Zusammenfassung
Vor dem Hintergrund demografischer Entwicklungen und Veränderungen in der Kriminalpolitik und Sanktionierungspraxis – vor allem in Bezug auf Sexualdelikte und der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung – sind Gefängnisse zu Orten geworden, an denen zunehmend mehr gestorben wird. Sterbeprozesse stellen den Strafvollzug dabei vor neue Herausforderungen. Auf Grundlage einer Pilotstudie, in deren Rahmen sieben qualitative Interviews mit Untergebrachten in der Sicherungsverwahrung geführt wurden, rekonstruieren wir die Bedeutungsdimensionen von Tod und Sterben. Herausgearbeitet werden spezifische Umgangsformen mit Zeitlichkeit und zeitliche Orientierungen in den Interviewerzählungen, wenn es um Endlichkeit im Kontext einer unbefristeten Unterbringung geht. Deutlich wird dabei, dass der offene Zeithorizont dieser Unterbringungsform eng verbunden ist mit den Bedeutungsdimensionen von Tod und Sterben als ein dauerhaft symbolisches Sterben.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Similar content being viewed by others
Notes
- 1.
Das Projekt „Sterben im Gefängnis. Zum Verhältnis von Vulnerabilität und Geschlecht“ wurde vom 1.7.-31.12.2017 unter der Leitung von Prof. Dr. Mechthild Bereswill und Dr. Anke Neuber an der Universität Kassel durchgeführt. Es wurde mit Mitteln des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst im Rahmen des Förderschwerpunktes „Dimensionen der Kategorie Geschlecht – Frauen- und Geschlechterforschung in Hessen“ gefördert.
- 2.
- 3.
Das Projekt war mit 10 Interviews konzipiert, drei Interviews konnten jedoch nicht geführt werden, weil zwei Interviewpartner ihre Bereitschaft zur Teilnahme kurzfristig widerrufen haben und ein Interviewpartner aufgrund von Sanktionen an dem Tag nicht an einem Interview teilnehmen konnte.
- 4.
Das Projekt „Deutungsmuster von Sicherungsverwahrten zum Thema Sterben im Gefängnis“ wurde von Prof. Dr. Anke Neuber geleitet und aus Eigenmitteln der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften finanziert.
Literatur
Bartsch, T. (2017). Lebenslange Freiheitsstrafe und Sicherungsverwahrung. Forum Strafvollzug, 4, 234–236.
Bereswill, M., & Neuber, A. (2019a). „Haft ist ohnehin schon eine Ohnmachtserfahrung, Sterben in Haft ist sozusagen die potenzierte Ohnmacht“. Tod und Sterben im Gefängnis – eine qualitative Pilotstudie zur Perspektive der Fachdienste. Bewährungshilfe, 4, 345-355.
Bereswill, M., & Neuber, A. (2019b). Sterben im Strafvollzug. Praktiker_innen im Spannungsfeld zwischen dem Ideal des selbstbestimmten Sterbens und der autoritären Struktur der Institution. Sozial extra, 4, 249-253.
Bereswill, M., & Neuber, A. (2019c). Das Gefängnis – (k)ein Ort zum Sterben? Eine explorative Studie zur Perspektive der Fachdienste. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform, 3, 177-183.
Bohnsack, R., Geimer, A., & Meuser, M. (2018). Hauptbegriffe Qualitativer Sozialforschung. Verlag Barbara Budrich.
Crawley, E., & Sparks, R. (2006). Is there life after imprisonment? How elderly men talk about imprisonment and release. Criminology & Criminal Justice, 6(1), 63-82.
Crawley, E., & Sparks, R. (2005). Hidden Injuries? Researching the Experiences of Older Men in English Prisons. The Howard Journal, 44(4), 345-356.
Goffman, E. (1961/1973). Asyle. Über die soziale Situation psychiatrischer Patienten und anderer Insassen. Suhrkamp Verlag.
Helfferich, C. (2014). Leitfaden- und Experteninterviews. In N. Baur, & J. Blasius (Hrsg.), Handbuch Methoden der empirischen Sozialforschung (S. 559-574). Springer VS.
Hostettler U., Marti I., & Richter M. (2017). Ältere Gefangene am Lebensende im Schweizer Justizvollzug: Zentrale Erkenntnisse aus einem kürzlich abgeschlossenen Forschungsprojekt. Justiz-Newsletter (Bildungsinstitut des niedersächsischen Justizvollzuges), 14(26), 7-15.
Hostettler U., Marti I., & Richter M. (2016). Lebensende im Justizvollzug. Gefangene, Anstalten, Behörden. Stämpfli Verlag.
Kuhn, S., Uwer, T., & von Schlieffen, J. (2010). „Sicher ist sicher“. Ein Policy Paper zur Sicherungsverwahrung. Organisationsbüro Strafverteidigervereinigungen.
Liebling, A. (2017). The Meaning of Ending Life in Prison. Journal of Correctional Health Care, 23(1), 20-31.
Meier, B.-D. (2019). Strafrechtliche Sanktionen. Springer.
Mushoff, T. (2008). Strafe - Maßregel - Sicherungsverwahrung: eine kritische Untersuchung über das Verhältnis von Schuld und Prävention. Lang.
Przyborski, A., & Wohlrab-Saar, M. (2010). Qualitative Sozialforschung. Oldenbourg Verlag.
Stisser, D.T. (2019). Die Sicherungsverwahrung - de lege lata et de lege ferenda. Nomos Verlagsgesellschaft.
Strübing, J. (2021). Grounded Theory. Zur sozialtheoretischen und epistemologischen Fundierung eines pragmatistischen Forschungsstils. Springer VS.
Suhling, S., & Wischka, B. (2013). Behandlung in der Sicherungsverwahrung. Kriminalpädagogische Praxis, 49, 47–61.
Sykes, G. M. (1958/1999). The Society of Captives. A Study of a Maximum-Security Prison. Princeton University Press.
Tag, B., & Groß, D. (2012). Tod im Gefängnis. Hungerstreik, Suizid, Todesstrafe und „normaler“ Tod aus rechtlicher, historischer und ethischer Sicht. Campus.
Witzel, A. (2000). Das problemzentrierte Interview. Forum Qualitative Sozialforschung, 1(1), Art. 22.
Wulf, R., & Grube, A. (2012). Sterben im Gefängnis. Menschenrechtliche, ethische und praktische Aspekte. In M. Anderheiden, & W. U. Eckhart (Hrsg.), Handbuch Sterben und Menschenwürde (S. 1571–1593). De Gruyter.
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Editor information
Editors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 2023 Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature
About this chapter
Cite this chapter
Bereswill, M., Neuber, A. (2023). „Wenn Sie nicht wissen, wo ein kleines Licht ist, das ist doch der Tod“ – Perspektiven von Untergebrachten in der Sicherungsverwahrung auf Tod und Sterben. In: Ghanem, C., Hostettler, U., Wilde, F. (eds) Alter, Delinquenz und Inhaftierung. Edition Forschung und Entwicklung in der Strafrechtspflege. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-41423-8_10
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-41423-8_10
Published:
Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-658-41422-1
Online ISBN: 978-3-658-41423-8
eBook Packages: Social Science and Law (German Language)