Zusammenfassung
Der Aufsatz stellt noch einmal die Rolle, die Georg Philipp Harsdörffer in der Vermittlung der Konversationskultur der Romania, aber insbesondere Italiens gespielt hat, dar. In seinem achtbändigen Werk Frauenzimmer Gesprächspiele führt er die Kunst der Konversation praktisch vor, lässt aber seine Personen auch über die Bedingungen einer gelungenen Konversation diskutieren. Nutzen und Kurzweil sind Eckpunkte, zwischen denen sich die Themen bewegen sollen, die der Gesellschaft anzupassen sind. Nach dem Vorbild der italienischen Konversationsspiele hat Harsdörffer auch Frauen als Gesprächsteilnehmerinnen eingeführt. Eine kurze Analyse der Widmungsempfänger zeigt, dass das Werk vor allem in adligen Kreisen rezipiert wurde.
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Notes
- 1.
Von den ersten zwei Bänden, die 1641 und 1642 im Oktavformat erschienen, gibt es eine zweite Auflage (1644 und 1647) im demselben Queroktavformat wie die Bände ab Band 3. Im ersten Teil der ersten Auflag gab es nur vier Personen, die das Gespräch bestritten. Ich zitiere im Folgenden die Frauenzimmer Gesprächspiele mit der Abkürzung FZG und der Seitenzahl des Neudrucks (Harsdörffer 1968-1968). Die Harsdörffer Forschung hat sich in den letzten Jahren vor allem dem erzählerischen Werk Harsdörffers zugewendet. Die Gesprächspiele finden als Enzyklopädie Beachtung aber nicht in ihrer Eigenheit als Konversation.
- 2.
Zu den italienischen Akademien generell: Quondam 1982. Die Fruchtbringende Gesellschaft selbst geht auf das Vorbild der Academia della Crusca zurück.
- 3.
- 4.
„non può il letterato assicurarsi del suo sapere, infin che non viene ad accozzarsi con altri letterati, con i quali discorrendo, e disputando, si certifica del suo valore;“ (Guazzo 1993, S. 30).
- 5.
„E voglio dirvi di più, che sarebbe errore il credere, che la dottrina s’acquisti più nella solitudine fra i libri, che nella conversazione fra gli uomini dotti, perciocché la prova ci dimostra, che meglio s’apprende la dottrina per le orecchie, che per gli occhi […] e ricever per l’orecchie quella viva voce, laquale con mirabil forza s’imprime nella mente. Oltre che abbattendovi nel leggere in qualche oscura difficoltà, non potete pregare il libro che ve la dichiari, e vi conviene tal’ ora partirvi da lui malcontento […]. Dal che potete riconoscere quanto più util cosa sia il parlar coi vivi, che coi morti.“ (Guazzo 1993, S. 30).
- 6.
Siehe dazu Zeller 2010.
- 7.
Diese Abgrenzung von den körperlichen Spielen wird auch bei Harsdörffer immer wieder thematisiert. Es geht dabei um ein Kulturprogramm, das die bei Adligen üblichen Spiele wie Ballspiel, reiten usw. durch geistige Spiele ersetzen will.
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Charles Sorel erwähnt Ringhieri als Vorläufer in seiner Maison des Jeux (1642). Siehe F. Lecercle 1982, S. 195 f.
- 9.
Bargagli 1982. Es gab weitere Ausgaben 1574, 1575, 1581, 1591, 1592, 1598, 1609.
- 10.
Siehe z. B. FZG II, 117: „Dieses Spiel ist im Ende nichts anders / als eine Erzehlung einer Mähr / mit welcher Art Gesprächen sich die Spanier / Italianer und Frantzosen so sehr belustigen.“ Für Mähr am Rande: il novellare. Siehe Zeller 2006, S. 193.
- 11.
Er verweist am Rand auf Scipione Bargaglis Delle lodi delle Accademie (1569). An anderer Stelle weist Reymund darauf hin, dass „die Senesischen von Adel“ zur Übung der Gesprächspiele zusammengekommen seien, welche sie so eingerichtet hätten, dass „solche dem Frauenzimmer gemäß seyn möchten.“ (FZG III, 152) Im VIII. Teil sagt Degenwert: „Den Anfang der Gesprächspiele und derselben Erfindungen / haben wir dem Italianischen Frauenvolk zu danken / denen sie zu Ehren ersonnen worden […].“ (FZG VIII, 117). Zu Harsdörffer und den italienischen Akademien siehe auch Battafarano 1994.
- 12.
- 13.
Zu diesem Zusammenhang von Dialog und Spiel siehe Silke Segler-Messer 2002, S. 48 und S. 66.
- 14.
Sorel 1977, Advertissement au lecteur.
- 15.
Zum Ort der Konversation siehe Strosetzki 1988, S. 17–30.
- 16.
FZG IV, 472. Harsdörffer übernimmt hier eine Definition von Guazzo, wonach die Zahl der Teilnehmer nicht weniger als die Zahl der Musen und nicht mehr als die Zahl der Grazien sein soll (nach Fumaroli 1992, S. 13).
- 17.
Guazzo sagt, dass die Gesellschaft harmonisch sein müsse wie Orgelpfeifen (nach Fumaroli 1992, S. 13).
- 18.
Ähnlich FZG III, 118.
- 19.
„so solle solcher Regent / sich mit den Aufgaben der Gesprächspiele / nach der anwesenden Geselschaft richten / niemand fragen / was derselbe nicht zu beantworten weiß: jedem das / was er kan und wol verstehet / zu erweisen auferlegen.“ (FZG III, 168) Vgl. auch FZG I, 305; II, 240, IV, 471.
- 20.
Schon im III. Teil wird suggeriert, er habe „umb die Zahl [100] zu erfüllen / viel wunderliche und wie gedacht / unübliche Sachen fürgebracht […].“ (FZG III, 142).
- 21.
Es handelt sich um die Übersetzung von Jacques Du Bosc: L’honneste Femme (1632). Deutsch: Die Tugendsame Frau. Das ist Außführlicher Wegweiser, wie sich eine Tugendsame Fraw verhalten möge. Cassel-Schütz 1636. Strosetzki (Konversation 2014, S. 194 und 219) weist darauf hin, dass auch in Frankreich in der ersten Hälfte des 17. Jahrhundert moralische und religiöse Komponenten die honnêteté ausmachten.
- 22.
Vgl. auch FZG I, 200.
- 23.
- 24.
Ähnlich: „Alle Wissenschaften / welche benebens dem Nutzen / sonderliches Belusten bringen / (als die Betrachtung der Sterne ist) können auf dergleichen Gesprächart Spielweiß erlernet werden.“ (FZG III, 53).
- 25.
Siehe Strosetzki 2014, besonders S. 203 ff.
- 26.
Die Himmelskugel wurde analog zur Erdkugel gedacht mit einem Nord- und Südpol, einem Äquator und Meridian sowie verschiedenen Linien, die die Sternzeichen durchqueren.
- 27.
Vor allem die Schauplatz-Sammlungen. Der Grosse Schauplatz jämerlicher Mordgeschichte (1649/50). Der Grosse Schauplatz Lust- und Lehrreicher Geschichte (1648).
- 28.
- 29.
Siehe Zeller 2013, S. 240 f.
- 30.
Siehe Zeller 2013, S. 242.
- 31.
In der im Anhang zum I. Teil publizierten „Schutzschrift für Die Teutsche Spracharbeit“ kommt er auch darauf zu sprechen, dass die Gesprächspiele „von etlichen hochgeborenen Fürstinnen und Fräulein mit gnädiger Gewogenheit beliebet und geübet werden.“ (FZG I, 391).
- 32.
Ihr Stiefsohn Anton Ulrich wird jedenfalls in seinem Roman Die syrische Aramena die Gesellschaft mehrmals Gesprächspiel spielen lassen. Siehe Zeller 1997, S. 539 f.
- 33.
„Weil aber E. Fürstl. Gn. diese geringe Arbeit gnädigst beliebet / mich zu deroselben Fortsetzung ermahnet / und ihre hohe Gewogenheit mir auf viel Wege bezeuget / habe / zu Beglauben schuldiger Dankwilligkeit E. Fürstl. Gnaden / ich derselben diesen letzten und vollständigsten Theil zuzueignen nicht unterlassen sollen.“ (FZG VIII, 11).
- 34.
Auch das in Wolfenbüttel aufbewahrte Exemplar von Harsdörffers Philosophischen und Mathematischen Erquickstunden (Teil 2) gehörte einer Frau, der Herzogin Elisabeth Sophie Marie von Braunschweig-Lüneburg-Wolfenbüttel (1683–1767).
- 35.
Christine von Braunschweig-Lüneburg war die Frau von August Ferdinand von Braunschweig-Lüneburg-Bevern, einem Halbbruder von Anton Ulrich. Die Widmung lautet: „Dießes Buch habe geErbet von Meiner Hoch-Selligen Frau Mutter 1692 und verehre daß selbe mit allen seinen Theillen an unser hoch gelibte Tochter Sophie Eleonora auff ihren Nahmens Tag Eleonora. Bevern 1695 des 21. Febr.“ Auf der der Titelseite gegenüber liegenden leeren Seite schreibt die Empfängerin: „Dieses Buch sambt noch folgenden Theile habe ich von meiner höchst geehrten lieben Mama in Bevern bekommen. Anno 1695 Sophie Eleonora.“ Ein Beispiel für die Wertschätzung des mit seinen vielen Kupfern wertvollen Werks.
Literatur
Bargagli, Girolamo: Dialogi de’ Giuochi che nelle vegghie senesi si usano di fare. A cura di Patrizia d’Incalci Ermini. Introduzione Riccardo Bruscagli. Siena 1982.
Bargagli, Scipio: I Trattenimenti dove da vaghe Donne e da giovani Huomini rapresentati sono honesti e dilettevoli Giuochi, narrate Novelle, e cantate alcune amorose Canzonette. Venezia: Giunti 1587.
Battafarano, Michele: Die Frau als Subjekt der Literatur. Harsdörffer auf den Spuren der Intronati, Incogniti, Oziosi, in: M. B.: Glanz des Barock. Bern: Lang 1994, S. 117–136.
Bonfatti, Emilio: La “civil conversazione” in Germania: letteratura del comportamento da Stefano Guazzo a Adolph Knigge: 1571–1788. Udine: Del Bianco Editore, 1979.
Fumaroli, Marc: Le genre des genres français. La conversation. Oxford: Clarendon Press 1992.
Guazzo, Stefano: De Civili Conversatione, Das ist/ Von dem Bürgerlichen Wandel und zierlichen Sitten […]. Frankfurt a. M.: Aubrius und Schleich 1626.
Guazzo, Stefano: La civil conversazione. Testo e appendice a cura di Amedeo Quondam. Modena: Panini 1993.
Harsdörffer, Georg Philipp: Frauenzimmer Gesprächspiele. Hg. von I. Böttcher. 8 Teile. Tübingen 1968–1969.
Lecercle, François: La culture en jeu. Innocenzo Ringhieri et le Pétrarquisme, in: Philippe Ariès und Jean-Claude Margolin (Hg.): Les Jeux à la Renaissance. Paris 1982, S. 185–200.
Moss, Ann: Les recueils de lieux communs. Apprendre à penser à la Renaissance. Genf: Droz 2002.
Quondam, Amadeo: L’Accademia, in: Letteratura italiana, Vol. I: Il letterato e le istituzioni. Torino: Einaudi 1982, S. 822–896.
Ringhieri, Innocenzio: Cento giuochi liberali et d’ingegno. Bologna: Giacarelli 1551, weitere Auflagen 1553, 1580.
Ringhier, Innocent: Cinquante Jeus divers d’honnête entretien. Lyon: Pesnot 1555.
Segler-Meßner, Silke: Der Dialog als Raum spielerischer Selbstentfaltung: Baldessar Castiglione, Stefano Guazzo, Moderata Fonte, in: Klaus Hempfer und Helmut Pfeiffer (Hgg.): Spielwelten. Performanz und Inszenierung in der Renaissance. Stuttgart: Franz Steiner 2002, S. 47–66.
Sorel, Charles: La Maison des Jeux. [Reprint der Ausgabe 1658] Avec introduction, un commentaire, une bibliographie et un index par Daniel-A. Gajda. Genf: Slatkine 1977.
Strosetzki, Christoph: Konversation und Literatur. Zu Regeln der Rhetorik und Rezeption in Spanien und Frankreich. Frankfurt a. M. u. a.: Lang 1988.
Strosetzki, Christoph: Die Norm und ihre Alternative in der Geselligkeitskultur des absolutistischen Frankreich,. in: Wolfgang Adam u. a. (Hg.): Geselligkeit und Gesellschaft im Barockzeitalter, Teil 1, Wiesbaden 1997, S. 135–153.
Strosetzki, Christoph: Konversation als Sprachkultur. Elemente einer historischen Kommunikationspragmatik. Berlin: Frank & Timme 22014.
Strosetzki, Christoph: Konversation als Spiel: Charles Sorel vs. Grice und Gadamer, in: Angela Schrott und Christoph Strosetzki (Hg.): Gelungene Gespräche als Praxis der Gemeinschaftsbildung. Literatur, Sprache, Gesellschaft. Berlin: de Gruyter 2020, S. 11–23.
Zeller, Rosmarie: Die Rolle der Frauen im Gesprächspiel und in der Konversation, in: Wolfgang Adam u. a. (Hg.): Geselligkeit und Gesellschaft im Barockzeitalter. Wiesbaden: Harrassowitz 1997, S. 531–541.
Zeller, Rosmarie: Harsdörffers Mordgeschichten in der Tradition der Histoires tragiques, in: Hans-Joachim Jakob und Hermann Korte (Hg.): Harsdörffer-Studien. Mit einer Bibliographie zur Forschungsliteratur. Frankfurt a. M. 2006, S. 177–194.
Zeller, Rosmarie: Spiel mit Wissen, Spiel als gebildete Unterhaltung in der Frühen Neuzeit, in: Bernhard Jahn und Michael Schilling (Hg.): Literatur und Spiel. Zur Poetologie literarischer Spielszenen. Stuttgart: Hirzel 2010, S. 97–111.
Zeller, Rosmarie: Das Gespräch als Medium der Wissensvermittlung, in: Thorsten Burkard u. a. (Hg.): Natur – Religion – Medien. Transformationen frühneuzeitlichen Wissens. Berlin: Akademie-Verlag 2013, S. 229–247.
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Zeller, R. (2022). Konversation zwischen Wissensvermittlung und Vergnügen: Georg Philipp Harsdörffers Gesprächspiele. In: Strosetzki, C. (eds) Der Wert der Konversation. Abhandlungen zur Medien- und Kulturwissenschaft. J.B. Metzler, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-65188-9_15
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