Schlüsselwörter

1 Einleitung

Sowohl die in jüngster Vergangenheit aufgefallenen zahlreichen Chatgruppen von Polizeibeamt:innen, in denen rechtsextremistische Inhalte verbreitet wurden, als auch die aufgetretenen Fälle des NSU 2.0, des „Hannibal“-Komplexes und seines Ablegers „Nordkreuz“ sowie des Vereins „Uniter“ und des Bundeswehrsoldaten Franco A. können das gesellschaftliche Vertrauen in Sicherheitsbehörden, insbesondere der Institution der Polizei, nachhaltig negativ beeinflussen. Besonders besorgniserregend erweist sich hierbei, dass eine „reale und digitale Vernetzung“ feststellbar ist, die sich „in rechtsextreme[n] organisierte[n] [Netzwerk-]Strukturen mit Bezügen zur Bundeswehr und anderen Sicherheitsbehörden“Footnote 1 manifestiert. Dies wirft die Frage nach der Verbreitung von rechtsextremistischen, rassistischen Einstellungen bei Polizist:innen auf. Die differenzierte Betrachtung solcher Haltungen erscheint von hoher Relevanz, stehen sie doch im Widerspruch zur polizeilichen Aufgabe, die gerade den Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung und der darin verankerten Grund- und Menschenrechte, welche sich in einer Gleichbehandlung aller Bürgerinnen und Bürger manifestiert, zum Ziel hat.

Eine weltanschauliche Nähe von einigen Polizeibeamt:innen zu zumindest rechtspopulistischen Positionen wurde bereits im Juni 2019 diskutiert, als der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jörg Radek, konstatierte, dass „bei vielen Beamten [der Bundespolizei] etwas in Schieflage geraten [sei], was sich in Sympathien für das rechtsnationale Parteienspektrum ausdrückt“Footnote 2 und zugleich Friedrich Merz davor warnte, dass die konservative Politik der CDU/CSU „Teile der Bundespolizei an die AfD“Footnote 3 verliere. Auffällig ist an diesen Kontext anknüpfend, dass sich in der AfD im Vergleich zu den anderen in den Landtagen und im Bundestag gewählten Parteien bemerkenswert viele (ehemalige) Polizeibeamt:innen als Mandatsträger:innen befinden,Footnote 4 was angesichts der Einstufung des sog. Flügels der AfD als rechtsextremistischFootnote 5 und der Einstufung der AfD als Verdachtsfall durch den Verfassungsschutz ein alarmierendes Zeichen ist.

Im Gegensatz zur Allgemeinbevölkerung, in der in regelmäßigen Abständen Forschungen zu antidemokratischen, darunter auch rechtsextremen, fremdenfeindlichen Einstellungen, durchgeführt werden,Footnote 6 liegen für die Polizei nur punktuell Studien vor, die teils mehrere Jahrzehnte alt sind.Footnote 7 Zwar ist anzunehmen, dass analog zur Gesellschaft auch innerhalb der Polizei eine gewisse Streuungsbreite diesbezüglicher Einstellungen vorliegt,Footnote 8 eine exakte Bezifferung ist derzeit jedoch nicht möglich. Der Mangel an empirisch fundiertem Wissen erschwert die aktuell emotional geführte Diskussion, welche Walter zufolge „zwischen Beschwichtigungsritual und Generalverdachtsrhetorik“Footnote 9 rangiert. Dieser Umstand wird der Bedeutung, die dieses Thema zweifelsohne für die Polizei hat, nicht gerecht.

Aktuelle Aussagen verschiedener Akteur:innen zur Verbreitung des Phänomens, die von Einzelfällen bis hin zu einem strukturellen Problem in der Polizei reichen, haben daher allenfalls hypothetischen Charakter. Das nachfolgende Kapitel soll einen Beitrag zur Versachlichung derzeitiger Diskussionen leisten, indem es den Forschungsstand zum Ausmaß rassistischer Einstellungen innerhalb der deutschen Polizei überblickartig darstellt,Footnote 10 einer Neubewertung unterzieht und Forschungsdesiderate identifiziert.

2 Einstellungskonstrukt

Unter Einstellungen kann ganz allgemein ein zeitlich variabler innerer Zustand („psychologische Tendenz“) verstanden werden, „[…] der sich in einer positiven, negativen oder neutralen Bewertung gegenüber einem bestimmten Objekt (Person, Gegenstand, Idee, Verhalten, etc.) ausdrückt“.Footnote 11 Die Gesamtbewertung eines Einstellungsobjekts kann sich dabei in drei Komponenten manifestieren: der kognitiven, der affektiven und der verhaltensmäßigen.Footnote 12

Die kognitive Komponente bezieht sich auf die mit dem Stimulus verbundenen Gedanken, Überzeugungen, Glaubensgrundsätze sowie Eigenschaften und ihnen entsprechenden verbalen Bewertungen. In der affektiven Komponente schlagen sich hingegen Gefühle, Befindlichkeiten, subjektive Vorlieben und Emotionen nieder, welche mit dem Einstellungsobjekt assoziiert sind. Dabei können negative, wie positive affektive Reaktionen, die bei Konfrontation mit dem Stimulus präsent waren, Einstellungen auf vielfältige Weise verändern.Footnote 13 Die behaviorale Komponente betrachtet, welche Verhaltensweisen gegenüber dem Einstellungsobjekt in der Vergangenheit ausgeführt wurden oder in der Zukunft gezeigt werden könnten; der Fokus liegt damit auf Verhaltenstendenzen und -absichten. Einstellungen umfassen in der Regel zwar alle Komponenten, sie können jedoch schwerpunktmäßig auf einer Komponente beruhen – gleichzeitig können einzelne Komponenten sowohl Konsistenzen als auch Inkonsistenzen aufweisen, was sich in der Differenzierung von homogenen bzw. ambivalenten Einstellungen manifestiert.Footnote 14 Eine bedeutsame Rolle bei der Einstellungsbildung spielen Erfahrungen und soziale Lernprozesse in Form von bewusster Reflexion, klassischer und operanter Konditionierung sowie Rückschlüssen auf Basis der eigenen Verhaltensbeobachtung und -analyse gegenüber dem spezifischen Stimulus.Footnote 15

Es ist mittlerweile vielfach belegt, dass Einstellungen nicht zwangsläufig auch das Verhalten von Personen vorhersagen, die Korrelationen liegen generell eher im kleineren bis mittleren Bereich.Footnote 16 Die Stärke des Zusammenhangs hängt dabei von verschiedenen Bedingungen ab, wobei sich u. a. direkte Erfahrungen mit dem Einstellungsobjekt, die Zugänglichkeit und Stabilität der Einstellung sowie die Einstellungssicherheit als günstige Moderatorvariablen erwiesen haben.Footnote 17 Darüber hinaus legt die Forschung eine Unterscheidung zwischen expliziten und impliziten Einstellungsmaßen nahe. Erstgenannte, die über Einstellungsfragebögen illustrierbar sind, weisen eine höhere Vorhersagekraft für wohlüberlegte, deliberative Verhaltensreaktionen auf, während implizite Einstellungen über unbewusst ausgelöste Aktivierungsprozesse (im Rahmen der Konfrontation mit dem Stimulusobjekt) vor allem spontane, weniger kontrollierbare Handlungen (z. B. auch nonverbal) zu beeinflussen scheinen.Footnote 18

Den bisherigen Ausführungen folgend lassen sich Rassismus bzw. rassistische EinstellungenFootnote 19 als feindselige, abwertende oder herabwürdigende Überzeugungen, Gefühle und Verhaltenstendenzen konzipieren, die aufgrund der zugeschriebenen ethnischen Herkunft oder phänotypischer Merkmale (bspw. in Form von Hautfarbe, Sprache, Religion) von Personen bestehen.Footnote 20 Sie sind gekennzeichnet durch die (zumindest implizite) Annahme der Ungleichheit sowie Ungleichwertigkeit einer „allochthon“ gelesenen Person bzw. Personengruppe gegenüber der eigenen, „autochthon“ gelesenen Personengruppe. Basis sind in diesem Kontext vermeintlich biologische bzw. kulturell gemutmaßte Unterschiede.Footnote 21 Rassismen können somit unterschiedliche Dimensionen aufweisen und manifestieren sich bspw. in antisemitischen, antimuslimischen Haltungen sowie der Abwertung von nicht als weißFootnote 22 und damit zumeist auch als der Mehrheitsgesellschaft nicht oder nur in Abstufung zugehörig gelesenen Menschen.Footnote 23 Der nachfolgende Überblick skizziert Befunde, die Hinweise auf die Verbreitung entsprechend fremdenfeindlicher bzw. rassistischer Grundhaltungen innerhalb der Polizei liefern können.Footnote 24

3 Überblick über die Forschung

Erste Untersuchungen zu diesem Themenkomplex fanden bereits vor drei Dekaden statt. Franzke veröffentlichte 1993 eine nicht repräsentative Untersuchung über Fremdenfeindlichkeit in der Polizei und konstatierte, dass 44 % der damals befragten Polizeibeamt:innen angaben, dass ihnen eine Gesellschaft ohne Ausländer besser gefallen würde.Footnote 25 Eine im gleichen Jahr in Rheinland-Pfalz durchgeführte standardisierte Befragung von 547 Polizeibeamt:innen ergab, dass 16 % integrierte Ausländer:innen als soziale Bedrohung für die Gesellschaft wahrnahmen und ca. 35 % eine multikulturelle Gesellschaft ablehnten.Footnote 26 Dies wurde in der zeitgenössischen Forschung bereits als „bedenkenswertes Potential von skeptischen bis ablehnenden Auffassungen, die durchaus offen sein könnten für manifest […] rassistische Überzeugungen“Footnote 27 gedeutet. Der Arbeitskreis II der Innenministerkonferenz regte Mitte der 1990er Jahre die Polizeiliche Führungsakademie (seit 2006 Deutsche Hochschule der Polizei) dazu an, ein Forschungsprojekt umzusetzen, welches die „spezifischen Ursachen und Ausdrucksformen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“Footnote 28 zum Gegenstand haben sollte. Anhand qualitativer Erhebungen u. a. in Form von Gruppendiskussionen und vertiefenden Einzelinterviews mit 115 Beamt:innen aus der Bereitschafts-, Schutz- und Kriminalpolizei sowie mit Führungskräften sollten „Bedingungen, Situationen und Konfliktfelder in der Polizei, durch die fremdenfeindliche Einstellungen, Emotionen und Handlungsweisen entstehen, sich verfestigen und zuspitzen können“Footnote 29 identifiziert werden. Quantitative Aussagen über die Verbreitung ausländerfeindlicher Einstellungen sowie Übergriffen und Straftaten innerhalb der Polizei waren jedoch explizit nicht das Ziel der Studie.Footnote 30 Gleichwohl zeigte sich, dass als Ausländer:innen markierte Personen als „Gäste im Land“ wahrgenommen wurden, die sich der deutschen Rechtsordnung anzupassen hätten.Footnote 31 Diese Formulierung als „Statuszuweisung“, lesbar auch als zugeschriebene Differenzkategorie, offenbart bereits einen Vorgang der Ab- und Ausgrenzung auf Wahrnehmungsebene. Dies wird insbesondere dann deutlich, wenn als subtextliche Perspektive hierbei der Anspruch der Rechtsstaatlichkeit vorausgesetzt und für der Mehrheitsgesellschaft zugehörige Personen gar nicht erst genannt oder mitgedacht wird. Erwähnenswert ist darüber hinaus der Befund, dass polizeiliches Fehlverhalten in diesem Kontext wiederholt als Ausdruck subjektiv empfundener Arbeitsbelastung interpretiert und damit zugleich diskursiv gerechtfertigt wird.

Jaschke führte 1995 eine schriftliche, standardisierte Befragung unter 352 Frankfurter Polizeibeamt:innen durch, die u. a. Haltungen zu „Ausländer[:inne]n“ zum Gegenstand hatte. Ein wesentlicher Befund war hierbei, dass sich das Meinungsklima diesbezüglich sehr polarisiert ausgestaltete und im Grundsatz eher eine skeptische Einstellung gegenüber ausländisch gelesenen Personen deutlich wurde.Footnote 32 Er schätzte in diesem Zusammenhang das Ausmaß „fremdenfeindlicher“ Einstellungen auf 10 bis 15 %.Footnote 33 Hierbei wurden vier Bedingungsfaktoren diskutiert, die ein Mehrebenen-Problem von „Fremdenfeindlichkeit“ beschreiben: Ethnisierungsprozesse auf der Makroebene, spezifische Konfliktfelder in situativen Kontexten, die soziale Konstruktion des „Fremden“ in Polizeiausbildung und -praxis sowie eine Verbindung mit der beruflichen Unzufriedenheit von Polizeibeamt:innen.Footnote 34

Ferner ließen sich auf dieser Grundlage vier Deutungsthesen identifizieren, die Abwehrnarrative bzw. Strategien zur institutionellen Selbstentlastung bezeichnen: Nach der Theorie der schwarzen Schafe handele es sich bei „fremdenfeindlichen“ Vorfällen um absolute Ausnahmesituationen und damit um Einzelfälle. Die Relativierungsthese hingegen betont die Existenz „fremdenfeindlicher“ Einstellungen auch bei anderen Berufsgruppen und schlussfolgert hieraus eine Art Automatismus für polizeiliche Strukturen. Auch die Spiegelbildthese greift auf eine vergleichbare Argumentationslogik zurück, rekurriert jedoch auf gesamtgesellschaftliche Tendenzen. Die Manipulationsthese schließlich adressiert die Medien, wonach „Fremdenfeindlichkeit“/Rassismus sowie die Nähe zu rechtsextremen Akteur:innen als mediales Konstrukt fungiere, das einer zielgerichteten Diffamierung der Polizei durch eine tendenziöse Berichterstattung diene.Footnote 35 Vor allem letztere ist mit Blick auf die Rolle der Medien in einem demokratischen Staatsverständnis nicht unproblematisch, weil die zielgerichtete Manipulation ein Narrativ darstellt, das eher von den politischen Rändern bedient wird und eine gewisse Verschwörungsmentalität zum Ausdruck bringt.

Ebenfalls im Jahr 1995 führte Lindner eine quantitative Vollerhebung der Absolvent:innen des 2. Ausbildungsjahres in NRW durch (1425 Befragte). Zielsetzung war es u. a., Erkenntnisse über das Ausmaß fremdenfeindlicher Einstellungen zu gewinnen.Footnote 36 Hinsichtlich der Einstellung gegenüber Ausländer:innenFootnote 37 lässt sich konstatieren, dass die befragten Beamt:innen im Vergleich zur gleichaltrigen BevölkerungsgruppeFootnote 38 Ausländer:innen weniger für soziale Defizite bzw. sozialpolitische Mängel verantwortlich machten. So stimmten beispielsweise lediglich 3 % der Aussage zu, Ausländer:innen seien für die Arbeitslosigkeit in Deutschland verantwortlich, während in einer herangezogenen Referenzstudie fast ein Drittel einer ähnlichen Aussage zugestimmt hatte.Footnote 39 Gleiches gilt für explizit rassistische Äußerungen, die einen biologistischen Ansatz zugrunde legen. Interessant erscheint in dem Zusammenhang, dass kontrastierend zu diesen sozialen bzw. sozialpolitischen Bewertungen, Einstellungen und Zuschreibungen der Beamt:innen im praxisrelevanten Zusammenhang davon deutlich abweichen. So zeigte sich, dass jede:r vierte der Befragten Ausländer:innen ein im Vergleich zu Deutschen erhöhtes Aggressions- bzw. Gewaltpotential zuschrieb bzw. Ausländer:innen explizit für Straftaten verantwortlich machte. Insbesondere der Frage nach einem Missbrauch von Sozialleistungen durch „viele Ausländer[:innen] und Asylbewerber[:innen]“ stimmte über die Hälfte der Befragten zu.Footnote 40 Ebenfalls sprach sich mehr als die Hälfte der Befragten dafür aus, dass in Deutschland wieder Ordnung und Sicherheit geschaffen werden müsse,Footnote 41 was als ein Hinweis auf die Verbreitung einer Law-and-Order Position betrachtet werden kann. Bemerkenswert ist darüber hinaus, dass „fremdenfeindliches“ bzw. „rechtsextremistisches“ Potential vielfach sogar recht umfangreich für die eigenen Reihen diagnostiziert wird: ein Viertel der Befragten vermutete rechtsextreme Tendenzen innerhalb der Polizei und fast 40 %, dass Polizeibeamt:innen „gegen Ausländer eingestellt sind“.Footnote 42 Wie diese Diskrepanz zustande kommt, erscheint hier als eine interessante Fragestellung. Unklar ist jedoch, ob diesen Einschätzungen eigene Stereotypisierungen gegenüber der Polizei zugrunde liegen oder sie auf bereits Erfahrungen in der Einsatzpraxis basieren. Individuell spräche dies für eine Abgrenzung gegenüber rassistischen Denkmustern, gleichzeitig allerdings für eine strukturelle Verankerung dieser.

Mletzko und Weins untersuchten 1996 in einer weiteren Studie, bei der 500 Polizeibeamt:innen aus einer großstädtischen, westdeutschen Polizeidirektion befragt wurden (Rücklaufquote rd. 30 %), inwieweit „Belastungen im Umgang mit strafverdächtigen Fremden zur ablehnenden und feindseligen Haltung gegenüber Angehörigen fremder Nationalitäten“ führe und ob die „vorwiegend negativ geprägten [beruflichen] Erfahrungen […] bei (fehlendem) privaten Kontakt […] zu Vorurteilen […] verallgemeinert“Footnote 43 würden. Hierbei wurde indes einerseits eine kohärente „Fremdenfeindlichkeit“ verneint und andererseits darauf verwiesen, dass 15 % der Befragten „verfestigte fremdenfeindliche Vorurteilsneigungen“ als eine weniger intensive Dimension von Fremdenfeindlichkeit aufwiesen. Dies wurde als „nicht zu übersehendes Potential fremdenfeindlicher Einstellungselemente“ gewertet.Footnote 44 Als Erklärungsansätze für die Entwicklung fremdenfeindlicher Einstellungsmuster zogen sie drei Hypothesen heran. Demnach begünstige ein berufsbedingter negativer Kontakt bei mangelnden positiven, privaten Erfahrungen fremdenfeindliche Vorurteile, das Verhältnis zwischen Polizeibeamt:innen und „fremden Straftäter:innen“ sei durch besondere Belastungen gekennzeichnet und sie stellen die These auf, dass Aus- bzw. Fortbildungsmaßnahmen negativen Entwicklungen entgegenwirken könnten.Footnote 45 Ein linearer Zusammenhang zwischen Konflikt-/Stressbewältigungsmechanismen und fremdenfeindlichen Einstellungen wie ihn bspw. die Studie der Polizeilichen Führungsakademie vermutete, konnte hier nicht nachgewiesen werden.

Ähnliche Hinweise auf die Verbreitung von rassistischen Einstellungen fanden Schweer und Strasser bei einer in Duisburg durchgeführten Befragung von 245 Polizeibeamt:innen, von denen das Gros (zwischen 80 und 95 %) eigene in der Praxis vorgenommenen Ungleichbehandlungen gegenüber ausländisch gelesenen Personen negierten, jedoch fast die Hälfte (44,6 %) entsprechend benachteiligende Verhaltensweisen gegenüber ausländisch gelesenen Personen durch Kolleg:innen wahrnahmen.Footnote 46 Schweer und Strasser schlussfolgerten, dass zumindest Vorurteile und Stereotypisierungen gegenüber ethnischen Minderheiten sowie sozialen Randgruppen in der Polizei weit verbreitet und häufig das Produkt berufsspezifischer Alltagserfahrungen seien. Insbesondere konstatierten sie das Bestehen ausgeprägter Vorurteile gegenüber „Asylbewerber[:innen] und Aussiedler[:inne]n“ sowie die tendenziell problematische Verknüpfung von negativen Eigenschaften mit als ausländisch markierten Menschen.Footnote 47

Krott et al. untersuchten im Rahmen einer vierjährigen Längsschnitt-Studie von 2013 bis 2017 bei anfänglich 160 Polizeikommissaranwärter:innen von zwei Studienstandorten aus Nordrhein-Westfalen (entspricht 10,8 % des Studienjahrgangs), die Prävalenz fremdenfeindlicher Einstellungen und deren Entwicklung im Laufe des Studiums sowie im ersten Jahr der Berufspraxis.Footnote 48 Als Ergebnis konstatierten sie eine – gemessen an Altersgruppe und Bildungsmilieu – vergleichbare Verteilung und damit keine überproportional verbreiteten „fremdenfeindlichen“ Einstellungsmuster. Hinsichtlich der Entwicklung war eine Abnahme innerhalb der ersten drei Befragungszeitpunkte während des Studiums sowie eine leichte Zunahme während des ersten Jahres der Berufspraxis ersichtlich, die jedoch den allgemeinen positiven Trend nicht gänzlich relativierte.Footnote 49 Den Autor:innen zufolge unterstreicht dies die Relevanz sozialer und interkultureller Kompetenztrainings zum Abbau „fremdenfeindlicher“ Haltungen innerhalb des Polizeistudiums, wobei dieser Effekt zugleich durch negative Erfahrungen mit ethnischen Minderheiten innerhalb der ersten polizeipraktischen Sozialisation abnimmt. Im März 2019 wurde die Studie neu aufgelegt – die Abschlussbefragung soll demgegenüber erst 18 Monate nach Beendigung des Studiums erfolgen, um Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie sich die längere Berufspraxis auf Einstellungen in Bezug auf „Fremdheit“ auswirkt.Footnote 50

Nachdem im Bundesland Hessen innerhalb eines überschaubaren Zeitraums neben dem sog. NSU 2.0 mehrere Verdachtsfälle rechtsextremer Einstellungsmuster innerhalb der Polizei an die Öffentlichkeit gerieten und zu einem Polizeiskandal avancierten, wurde im Auftrag der hessischen Landesregierung von November bis Dezember 2019 eine Befragung zum Thema „Polizeiliche Alltagserfahrungen – Herausforderungen und Erfordernisse einer lernenden Organisation“ von rund 17.000 hessischen Polizeivollzugs-, Verwaltungsbeamt:innen und Tarifbeschäftigten bei einer Rücklaufquote von ca. 25 % durchgeführt.Footnote 51 Gegenstand waren Belastungssituationen im Arbeitsalltag, Arbeitszufriedenheit sowie Einstellungen. Dabei bewerten 97 % der Befragten die Demokratie als beste Staatsform. Mit Blick auf die politische Orientierung verorteten sich 64,4 % selbst in der „Mitte“, 18,8 % als „mäßig rechts“. Die Aussagekraft mit Blick auf die Verbreitung rassistischer Einstellungen dürfte aufgrund definitorischer Unschärfen der Begrifflichkeiten, welche der individuellen Auslegung der Befragten unterliegen, jedoch begrenzt sein. Ferner sieht jede:r vierte Befragte die Gefahr, dass Deutschland ein „islamisches Land“ werden könne, worin sich die Zustimmung zu einer „rechtsoffenen“ Position manifestiert bzw. ein Bedrohungsstereotyp gegenüber Muslim:innen zum Ausdruck kommt, welche im Widerspruch zur Selbstverortung steht. Darüber hinaus gaben 12,5 % der Teilnehmenden an, häufiger rassistische Äußerungen durch Kolleg:innen gehört zu haben.Footnote 52 Unklar bleibt allerdings auch hier, ab wann eine Äußerung als rassistisch eingeschätzt wird und in welchem Kontext (z. B. in kollegialen Gesprächen, in direktem Bürgerkontakt) diese erfolgte. Darüber hinaus ist bemerkenswert, dass mehr als die Hälfte der Befragten die Akzeptanz des staatlichen Gewaltmonopols bedroht sieht, da dieser Umstand zumindest Law-and-Order Positionen sichtbar macht.

Eine aktuelle Studie aus Hamburg, die den Zusammenhang zwischen antimuslimischen Einstellungen und Vorurteilen, Stereotypen sowie Intergruppenkontakten unter direkteinsteigenden – also ohne Berufserfahrung – und – mit polizeipraktischer Berufserfahrung – aufsteigenden Kommissaranwärter:innen untersuchte, verdeutlichte, dass gegenüber als muslimisch wahrgenommenen Menschen negative Stereotype insbesondere unter denjenigen bestanden, die von beruflichen Kontakten mit dieser Gruppe berichteten.Footnote 53 Positive private Kontakte mit Muslim:innen standen mit geringeren Vorurteilen in Zusammenhang.Footnote 54 Weiterhin zeigte sich, dass berufserfahrene Aufstiegsbeamt:innen signifikant negativere Stereotype und Einstellungen gegenüber dem Islam wie auch stärker ausgeprägte Bedrohungsstereotype gegenüber Muslim:innen aufwiesen als die Direkteinsteigenden, wobei sich beide Gruppen hinsichtlich Alter und Bildungsgrad unterschiedlich zusammensetzten.Footnote 55 Im Vergleich zur entsprechenden Allgemeinbevölkerung wies die Polizeistichprobe jedoch keine negativeren Einstellungen auf.

Im Rahmen einer Untersuchung zu rechtswidriger Gewaltanwendung durch Polizeibeamt:innen berichteten Abdul-Rahman et al. basierend auf Aussagen von Betroffenen sowie einzelnen Befragungen von Polizeibeamt:innen ebenfalls von Hinweisen auf explizit-rassistische Einstellungen, ohne dass sich jedoch eine valide Aussage über die Verbreitung treffen ließ.Footnote 56 Entsprechende Einstellungen wurden hierbei in der Abwertung und gezielten Benachteiligung von Personen mit Migrationshintergrund und insbesondere People of Color durch eindeutig rassistische, antisemitische oder muslimfeindliche Aussagen und Beleidigungen sichtbar.Footnote 57

4 Fazit und Ausblick

Obgleich die Forschung zu rassistischen Einstellungen in der Polizei nunmehr 30 Jahre umfasst und entsprechende Tendenzen bereits seinerzeit problematisiert wurdenFootnote 58, ist der Kenntnisstand bemerkenswert fragmentarisch.Footnote 59 Hinsichtlich des methodischen Zugangs lässt sich konstatieren, dass qualitative Ansätze, bei der die Analyse von Interaktionen resp. polizeilichen Praktiken im Vordergrund stehen, dominieren. Sie ermöglichen zwar Rückschlüsse auf die Existenz rassistischer Einstellungs-, Wahrnehmungs- und Deutungsmuster, führen jedoch zu keinen validen Erkenntnissen über deren Umfang und Verbreitung. Zugleich erschweren unterschiedliche Konzeptionen und Operationalisierungen von rassistischen bzw. fremdenfeindlichen Einstellungen die Vergleichbarkeit der Befunde. Darüber hinaus nehmen bisherige Studien nur regionale Ausschnitte und einzelne Arbeitsbereiche des polizeilichen Alltags in den Blick, sind teilweise schon Jahrzehnte alt und umfassen meist nur kleine, für die Polizeipopulation nicht repräsentative Stichproben zu einem konkreten Erhebungszeitpunkt. Auffällig sind auch die teils geringen Rücklaufquoten, die Ausdruck von Widerstand bzw. Furcht vor Stigmatisierung sein könnten und auf die Sensibilität des Themas hinweisen (s. unten). Vor diesem Hintergrund sollte zukünftige Forschung auch implizite Einstellungsmaße berücksichtigen, welche nicht nur weniger verfälschbar sind, sondern zugleich spontane, automatische Verhaltensreaktionen besser vorhersagen können, die gerade im polizeilichen Kontext bedeutsam sein dürften.Footnote 60 Lückenhaft ist auch das Wissen über Veränderungen von rassistischen Einstellungen sowie den diesen zugrundeliegenden (beruflichen wie privaten) Einflussfaktoren. Zwingend notwendig sind daher längsschnittliche Studiendesigns. In diesem Zusammenhang gilt es auch den Blick für Ressourcen zu schärfen und diese gezielt zu stärken, um der Entwicklung und Verfestigung demokratiegefährdender rassistischer Grundhaltungen entgegenzuwirken.

Trotz aller Kritik lassen sich dennoch vielfach Hinweise auf Abwertungstendenzen von „allochthon“ gelesenen Personen erkennen. Obgleich die Eingangsfrage nach dem Ausmaß rassistischer Einstellungen aufgrund der vorgenannten Einschränkungen nicht eindeutig zu beantworten ist, so kann als erste Annäherung zumindest die Streuungsbreite zwischen den Studien dienen. Die Anteile variieren dabei etwa zwischen 5 % und 25 %. Die Schätzungen der Polizeibeamt:innen für ihre Peergroup überschreiten diese sogar deutlich (zwischen 12,5 und knapp 45 %). Wirft man zusätzlich einen Blick auf aktuelle Befunde aus der Allgemeinbevölkerung, so stimmten im Jahr 2020 ebenfalls zwischen 6 % und 46 % verschiedenen Dimensionen rechtsextremer Einstellungen zu, die antisemitische (rd. 6–10 %), ausländerfeindliche (rd. 19–28 %) und muslimfeindliche (rd. 27–47 %) Aussagen umfassten.Footnote 61 Ein solcher Vergleich ist insofern naheliegend, als dass bislang keine substanziellen Unterschiede im Ausmaß rassistischer Haltungen zwischen Polizeikohorten und alters- und bildungsentsprechenden Allgemeinbevölkerungsgruppen nachgewiesen werden konnten.Footnote 62 Resümierend scheint also ein gewisser Anteil an Polizeikräften rassistische Einstellungen zu teilen,Footnote 63 die von mehr oder weniger verfestigten rassistischen Überzeugungen über ein Bedrohungsempfinden bis hin zu Ungleichbehandlungen reichen können.

Eine genauere Betrachtung des skizzierten Forschungsstands verdeutlicht darüber hinaus erstens, dass es an einer allgemein anerkannten Rassismusdefinition mangelt. Die Forschung aus den Neunziger Jahren und der anfänglichen Nuller Jahre näherte sich über einen analytischen Feldzugang des Konzepts der Fremdenfeindlichkeit und des Rechtsextremismus, bei der die Zuschreibung und Einordnung der Kategorie „Fremdenfeindlichkeit“ als Rassismus reproduzierende Zuschreibung noch nicht hinterfragt wurde. Dies erscheint mit Blick auf die Ansätze der jüngsten Rassismusforschung hinsichtlich des Verständnisses von Rassismus als nicht mehr zeitgemäß.Footnote 64 Grundlegend für die Forschung wäre folglich ein gesamtgesellschaftlicher Konsens dahingehend, dass Rassismus als ein Phänomen – frei von moralischer Konnotation – begriffen wird, das historisch und strukturell gewachsene Dimensionen aufweist, die in der heutigen gesellschaftlichen Struktur nach wie vor verankert sind und die Identifikation von Rassismen nicht von der Intention, sondern von der Wirkung, der individuellen Erfahrung und der Perspektive, die darauf eingenommen wird, abhängt. Voraussetzung hierfür ist die Sensibilisierung weißer Menschen für das Vorhandensein spezifischer Privilegien, die sich in einem strukturellen Chancenungleichgewicht manifestieren. Polizist:innen befürchten in diesem Zusammenhang häufig, dass ihr Handeln stigmatisiert wird. Solche wahrgenommenen Stigmatisierungen verhindern allerdings die selbstkritische Reflexion polizeilichen Handelns und eine Neujustierung vorhandener Strukturen und lassen sich als Abwehrreflexe im Sinne der sog. weißen FragilitätFootnote 65 begreifen.

Zweitens imponiert, dass Selbstbeschreibungen und Deutungsmuster durch die befragten Polizeibeamt:innen, die Übergriffe gegenüber als fremd wahrgenommenen Personen als Einzelfälle beschreiben, welche sich als Reaktionen auf Stress und Überbelastung und „die Ausländerkriminalität“ selbst zurückführen ließen, häufig vorbehaltlos im Diskurs übernommen wurden,Footnote 66 ohne dass sich hinreichend empirische Belege dafür ergaben. Die unkritische Übernahme der polizeilichen Konstruktion von Wirklichkeit führt zur Negation von persönlicher Verantwortung und Selbststilisierung als „Opfer“ von Justiz, Politik, Medien und „Kriminellen“. Entsprechende Prozesse sind von dem Bemühen um Rechtfertigung und Legitimation des polizeilichen Handelns geprägt, welche als Abwehrhaltung und Immunisierung gegenüber Kritik verstanden werden können.

Ein dritter bemerkenswerter Befund, der als wiederkehrendes daran anknüpfendes Muster identifiziert werden konnte, stellt die Diskrepanz zwischen individueller Selbstverortung und der relativ verbreiteten Einschätzung rassistischer Tendenzen in eigenen Polizeikohorte dar. Dies verdeutlicht, dass Rassismus nicht nur auf individueller, sondern auch auf struktureller Ebene und ihren wechselseitigen Wirkmechanismen untersucht werden muss, was auch Aspekte der Fehlerkultur miteinschließt.

Um der Komplexität des Phänomens mit seinen vielen Nuancen und Ressentiments Rechnung zu tragen, bedarf es letztlich eines ganzheitlichen Forschungsansatzes, der unterschiedliche analytische Perspektiven sowohl hinsichtlich der einbezogenen Sichtweisen als auch des methodischen Zugangs vereint, und die zuvor identifizierten Forschungsdesiderate adressiert.Footnote 67 Dabei dürfte die Betrachtungsebene von ausschließlich rassistischen Einstellungen zu kurz greifen. Vielmehr gilt es den Blick auf Gruppierungen zu wenden, bei denen sich polizeispezifische Diskriminierungspraktiken als relevant im Sinne von gefährdet oder auch besonders betroffen erweisen. Neben Menschen, die nicht als „weiß“ gelesen werden bzw. Angehörigen ethnischer Minderheiten, trifft dies auch auf marginalisierte, soziale Randgruppen wie Sexarbeiter:innen, wohnungslose oder drogenabhängige Menschen sowie Personen zu, die dem „linken Spektrum“ zugeordnet werden.Footnote 68 Die simultane Berücksichtigung mehrerer Dimensionen von Ungleichwertigkeitsvorstellungen impliziert zugleich intersektionale Aspekte – also die Frage der Mehrfachdiskriminierung. Eine weitere einzubeziehende Analyseebene, die im Zusammenhang mit Strukturmerkmalen steht, stellen Werte z. B. in Form autoritärer Tendenzen, (übersteigerter) Law-and-Order-Positionen sowie zur Ausübung des Gewaltmonopols dar, weil sie sich auf das System beziehen, das durch die Exekutive geschützt werden soll. Forschung sollte, daran anknüpfend, nicht nur individuelle Einstellungen auf der Mikroebene betrachten, sondern ebenso Strukturmerkmale und Machtverhältnisse auf der Makroebene, die besondere Rolle von Organisationseinheiten hinsichtlich der Themen Cop CultureFootnote 69 sowie männlicher Dominanzkultur auf der Mesoebene und deren Wechselwirkungsprozesse in den Blick nehmen. Überdies ist auch der Frage nachzugehen, in welchen Formen (subtil wie direkt) und unter welchen Bedingungen sich entsprechende Einstellungen auf der konkreten Verhaltensebene manifestieren.Footnote 70 In diesem Zusammenhang dürften gerade unbewusste Prozesse bspw. im Kontext von Gefährlichkeitseinschätzungen bestimmter Personengruppen näher zu beleuchten sein, insofern diese ein ggf. schärferes Einschreitverhalten begünstigen und damit auch Eskalationsdynamiken Vorschub leisten können, was wiederum Rassismen reproduziert. Zuletzt ist – wie SchiemannFootnote 71 bereits formulierte – im Rahmen eines ganzheitlichen Ansatzes auch der interne Umgang mit extremistischen Haltungen einerseits sowie konkreten Verdachtsfällen andererseits zu evaluieren.