Zusammenfassung
Dieser Beitrag zeigt, dass Videodaten auf unterschiedlichen Ebenen hinsichtlich ihres temporalanalytischen Potenzials befragt werden können. Zunächst wird verdeutlicht, wie Zeit in Videos konstituiert wird. Im Fokus stehen die inhaltlichen Zeitbezüge sowie die zeitliche Form. Anschließend wird verdeutlicht, dass Zeit auch an Videos zum Ausdruck kommt. Jedes Videodatum verfügt über eine eigene ‚Videobiographie‘, die zudem in die Historizität ihrer medientechnischen Bedingungen eingebunden ist. Daraufhin wird die Zeit mit Videos in den Blick genommen. Mit der qualitativen Analyse von Videos geht eine spezifische Temporalität im Analysehandeln als auch der Subjektivität der Forscher*innen einher. Abschließend wird das Video als etablierter Problemlöser in der qualitativen Sozialforschung beschrieben, durch den hinsichtlich der Zeitdimension bestimmte analytische Hindernisse überwunden werden, aber auch neue Herausforderungen entstehen können.
Abstract
This article shows that video data can be interrogated on different levels concerning their temporal-analytical potenzial. First, it will be made clear how time is constituted in videos. The focus is on the content-related time references and the temporal form. In the next step, it will be shown that time is also expressed in videos. Video data have their own ‚video biographies‘, which are also integrated into the historicity of their media-technical conditions. Then, the time with videos is examined. The qualitative analysis of videos goes hand in hand with a specific temporality in the analysis process as well as in the subjectivity of the researchers. Finally, video is described as an established problem solver in qualitative social research, through which certain analytical obstacles can be overcome concerning the time dimension, but also new challenges can arise.
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Notes
- 1.
Siehe hierzu kritisch: Corsten (2018, S. 905–907).
- 2.
Die Nano-Kommunikation ist, wie Christine Moritz (2010) festhält, in sozialtheoretischer Hinsicht keineswegs unproblematisch, da hierdurch „intrapsychische Aktivitäten“ für die Handlungstheorie von Relevanz werden.
- 3.
Die ‚frames per second‘ (fps) geben an, wie viele Bilder pro Sekunde auf einem Bildschirm zu sehen sind. Die ‚Frame-Rate‘ verweist also darauf, wie flüssig bzw. stockend das Bild läuft.
- 4.
Die Vertikalauflösung bietet Informationen darüber, wie viele Zeilen ein Videobild hat, und demnach, wie scharf es eingestellt ist.
- 5.
Der Begriff ‚HD‘ ist die Abkürzung für ‚high definition‘ und bezieht sich auf Bildnormen, die eine im Vergleich zum Standardformat hohe horizontale, vertikale oder temporale Auflösung aufweisen.
- 6.
Unter der Transfiguration ist zu verstehen, dass etwas nicht nur „in etwas anderes transformiert, sondern in sein ‚ergänzendes Gegenteil‘ transponiert“ (Krämer 2010, S. 83) wird. Dies bedeutet, dass beispielsweise ein Videotranskript aufgrund seiner medialen Beschaffenheit andere, eben ‚ergänzende‘ Informationen zum Ausdruck bringen kann als das entsprechende Videobild.
- 7.
Demgegenüber gibt es aber mittlerweile auch die Praxis, Publikationen durch Video-Material zu begleiten, das online abrufbar ist.
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Coenen, E. (2023). Die Zeiten der qualitativen Videoanalyse. In: Sebald, G., Dimbath, O., Haag, H., Heinlein, M. (eds) Sozialwissenschaftliche Methoden und Methodologien: Temporalität – Prozessorientierung – Gedächtnis. Soziales Gedächtnis, Erinnern und Vergessen – Memory Studies. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-41914-1_10
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