Zusammenfassung
Die gegensätzlichen Worte im Begriff Wach-Koma implizieren, dass sich diese Spannung auch auf ethische Entscheidungsfindungen auswirkt. In das Finden von stellvertretenden Entscheidungen sind einerseits Angehörige, andererseits auch Akteure beteiligter Berufsgruppen involviert. Entscheidungsprozesse sind hier vielschichtig und spielen sich im jeweiligen Setting der Rehabilitation ab. Da die Betroffenen in den wenigsten Fällen eine eindeutige Vorausverfügung ihres Willens getroffen haben, fließen unterschiedliche Vorstellungen der Berufsgruppen und Angehörigen zusammen. Die Wahrnehmung des Menschen im Wachkoma als „Gegenüber“ im Beziehungsprozess hat im Sinne eines Menschenbildes und Pflegeleitbilds entscheidenden Einfluss auf die notwendigen Entscheidungsprozesse.
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Notes
- 1.
Aus Gründen der Lesbarkeit wird im Artikel die maskuline Form verwendet.
- 2.
Im Zuge von Forschungsprozessen wird es als essenziell betrachtet, welchen Hintergrund, welche Vorannahmen der Forscher bzw. die Forscherin selbst mitbringt (vgl. Steinke 2008, S. 330 f.). Aus diesem Grund wird an dieser Stelle kurz der Bezug der Autorin zum Thema Menschen im Wachkoma dargestellt. Hier gibt es drei Bezüge. Im Rahmen einer Forschungsarbeit kam die Autorin auch mit Angehörigen von Wachkomapatienten in Kontakt. Hier wurde von einer Angehörigen berichtet, wie die häusliche Beatmungssituation nach einer gewissen Zeit nicht mehr notwendig war. Zum zweiten wurden innerhalb langjähriger Ethiklehrveranstaltungen regelmäßig das Thema Wachkoma mit den Auszubildenden betrachtet und im Zuge der beruflichen Tätigkeit auf einer Intensivstation waren Patienten im Wachkoma im Laufe der Jahre Teil der zu betreuenden Patientengruppe.
- 3.
Der Begriff „bewusstlos“ taucht bereits 1993 in der pflegerischen Literatur als Überbegriff für u. a. apallische Menschen auf (Bienstein und Fröhlich 1993).
- 4.
Laut den Autoren besteht eine Familie aus allen Mitgliedern die eine Person als seine Familie betrachtet (Friedemann und Köhlen 2018, S. 41).
- 5.
Monteverde ordnet Berufsethos im Rückgriff auf als eine Kategorie der Moral ein.
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Gödecke, C. (2022). Ethisches Spannungsfeld – Finden und Vertreten stellvertretender Entscheidungen bei Menschen im Wachkoma. In: Riedel, A., Lehmeyer, S. (eds) Ethik im Gesundheitswesen. Springer Reference Pflege – Therapie – Gesundheit . Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-58680-8_53
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