Zusammenfassung
Die Morde des National-Sozialistischen Untergrund (NSU) stellen eine Zäsur in der Geschichte der Bundesrepublik dar, die sich gut eignet, um die Themenkomplexe Rassismus und Rechtsextremismus im sozialwissenschaftlichen Unterricht miteinander zu verknüpfen. Die Zielsetzung ist es dabei zum einen, das Versagen staatlicher Institutionen aus einer rassismuskritischen Perspektive zu beleuchten. Zum anderen sollen die Opfer in den Mittelpunkt gerückt werden, um die Schüler*innen für das Thema Rechtsterrorismus als ‚Botschaftsverbrechen‘ (Botschaftsverbrechen „[…] wirken nicht nur auf die konkret von der Tat betroffenen Personen, sondern, […] sie sollen Angst und Verunsicherung in der gesamten gesellschaftlichen Gruppe schüren, der das Opfer (vermeintlich) angehört. Der gesamten Gruppe soll gezeigt werden, dass sie nicht erwünscht ist und auch Gewalt mit dem Ziel der Vertreibung oder gar Auslöschung angewandt wird“ (Lang, Kati (2018): Schutz von Menschenrechten oder „Gesinnungsjustiz“ – die Verfolgung von Hasskriminalität durch Behörden und Justiz. In: Wissen schafft Demokratie. Schriftenreihe des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft. 130–138. https://www.idz-jena.de/fileadmin/user_upload/PDFS_WsD4/Idz_WsD_04_WEB.pdf. Zugegriffen: 27. April 2020.: 134) zu sensibilisieren. Zu diesem Zweck wird im ersten Teil dieses Beitrags der aktuelle Wissenstand zum NSU zusammengefasst und es werden zentrale Leerstellen benannt. Anschließend wird die Arbeit der Verfassungsschutzbehörden im NSU-Komplex einer kritischen Analyse unterzogen, bevor rassismusrelevante Fehler in den Ermittlungen analysiert werden. Diese beiden Punkte werden sodann für die Didaktisierung des NSU-Komplex genutzt, indem zum einen eine vierstündige Unterrichtssequenz dargestellt wird und zum anderen weitere unterrichtspraktische Vorschläge erörtert werden.
Für Enver Şimşek Abdurrahim Özüdoğru Süleyman Taşköprü Habil Kılıç Mehmet Turgut İsmail Yaşar Theodoros Boulgarides Mehmet Kubaşık Halit Yozgat Michèlle Kiesewetter
Dieser Beitrag beinhaltet eine vollständige Überarbeitung der Unterrichtsreihe, die in dem folgenden Beitrag veröffentlicht wurde: Emiroglu et al. (2019).
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Notes
- 1.
Wollrad (2005, S. 14) definiert Rassifizierung wie folgt: „Weiße europäische Philosophen, Anthropologen und Ethnologen haben nicht aus schlichter Ordnungsliebe Kategorien zur Klassifikation der gesamten Menschheit eingeführt, sondern die Ordnung wurde in Form einer Hierarchisierung gestaltet, deren Kern in der Selbstpositionierung der Erfinder an der Spitze der Hierarchie bestand“. Es existieren keine ‚Rassen‘ im biologischen Sinne, wohl aber sozial konstruierte Rassen. „‚Schwarz‘ bezeichnet hier eine politische Kategorie im Sinne einer ‚Identität der Unterdrückungserfahrungen, die alle Gruppen von people of color einschließt‘“ (Piesche 1999, S. 204) und verweist auf das Widerstandspotential, das in der selbstbewussten Bezeichnung Schwarzer Menschen seinen Ausdruck findet. „‚Weiß‘ bezeichnet ebenfalls eine politische Kategorie, allerdings im Sinne von Machterfahrungen solcher Menschen, die als Weiß konstruiert sind und denen meist diese Macht gar nicht bewusst ist“ (Wollrad 2005, S. 20). Es findet somit im Laufe des Aufwachsens eine Sozialisation in die sozial konstruierte Rasse statt, die als Rassifizierung bezeichnet werden kann. Zur weitergehenden Diskussion von Benennungspraktiken in einer Migrationsgesellschaft siehe Fereidooni (2016, S. 22 f.).
- 2.
Theorien über einen anderen Verlauf, bspw. eine dritte anwesende Person, wurden durch eine Rekonstruktion des Bundeskriminalamts (BKA) verworfen. Auch der zweite Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss und der zweite vom Bundestag eingesetzte NSU-Untersuchungsausschuss kommen zum Ergebnis eines erweiterten Suizids. Im NSU-Prozess hat Beate Zschäpe bestätigt, dass für den Fall einer Entdeckung durch die Polizei die Selbsttötung beabsichtigt war.
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Stattdessen ähnelt das Phantombild des Mannes, der die Dose zuvor im Geschäft deponiert hatte, frappierend einer ehemaligen Vertrauensperson des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes aus der Kölner Neonazis-Szene. Die Ähnlichkeit ist so groß, dass die Leiterin der Abteilung Verfassungsschutz im Ministerium für Inneres und Kommunales NRW unmittelbar, nachdem der NRW-VS vom Generalbundesanwalt das Phantombild erhalten hatte, eine dienstliche Erklärung aufsetzen und diesem persönlich überbringen ließ, in der sie auf diese Auffälligkeit hinwies (vgl. NSU-Watch NRW 2015).
- 4.
Ein V-Mann [Vertrauens-Mann, Anm.d.Verf.] ist eine Person, „die der Polizei Hinweise zur Verhinderung und Aufklärung von Straftaten geben [soll, Anm.d.Verf.] und deren Identität nach Möglichkeit von der Ermittlungsbehörde, für die sie tätig sind, geheim gehalten wird“ (Bpb o. J., o. S.). D. h. es handelt sich nicht um Polizisten oder Beamte des Verfassungsschutzes, sondern um angeworbene Informant*innen, im Fall des NSU i. d. R. Neonazis.
- 5.
- 6.
Michael See heißt inzwischen Michael Doleisch von Dolsperg.
- 7.
- 8.
„Bei der deutschen Polizei werden alle Fallanalysen in Teamarbeit durchgeführt. In einem Fallanalyse-Team arbeiten mindestens drei polizeiliche Fallanalytiker, die dafür speziell ausgesucht und ausgebildet wurden. Zusätzlich können auch Sachbearbeiter der ermittelnden Polizeidienststelle sowie externe Fachleute wie Rechtsmediziner oder Psychologen hinzugezogen werden. Durch die Teamarbeit wird die Qualität der Analyseergebnisse optimiert. Als Basis für die Fallanalyse dienen ausschließlich objektive oder gesicherte Falldaten sowie Informationen zum Opfer. Ungesicherte oder subjektive Daten werden grundsätzlich nicht berücksichtigt. Das Fallanalyse-Team besichtigt in der Regel den Tatort und die sonstigen relevanten Handlungsorte des Delikts. Auf dieser Basis wird der Ablauf der Tat Schritt für Schritt rekonstruiert und die Tatsequenzen in eine chronologische Ordnung gebracht. Nach der Rekonstruktion des Tatgeschehens wird das Verhalten des Täters eingehend spezifiziert, d. h. es wird geprüft, in welcher Weise die Individualität des Täters den jeweiligen Fall geprägt hat. In einem weiteren Schritt wird der Fall als Ganzes charakterisiert. Handelt es sich mehr um eine geplante oder um eine spontane Tat oder gab es diesbezüglich vermischte Phasen? Welche Kriterien waren für die Opfer-, Tatzeit- bzw. Tatortauswahl maßgeblich? Und: Gab es besondere, vielleicht sogar außergewöhnliche Charakteristika im Fall? (Beispiel: Wollte der Täter die Tat vertuschen und seine Spuren verwischen? Oder wollte er sogar ein anderes Tatmotiv vortäuschen?)“ (Bundeskriminalamt o. J., o. S.).
- 9.
Die Gedenktafeln enthalten nicht nur die drei folgenden Texte, sondern auch Bilder der drei Ermordeten, die aufgrund ungeklärter Bildrechte in diesem Beitrag nicht abgedruckt werden konnten. Die Lehrkraft sollte diese jedoch in den Unterricht einbeziehen.
- 10.
Diese Karikatur kann aufgrund fehlender Bildrecht nicht abgedruckt werden.
- 11.
Aus Platzgründen muss darauf verzichtet werden, die angegebenen Textauszüge in diesem Beitrag zu veröffentlichen.
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Fereidooni, K., Schedler, J., Oostenryck, M., Uhlenbruck, K., Müller, M. (2022). Staatsversagen und Opferperspektive: Die Thematisierung des NSU-Terrorismus im sozialwissenschaftlichen Unterricht. In: Fereidooni, K., Simon, N. (eds) Rassismuskritische Fachdidaktiken. Pädagogische Professionalität und Migrationsdiskurse. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-37168-5_5
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