Zusammenfassung
Konflikte im urbanen Raum waren in der europäischen Frühen Neuzeit ein häufig anzutreffendes Phänomen. Schon die sozial-demografische Zusammensetzung der städtischen Bevölkerung, ihre Zunahme und Fluktuation, kann als eine der grundlegenden Rahmenbedingungen für Konflikte angesehen werden. Entsprechend der sozialen Komplexität konnten auch Konflikte zahlreiche verschiedene Formen annehmen. Kaufleute gegen Kaufleute, Patrizier gegen Zünfte, Stadtbewohner oder Bürger gegen Mitglieder der einer Stadt untergebenen dörflichen Gemeinden: Die Gerichtslandschaft in den Städten war in der Regel für die rechtliche Behandlung solcher Fälle gut ausgerichtet. Die für heutige Betrachter verwirrend erscheinende Anzahl und das Nebeneinander von Gerichten innerhalb einer spätmittelalterlichen und auch noch frühneuzeitlichen Stadt bot eine gewisse Bandbreite von rechtlichen Optionen, die auf die Interessen und Hintergründe der jeweils Beteiligten zugeschnitten, aber auch mit ihren persönlichen politisch-sozialen „Netzwerken“ verbunden waren. Zudem war dem Rechtsdenken der Epoche die Vorstellung durchaus inhärent, dass Gerechtigkeit nicht nur oder nicht einmal in erster Linie auf dem Prozessweg gesucht werden sollte. Selbst an den städtischen Gerichten war die Möglichkeit gegeben, einen Konflikt gütlich zu beenden – Schöffen und Richter agierten im Vorfeld eines Prozesses und auch begleitend dazu häufig als Mediatoren oder Schlichter mit entsprechender Zielsetzung. Dem standen die Rezeption des römischen Rechts und die zunehmende Formalisierung der juristischen Ausbildung nicht entgegen. Innerhalb jener frühneuzeitlichen Strukturen und Entwicklungen, die von der Geschichtswissenschaft unter dem Forschungsparadigma der „Verrechtlichung“ sozialer Konflikte betrachtet wurden, blieb die „außergerichtliche“ bzw. nicht formal-prozesshafte Austragung von Konflikten eine wichtige Erscheinung. Gerichte waren außerdem nicht die einzigen Foren, vor denen Konflikte verhandelt wurden. Eine wichtige Rolle spielten dabei auch religiöse Institutionen wie Ministerien oder Konsistorien, für Streitigkeiten unter Kaufleuten oder Handwerkern boten Gilden und Zünfte mit ihren internen Regulierungen und den daraus abgeleiteten Befugnissen zur Disziplinierung ihrer Mitglieder eine Anlaufmöglichkeit zur Konfliktlösung.
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