche Äußerungsbedeutungen.
5.5
\(\bullet\bullet\) Rufen Sie das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache unter www.dwds.de auf. Geben Sie Belege für Verwendungen der folgenden Wörter an und erläutern Sie die Semantik dieser Wörter: Liegt Bedeutungsvielfalt vor und, falls ja, ist die Bedeutungsvielfalt jeweils ein Beispiel für Polysemie, Metonymie, Differenzierung? Listen Sie möglichst viele der Lesarten auf: gehen, finden, besessen, gut, Kaffee.
Rights and permissions
Copyright information
© 2023 Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature
About this chapter
Cite this chapter
Klabunde, R. (2023). Semantik – die Bedeutung von Wörtern und Sätzen. In: Klabunde, R., Mihatsch, W. (eds) Linguistik. J.B. Metzler, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-66612-8_5
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-662-66612-8_5
Published:
Publisher Name: J.B. Metzler, Berlin, Heidelberg
Print ISBN: 978-3-662-66611-1
Online ISBN: 978-3-662-66612-8
eBook Packages: J.B. Metzler Humanities (German Language)