Zusammenfassung
Der Umgang der Polizei mit Kriminalitätsopfern mit eigener oder familiärer Zuwanderungsgeschichte ist in den letzten dreißig Jahren immer wieder Gegenstand medialer und politischer Auseinandersetzungen gewesen. Wissenschaftlich erforscht wird dieser Bereich polizeilichen Handelns erst seit kurzer Zeit. Die vorliegenden Ergebnisse deuten darauf hin, dass die in der Polizei verankerte Annahme, dass es sich bei diesem Teil der Bevölkerung um „Fremde“ handele, häufig unsensibles Verhalten und Diskriminierungen zur Folge hat.
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Für Opfer von Straftaten ist die Polizei häufig die erste staatliche und damit auch gesellschaftliche Institution, mit der sie über die erfahrenen Verletzungen in Austausch treten. Die Betroffenen dabei nicht nur als Zeug:innen einer Straftat, mithin als Beweismittel im anstehenden Strafverfahren zu registrieren, sondern ihnen helfend und Sicherheit gebend zur Seite zu stehen, ist einer der Ansprüche und Versprechen, auf die die Institution Polizei ihre Legitimität stützt. Es ist zugleich eine Erwartung, die Opfer von Straftaten an die Polizei haben.Footnote 1 Diese Erwartungen werden in der Realität – aus unterschiedlichen Gründen – oft enttäuscht.Footnote 2 Eine Gruppe von Kriminalitätsopfern, bei der sich in dieser Enttäuschung häufig gesellschaftliche Macht- und Ausgrenzungsverhältnisse niederschlagen, sind Menschen mit eigener oder familiärer Migrationsgeschichte. Semiya Şimşek z. B., Tochter des ersten NSU-Opfers Enver Şimşek, fasste ihre Wahrnehmung des polizeilichen Umganges mit den Angehörigen des Ermordeten so zusammen: „Im Laufe der Jahre haben wir uns mit dem Gedanken beruhigt, dass die Polizei nur ihre Arbeit tut, dass das alles schon irgendwie seine Richtigkeit haben wird. Dennoch war es bitter. Und wir hatten nie den Eindruck, dass irgendwer versuchte, bei alldem wenigstens rücksichtsvoll zu sein.“Footnote 3 Mit diesen nüchternen Worten wird von ihr eine Polizeiarbeit umschrieben, die von Empathielosigkeit gegenüber den Opferfamilien geprägt und von Vorurteilen gegenüber diesen als vermeintlichen Angehörigen einer fremden Kultur geleitet wurde.Footnote 4 Vor dem Hintergrund derartiger Schilderungen gewinnt die Frage danach, ob es spezifische Defizite im Umgang der Polizei mit Opfern aus Familien mit Zuwanderungsgeschichte gibt, eine eigene Dringlichkeit. Das schließt die Fragen nach den Auswirkungen dieser Behandlung auf die Betroffenen und den Ursachen für ein entsprechendes polizeiliches Agieren ein. Im Folgenden soll deswegen überblicksartig der dazu existierende Forschungs- und Diskussionsstand dargestellt und in die allgemeine Auseinandersetzung über das Verhältnis der Polizei zur von Rassismus betroffenen Bevölkerung eingeordnet werden.
1 Forschungs- und Diskussionsstand
1.1 Polizeiliche und viktimiologische Forschung – „Ausländer als Opfer“
Polizeibezogene sozialwissenschaftliche Forschung fand bis Anfang der 1990er Jahre ganz überwiegend als anwendungsbezogene Forschung für die Polizei mit dem Ziel der Optimierung der Kriminalitätsbekämpfung statt.Footnote 5 Bezogen auf die migrantische Bevölkerung der Bundesrepublik – die ausgehend von ihrem, durch das geltende Staatsangehörigkeitsrecht bestimmten, Status als „Ausländer:in“ kategorisiert wurde – galt deren Erkenntnisinteresse seit den 1960er Jahren vorrangig Ausländer:innen als Täter:innen.Footnote 6 Dem Thema „Ausländer als Opfer von Straftaten“Footnote 7 begann sich diese Forschung in den 1980er Jahren zuzuwenden, wobei es erst in den 1990er Jahren, vor dem Hintergrund rassistischer Gewaltstraftaten an Gewicht gewann.Footnote 8 Dabei wurden erste Feststellungen getätigt, die darauf hindeuten, dass die Staatsbürgerschaft von Opfern in Verbindung mit anderen Kriterien eine Rolle für den polizeilichen Umgang mit diesen spielt. Eine im Auftrag des Bayerischen LKA erstellte Studie kommt 1995 zu der Erkenntnis, dass der Umgang von Polizist:innen mit Opfern von Straftaten vorrangig vom begangenen Delikt und nicht von der Nationalität der Betroffenen abhängig sei, dass Polizeibeamt:innen aber mit Hilfsmaßnahmen zurückhaltender reagierten, wenn ausländische Opfer von ausländischen Täter:innen anderer Nationalität geschädigt würden und speziell psychischer Beistand häufiger deutschen Opfern geleistet würde.Footnote 9 Diese Feststellung wird im Rahmen der 1998 veröffentlichten, von Strobl unter dem Eindruck der rassistischen Morde und Brandanschläge der 1990er JahreFootnote 10 vorgenommenen, Untersuchung zu „Soziale[n] Folgen der Opfererfahrung ethnischer Minderheiten“ präzisiert. Auf der Basis der Befragung von Migrant:innen aus der Türkei und deren Nachkommen kommt Strobl zu der Schlussfolgerung, dass die Resonanz von Polizist:innen auf eine mitgeteilte Opfererfahrung umso größer sei, je relevanter die verletzte Strafrechtsnorm sei, je schwächer und hilfloser das Opfer in ihren Augen erscheine, je stärker es als anständiger, unschuldiger Mensch zur Eigengruppe zugerechnet werde und je klarer sei, was für das Opfer getan werden könne.Footnote 11 Die Eigengruppe sei dabei die „anständiger Menschen“, aus der aber immer wieder Personen aufgrund eines „ausländischen“ Erscheinungsbildes ausgegrenzt würden.Footnote 12
Neben diesem viktimiologischen Forschungsstrang entwickelte sich auf zwei weiteren Feldern die wissenschaftliche und politische Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen Polizei und Migrant:innen, die für die Frage nach dem polizeilichen Umgang mit Kriminalitätsopfern aus Familien mit Zuwanderungsgeschichte erkenntnisträchtig sind. Zum einen wurde seit den 1990er Jahren verstärkt das Verhältnis zwischen Polizei und Migrant:innen diskutiert, zum anderen der Umgang der Polizei mit Opfern rechter Gewalt.
1.2 (Post-)migrantische Kriminalitätsopfer und das Verhältnis zwischen Polizei und Migrant:innen
Etwa zeitgleich mit der Etablierung einer unabhängigen Polizeiforschung in den 1990er Jahren und unter dem Eindruck von durch rassistische Übergriffe von Polizist:innen ausgelösten medialen und politischen Debatten über Rassismus in der Polizei rückte das allgemeine Verhältnis von Polizei und (post-)migrantischer Bevölkerung in den Fokus sozialwissenschaftlicher Untersuchungen.Footnote 13 Vor dem Hintergrund anhaltender politischer Debatten um Einwanderung und Integration liegt hierzu mittlerweile eine Vielzahl von Publikationen vor. Den Schwerpunkt bilden dabei Untersuchungen zum Polizieren in urbanen Räumen, die durch einen hohen Anteil (post-)migrantischer Bevölkerung, Armut und ökonomische Transformations- und Umstrukturierungsprozesse gekennzeichnet sind.Footnote 14 Das Interesse gilt hier – auch und gerade vor dem Hintergrund der Wahrnehmung gewaltsamer Auseinandersetzungen zwischen (post-)migrantischer, jugendlicher Bevölkerung derartiger Viertel und Polizei im europäischen AuslandFootnote 15 – dem Aufeinandertreffen der Polizei und einer Bevölkerung, die sich gegenseitig fremd sindFootnote 16, der gegenseitigen Wahrnehmung, den sich ergebenden Konflikten um Macht, Kontrolle und Diskriminierung sowie den Möglichkeiten der Polizei, derartige Konflikte zu minimieren und zu moderieren. Im Zentrum dieser Forschungen stehen, darin spiegeln sich ein generelles Charakteristikum empirisch sozialwissenschaftlicher Forschung wie auch Annahmen über die Akteur:innen bestehender wie potentieller Konfliktsituationen, (post-)migrantische Jugendliche. Als entsprechende Ansätze, die Polizei in die Lage zu versetzen, in Konflikten in der Migrationsgesellschaft zu bestehen, werden die Vermittlung interkultureller Kompetenzen an die Beamt:innen und die Gewinnung von Personen mit Migrationshintergrund für den Polizeidienst diskutiert.Footnote 17
In diesen Untersuchungen, die sich mit dem Verhältnis von Migrant:innen und Polizei beschäftigen, spielt der Umgang mit migrantischen Kriminalitätsopfern nur eine untergeordnete Rolle. Es finden sich jedoch z. T. eindrückliche Hinweise darauf, dass der Umgang der Polizei mit migrantischen Kriminalitätsopfern oft von mangelnder Sensibilität und fehlender Resonanz geprägt ist.Footnote 18 So ergibt sich aus den Antworten auf eine Umfrage des Essener Zentrums für Türkeistudien von 2006, dass sich ein Drittel der türkischstämmigen Bewohner:innen Nordrhein-Westfalens, die zwischen 2000 und 2005 als Zeug:innen oder Opfer Kontakt mit der Polizei hatten, durch polizeiliches Handeln diskriminiert sah.Footnote 19 Auch qualitative Forschungsprojekte zu den Lebensbedingungen migrantischer Jugendlicher und deren Verhältnis zur Polizei registrieren Berichte z. B. darüber, dass sich Jugendliche von der Polizei als Opfer einer Straftat nicht ernstgenommen fühlen, z. B. weil diese die Aufnahme einer Strafanzeige verweigerteFootnote 20, und dass derartige Ausgrenzungserfahrungen von den Betroffenen als Verweigerung grundlegender Rechte und als rassistisch motivierter Ausschluss aus der Gesellschaft wahrgenommen werden.Footnote 21
Wahrscheinlich wichtiger als diese punktuellen Belege zum polizeilichen Umgang mit migrantischen Opfern sind auch im Kontext des hier betrachteten Themas die grundlegenden Erkenntnisse dieser Forschungen. So erscheint danach in der polizeilichen Praxis das Themenfeld Migration bzw. die Wahrnehmung von Migrant:innen oder Personen mit Migrationshintergrund oft eng verknüpft mit der Existenz teils massiver, oft räumlich konzentrierter sozialer Problemlagen.Footnote 22 Zudem zeigte sich, dass Polizist:innen gerade im Umgang mit derartigen Problemlagen, die sie nicht lösen können, informelle Handlungsroutinen („second code“) entwickeln, die durchaus von den rechtlichen Grundlagen polizeilicher Arbeit abweichen.Footnote 23 Dem Autor dieses Textes sind z. B. aus eigener, sozialarbeiterischer Arbeitserfahrung mit Asylbewerber:innen Beschwerden bekannt, wonach Polizist:innen bei Straftaten, bei denen sowohl Täter:innen als auch Geschädigte Asylbewerber:innen sind, die Aufnahme von Anzeigen verweigerten. Die Vermutung liegt nahe, dass die Beamt:innen so im Umgang mit Fällen die, u. a. aufgrund hoher Sprachhürden, schwierig zu bearbeiten sind, ihren Arbeitsaufwand minimieren, mit der Folge, dass sich die Betroffenen durch die so verweigerte Anerkennung ihres Opferstatus diskriminiert sehen.
1.3 Der Umgang mit migrantischen Opfern in Fällen rechter Gewalt
Ein anderer Zugang macht sich am Thema rechtsextremer Gewalt fest. Dass in Fällen rassistisch oder antisemitisch motivierter Gewalt der polizeiliche Umgang mit Opfern mit eigener oder familiärer Migrationsgeschichte häufig unzureichend ist, Opfer als Täter:innen behandelt werden, ihnen nicht geglaubt wird oder unsensibel mit ihnen umgegangen wird, wird nicht nur von den Angehörigen der NSU-Opfer berichtet, sondern ist eine Kritik, die seit den 1990er Jahren immer wieder im Kontext rechter Gewaltstraftaten artikuliert wird. Tatsächlich ist dieses besondere Deliktsfeld das, in dem problematisches Polizeiverhalten gegenüber Opfern am besten dokumentiert ist. Dies ist allerdings kein Verdienst akademischer Forschung oder polizeilicher Selbstevaluation, sondern verdankt sich politischem Aktivismus und medialer Aufmerksamkeit. Diese stellen eine Reaktion auf die, oft tödliche, rechte Gewalt dar, die in den 1990er Jahren in weiten Teilen Ostdeutschlands den Alltag prägte, aber auch – wie z. B. die Anschläge in Mölln und Solingen zeigten – für die migrantische Bevölkerung Westdeutschlands zur existenziellen Bedrohung wurde. Von rechter Gewalt Betroffene und Bedrohte, mit ihnen solidarische Akteur:innen, die versuchten dieser Gewalt etwas entgegen zu setzen, und interessierte Journalist:innen begannen in dieser Zeit, die Gewaltakte und ihre Folgen zu thematisieren. Eine besondere Rolle spielten und spielen hierbei Beratungs- und Unterstützungsorganisationen für Betroffene rechter Gewalt, die ab Ende der 1990er Jahre zuerst in Ostdeutschland, später bundesweit entstanden.Footnote 24
Die genannten Akteur:innen legten bald auch einen Fokus auf die staatlichen Reaktionen auf rechte Gewalt, erschien ihnen der Umgang staatlicher Institutionen und deren Vertreter:innen mit der rechten Gewalt doch oft durch Verharmlosung, Unwillen und Unfähigkeit bis hin zu mehr oder weniger klammheimlicher Sympathie geprägt.Footnote 25 Mittlerweile existiert eine unüberschaubare Anzahl journalistischer Berichte aus den letzten drei Jahrzehnten, die entsprechende Fallkonstellationen beschreiben. Dadurch wurde der Umgang der Polizei mit – nicht nur migrantischen – Opfern rechter Gewalt zum Gegenstand der Kritik. Diese Kritik konnte anfangs z. T. nur gegen erhebliche Widerstände aus der Polizei öffentlich gemacht werden. Besonders prägnant zeigt das ein Beispiel aus der Brandenburger Kleinstadt Rathenow. Hier hatten sich im Frühjahr 2000 afrikanische Asylsuchende mit der Forderung an die Öffentlichkeit gewandt, sie aufgrund der täglich drohenden Gewalt aus der Stadt in ein westdeutsches Bundesland zu verlegen. Im August 2000 besuchte ein britischer Journalist mit chinesischem Migrationshintergrund die Asylsuchenden. Bei einem Spaziergang durch die Stadt mit drei von ihnen wurde die Gruppe von einem rechtsradikalen gewalttätig angegriffen. Herbeigerufene Polizist:innen sprachen den späteren Schilderungen der Angegriffenen zufolge mit dem Täter und versuchten anschließend, ohne das Gespräch mit diesem zu suchen, dem Journalisten seine Kamera zu entreißen. Gewaltsam sei er in einen Streifenwagen verfrachtet und sein Versuch, telefonisch einen Anwalt zu erreichen unterbunden worden. Die Brandenburger Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt Opferperspektive e. V. und ein Sprecher der Rathenower Asylsuchenden kritisierten danach in Presseerklärungen und Interviews dieses Vorgehen. Seitens der Polizeiführung und des Innenministeriums wurde diese Kritik harsch zurückgewiesen, die Beamt:innen erstatteten Strafanzeigen gegen die Aktivist:innen, die zu, schließlich eingestellten, Gerichtsverfahren wegen „Übler Nachrede“ führten. Die Beamt:innen wurden weder straf- noch dienstrechtlich belangt.Footnote 26
Während das Thema so seit den 1990er Jahren Gegenstand politischer, journalistischer und gelegentlich juristischer Auseinandersetzung war, wandte sich die sozialwissenschaftliche Forschung den Erfahrungen der Opfer rechter Gewaltstraftaten, insbesondere auch ihrem Erleben polizeilicher Arbeit jedoch erst mit deutlicher Verspätung zu. Grundlegend ist hier immer noch die 2014 publizierte, aus den Bielefelder Forschungen zu gesellschaftlichen Desintegrationsprozessen hervorgegangen Studie von Böttger, Lobermeier und Plachta zur Viktimisierung von Opfern rechtsextremer Gewalt und den von ihnen entwickelten Verarbeitungsstrategien.Footnote 27 Im Rahmen der Studie wurden jeweils elf Personen befragt, die in Deutschland bzw. im Ausland geboren worden waren und nach einem rechten Angriff Kontakt mit der Polizei hatten.Footnote 28 Die Mehrzahl der Befragten nahm dabei die Arbeit der Polizei als nachvollziehbare, aber wenig hilfreiche Routinetätigkeit war.Footnote 29 Fehlende Hilfsbereitschaft, Distanz oder Gleichgültigkeit der Polizist:innen gegenüber den Angegriffenen wurde von der Mehrheit der Befragten berichtet.Footnote 30 Dabei war der Anteil der Interviewten, die die Arbeit der Polizei negativ bewerteten unter den in Deutschland geborenen Personen deutlich höher als unter den Migrant:innen.Footnote 31 Die Untersuchung legt nahe, dass diese Differenzierung darauf zurückzuführen sei, dass die Wahrnehmung des polizeilichen Handelns durch Betroffene nicht nur durch das Agieren im konkreten Angriffsfall, sondern maßgeblich auch durch Vorerfahrungen mit der Polizei in Deutschland wie auch in den Herkunftsländern von Migrant:innen, sowie durch die Existenz der Möglichkeit des Vergleichs polizeilichen Handelns in verschiedenen Gesellschaften beeinflusst werde.Footnote 32 Daran anknüpfend stelle eine der zentralen Auswirkungen eines distanzierten, gleichgültigen oder ablehnenden Umgangs der Polizei mit migrantischen Tatopfern die Schwächung ihres Systemvertrauens in die deutsche Gesellschaft dar.Footnote 33
Zeitgleich zu der Untersuchung von Böttger, Lobermeier und Plachta veröffentlichte die Thüringer Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt ezra die von Quent, Geschke und Peinelt in Kooperation mit ihr vorgenommene erste statistische Untersuchung zur Frage, wie Betroffene von rechten Gewaltstraftaten die Arbeit von Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden erleben.Footnote 34 Diese geht der Frage nach, welche Bedeutung polizeiliches Handeln für die Viktimisierung der Tatopfer auf den verschiedenen Ebenen, primär, sekundär und tertiär, hat.Footnote 35 In diesem Zusammenhang wurde polizeiliches Verhalten von den Befragten dann als positiv und hilfreich bewertet, wenn Beamt:innen schnell und engagiert eingriffen, den politischen Tathintergrund als für die juristische Bewertung des Geschehenen relevant erkannten und sich die Betroffenen als Opfer einer Straftat ernstgenommen fühlten.Footnote 36 Als negativ und verletzend beschrieben die Befragten u. a. Situationen, in denen es lange dauerte, bis die Polizei kam, Beamt:innen unfreundlich und unsensibel kommunizierten, sie sich nicht von der Polizei ernstgenommen fühlten, das politische Motiv die Polizist:innen nicht interessierte, ihnen mit Vorurteilen begegnet wurde, ihnen vorgeworfen wurde, für die Eskalation der Situation verantwortlich zu sein, sie als Täter:innen behandelt wurden oder die Polizei den tatsächlichen Täter:innen gegenüber zugewandter agierte als ihnen.Footnote 37
Als eindrückliches Beispiel verletzenden Polizeiverhaltens wird eine Konstellation beschrieben, die ähnlich auch in anderen UntersuchungenFootnote 38 berichtet wird. Ein Interviewter beschrieb, wie ein ihn vernehmender Beamter sich zu Beginn der Vernehmung vorrangig mit dem für das Tatgeschehen unbedeutenden Aufenthaltsstatus des Geschädigten beschäftigte und ihm verdeutlichte, dass der weitere Umgang mit ihm von dem Umstand abhänge, ob er „legal oder illegal“ in Deutschland sei.Footnote 39 Derartiges Verhalten stellt keine Ausnahme dar. Bis zu einem Drittel der Befragten sah sich durch das Agieren von Polizist:innen erneut viktimisiert, etwa die Hälfte fühlte sich in der Tatsituation durch die Polizei nicht ernst genommen und als Opfer einer Straftat behandelt.Footnote 40 Angesichts der Zahl von 44 Befragten sind diese Ergebnisse jedoch nicht repräsentativ.Footnote 41 Diesbezüglich validere Ergebnisse sind von einem zum Zeitpunkt der Abfassung des Textes in Vorbereitung befindlichen Forschungsprojekt zu erwarten, dass von Geschke am Jenaer Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in Kooperation mit verschiedenen Beratungsstellen für Betroffene rechter Gewalt vorbereitet wird. In diesem sollen, in Anknüpfung an die dargestellte Thüringer Befragung, bundesweit mehrere hundert Betroffene rechter Gewalt nach ihren Erfahrungen mit Polizei und Justiz befragt werden.Footnote 42
1.4 Der Umgang der Polizei mit migrantischen Opfern – Erkenntnisse aus Sachsen-Anhalt
Dass sich wissenschaftliche Untersuchungen der Interaktion zwischen Polizist:innen und migrantischen Tatopfern vorwiegend über das Erleben der Opfer zuwenden, dürfte grundsätzlich an der Abschottung der Polizei und deren Abwehr gegen ihre unabhängige Beforschung liegen.Footnote 43 Allerdings ist diese Abwehr nicht unüberwindbar. Der Druck anhaltender öffentlicher Kritik an einem von mangelnder Sensibilität geprägten Umgang der Polizei Sachsen-Anhalts mit migrantischen Opfern rechter Gewalt ermöglichte dort die Erarbeitung der ersten umfassenden Studie durch Asmus und Enke, die unter Einschluss der Polizeiperspektive der Frage nachging, ob eine mangelnde Sensibilität der Polizei gegenüber migrantischen Opferzeug:innen besteht und wodurch diese zu erklären sei.Footnote 44
Auf der Basis von Interviews und Gruppendiskussionen mit Polizeibeamt:innen, Opfern, Opferberater:innen und Dolmetscher:innen kommt diese zu dem Schluss, dass es eindeutige Hinweise auf eine mangelnde Sensibilität der Beamt:innen der Polizei Sachsen-Anhalts im Umgang mit migrantischen Opferzeug:innen in Einsätzen bei rechten Straftaten gebe.Footnote 45 Diese mangelnde Sensibilität sei auf das implizite (habituelle) Erfahrungs- und Handlungswissen der Beamt:innen zurückzuführen, dass deren Handeln im Einsatz lenke und von den betroffenen Opfern als diskriminierend empfunden werde.Footnote 46 Eine wichtige Rolle spiele dabei eine kommunikativ erzeugte Befangenheit der Beamt:innen und Beamten gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund; dieser erschwere es der Polizei sich Migrant:innen gegenüber souverän und situationsangemessen gemäß den polizeilichen Aufgaben zu verhalten.Footnote 47 Diese Befangenheit resultiere aus der Annahme der Beamt:innen, dass Migrant:innen (herkunfts-)kulturell Fremde seien, deren Erleben, Äußerungen und Handlungsweisen in Kontaktsituationen von der eigenen Person fundamental abweiche.Footnote 48 Diese Fremdheit werde dabei ethnisch oder religiös bestimmt, gegebene Durchlässigkeit zur Kultur der deutschen Mehrheitsgesellschaft situativ nicht gesehen bzw. nicht erkannt.Footnote 49
In dieser Situation reagieren Beamt:innen mit einer Überbetonung von Neutralität und Objektivität als unabweisbaren Prinzipien polizeilicher Aufgabenerfüllung, die eine angemessene Konfliktbearbeitung durch situationsflexible Anwendung der Prinzipien verunmögliche und z. B. zu Versäumnissen bei Ermittlungen, falschen Verdächtigungen von Opfern, Nachsicht mit den Tatverdächtigen und mangelnder Information der Opfer über Verfahrensabläufe führe.Footnote 50 Als Resultat sähen sich Opfer häufig nicht ernst genommen, nicht respektiert, schlecht behandelt und schlecht informiert.Footnote 51 Dieser zumeist nichtintendierten Diskriminierung der Opfer sei durch umfassende Vermittlung inter- und transkultureller Kompetenzen, die Stärkung von Selbstreflexivität sowie des Willens und der Souveränität zur Anerkennung kultureller Diversität, der kulturellen Vielfalt und Verschiedenartigkeit sowie der Betroffenheit von migrantischen Opfern zu begegnen.Footnote 52
Wenige Jahre nach Abfassung der Untersuchung von Asmus und Enke wurde der polizeiliche Umgang mit Opfern rechter Gewalt in Sachsen-Anhalt erneut Gegenstand intensiver Debatten. Am 9. Oktober 2019 kam es in Halle (Saale) zu einem antisemitischen und rassistischen Terrororanschlag. Ein bewaffneter Attentäter versuchte am jüdischen Feiertag von Jom Kippur die Synagoge zu stürmen, um die dort versammelten Gläubigen, von denen viele als Migrant:innen nach Deutschland gekommen waren, zu töten. Nachdem dies nicht gelang erschoss er vor der Synagoge und in einem nahe gelegenen Döner-Imbiss zwei Personen und verletzte auf der Flucht drei weitere, darunter einen Mann aus Somalia. Nach dem Anschlag äußerten Mitglieder der jüdischen Gemeinde massive Kritik, dass nach der Tat mit ihnen unsensibel umgegangen worden sei.Footnote 53 So hätten Leibesvisitationen bei der Evakuierung der Synagoge bei den Betroffenen den Eindruck erweckt, als Täter:innen und nicht als Opfer behandelt zu werden, seien die Betroffenen nicht ausreichend darüber informiert worden, was geschehen sei und wie es nun mit ihnen weitergehe, seien sie ungeschützt Pressefotograf:innen ausgesetzt gewesen und habe es den eingesetzten Beamt:innen an Sensibilität für religiöse Besonderheiten gemangelt.Footnote 54 Die Polizei kommt in ihrer Auswertung des Geschehens zu dem Schluss, am Tatort „die erforderlichen Maßnahmen bezüglich der in der Synagoge befindlichen Personen“ vorgenommen zu habenFootnote 55 und dabei auch taktisch zweckmäßige gehandelt zu haben, wobei allerdings „Erforderlichkeit und Zielstellung der Maßnahmen nicht ausreichend erklärt“ worden seienFootnote 56. Ein Untersuchungsausschuss des Landtages Sachsen-Anhalt hingegen stellte fest, dass u. a. mangelnde Transparenz und Kommunikation über die polizeilichen Maßnahmen und deren Begründung, geringe bis nicht vorhandene Kenntnisse über jüdisches Leben und mangelnde Empathie gegenüber den Opfern durch Beamt:innen, die ihre Aufgabe vorrangig in Gefahrenabwehr und Strafverfolgung gesehen und sich ergebende Konflikte mit den Bedürfnissen der Opfer unterschätzt hätten, zu tiefer Unzufriedenheit und psychischen Verletzungen bei den Betroffenen geführt hätten.Footnote 57 Der Ausschuss stellt fest, dass der polizeiliche Umgang mit Opfern aus durch politische Gewalt gefährdeten Minderheitengruppen von diesen als Signal verstanden würde, ob sie als zugehörig zur Gesellschaft angesehen würden oder nicht.Footnote 58 Aus diesem Grund seien sowohl die interkulturellen Kompetenzen der Polizei zu stärken als auch sicherzustellen, dass Beamt:innen nach Maßgabe des Grundgesetzes agierten und Ausgrenzung und Abwertung nicht reproduzierten.Footnote 59
2 Von Ausländern zu Menschen mit familiärer Migrationsgeschichte – Fremdmachung und Ethnisierung
Migrant:innen und ihre Nachfahren stellen für die Polizei offenkundig in weiten Teilen eine problematische Gruppe dar, zumindest dergestalt, dass Beamt:innen der Umgang mit ihnen, das Reden mit ihnen und über sie häufig schwerfällt. Damit ist die Institution Polizei jedoch nicht allein. Dieses Problem haben weite Teile der deutschen Gesellschaft. Im Rahmen des hier verhandelten Themas fällt z. B. die Schwierigkeit zu benennen auf, mit welcher Kategorie von Menschen man es da zu tun habe. Beschäftigen sich die ersten für diesen Text herangezogenen Publikationen noch mit „Ausländer:innen“ (zu denen durchaus auch in der BRD geborene Jugendliche gezählt werden) als Opfer, werden die gleichen Menschen später als „Migrant:innen“ bezeichnet um schließlich zu „Menschen mit Migrationshintergrund“, „Menschen aus Familien mit Zuwanderungsgeschichte“ oder „Postmigrant:innen“ zu werden. In dieser sich verändernden Begrifflichkeit spiegelt sich die langsame Abkehr von der systematisch rechtlichen Ausgrenzung, die die Existenz weiter Teile der migrantischen Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland jahrzehntelang prägte und zu weiten Teilen immer noch bestimmt. Obwohl seit den 1950er Jahren eine umfassende Arbeitsmigration in die Bundesrepublik stattfand, die schnell zu einer sich verstetigenden Anwesenheit der Eingewanderten und ihrer Nachkommen führte, wurde bis in die 1990er Jahre im politischen Diskurs die Annahme vertreten, die „Gastarbeiter:innen“ würden eines Tages wieder „nach Hause“ gehen. Forderungen nach einer rechtlichen Regulierung von Migration dergestalt, dass Migrant:innen schließlich mit der Ursprungsbevölkerung rechtlich gleichgestellt würden, wurde die Behauptung entgegengehalten, dass Deutschland kein Einwanderungsland sei.
Eine wichtige Folge dieser Selbstdefinition als „Nicht-Einwanderungsland“ war die rechtlich unterstrichene und abgesicherte soziale Konstruktion von „Einheimischen“ und „Fremden“.Footnote 60 Auch wenn durch die Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes im Jahr 2000 die Einbürgerung von Menschen aus Familien mit Zuwanderungsgeschichte bedeutend erleichtert wurde, Menschen aus Familien mit Zuwanderungsgeschichte, die in Deutschland geboren werden, können leichter die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten, entfaltet diese Grenzziehung bis heute umfassend Wirkung, was u. a. daran liegt, dass sie seit den 1980er Jahren im Kontext sozioökonomischer Krisen und Transformationen (deutsche Wiedervereinigung, Globalisierung und – besonders die Schicht migrantischer Industriearbeiter:innen treffender – wirtschaftlicher Strukturwandel, Arbeitslosigkeit und wachsende sozialer Ungleichheit, verstärkte Zuwanderung) an Bedeutung gewonnen und zu einer Ethnisierung sozialer Probleme beigetragen hat.Footnote 61 Bis heute gelten Menschen aus Familien mit Zuwanderungsgeschichte, insbesondere, wenn sie sich in sozioökonomisch prekären Lebenssituationen befinden, als Fremde oder zumindest als gegenüber der Mehrheitsbevölkerung Andere. Die so gesellschaftlich hergestellte Fremdheit wird für die Betreffenden in Interaktion mit der Polizei zum Problem, weil, wie von Strobl gezeigt und durch Fälle, in denen Polizist:innen, bevor sie sich einer Person als Opfer zuwenden, intensiv deren Aufenthaltsstatus prüfen, immer wieder bestätigt, polizeiliche Empathie und Sensibilität maßgeblich von der Zuordnung des polizeilichen Gegenübers zur Eigengruppe abhängig ist.Footnote 62 Und diese Eigengruppe wird in der Polizei offenkundig zumeist immer noch national und auf der Basis eines durch das ius sanguinis geprägten Staatsbürgerschaftsverständnis definiert.
3 Fazit
Über den Umgang der Polizei mit Opfern aus Familien mit Zuwanderungsgeschichte liegt bis heute nur punktuelles Wissen vor. Dieses speist sich aus einer überschaubaren Bandbreite von Quellen: aus Berichten Betroffener, wie dem von Semiya Şimşek, journalistischen Veröffentlichungen, politischen Diskussionen und Verlautbarungen sowie einer überschaubaren Anzahl wissenschaftlicher Untersuchungen, die in der Regel anhand relativ kleiner Gruppen von Betroffenen den Umgang der Polizei mit (post-)migrantischen Kriminalitätsopfern erheben. Diese haben sich in den letzten Jahren auf den Umgang der Polizei mit den Opfern rechter Gewalt fokussiert. Der Anstoß zu diesen Untersuchungen kommt in der Regel von zivilgesellschaftlichen Akteur:innen, v. a. aus dem Bereich der Unterstützung von Opfern rechter Gewalt, die polizeiliches Fehlverhalten kritisieren. Auch hier bestätigt sich die wichtige Rolle, die politischer Druck aus der Zivilgesellschaft für eine kritische Untersuchung polizeilicher Praxen spielt.Footnote 63 Ergänzend zu diesen Studien trägt die Forschung zum polizeilichen Agieren im Kontext urbaner Migrationsgesellschaft zum Verständnis des polizeilichen Umgangs mit (post-)migrantischen Kriminalitätsopfern bei.
Auf Basis dieser überschaubaren empirischen Grundlage lässt sich feststellen: der polizeiliche Umgang mit ihnen frustriert nicht nur (post-)migrantische Kriminalitätsopfer, auch Deutsche ohne Migrationshintergrund sind häufig von ihrer Behandlung durch die Polizei enttäuscht.Footnote 64 Dies dürfte grundlegend darauf zurückzuführen sein, dass die Polizei täter:innenzentriert arbeitet und Opfer von Straftaten häufig auf ihre Rolle als strafprozessuales Beweismittel reduziert werden. Menschen mit Migrationshintergrund sind darüber hinaus jedoch oft durch spezifische Formen polizeilicher Interaktion betroffen, die an das Merkmal eigener oder familiärer Migrationsgeschichte anknüpfen. Es ist naheliegend, dass diese in Fällen von Kriminalität, deren Motivlage sich ebenfalls auf das Merkmal Migrationsgeschichte bezieht, also in Fällen rassistischer Gewalt, von den Betroffenen besonders deutlich wahrgenommen werden. Auf der Phänomenebene äußert sich dies z. B. darin, dass in bestimmten Konstellationen die Aufnahme von Anzeigen verweigert wirdFootnote 65, Opfer von Gewalt intensiv auf ihren Aufenthaltsstatus hin befragt oder kontrolliert werdenFootnote 66, Betroffenen vorurteilsbeladen, unempathisch und nicht hilfsbereit gegenüber getreten wirdFootnote 67, das politische Motiv rassistischer Angriffe nicht erkannt oder geleugnet wirdFootnote 68, Polizist:innen mangelndes Wissen über spezifische Bedrohungslagen demonstrierenFootnote 69, Betroffenen vorgeworfen wird die Eskalation der Tatsituation mit zu verantworten zu haben bzw. sie selbst als Täter:innen behandelt werden, während mit den tatsächlichen Angreifer:innen freundlich umgegangen wirdFootnote 70.
In diesen Beispielen schlagen sich zwei verschiedene Formen des polizeilichen Umgangs mit dem Allgemeinen und dem Besonderen im hier verhandelten Kontext nieder, die aber zeitgleich auftreten können. In der einen Variante fokussieren sich die Beamt:innen auf die Besonderheit des (post-)migrantischen Kriminalitätsopfers als einer:eines Fremden/Anderen. Sie kontrollieren seinen:ihren Aufenthaltsstatus, behandeln sie:ihn auf der Basis von Vorurteilen o. ä. In der anderen Variante verweigern sie die Auseinandersetzung mit der Spezifik rassistischer Gewalttaten bzw. nehmen sie diese nicht wahr. Der Aufenthaltsstatus ist nun für den Status als Opfer einer Straftat und die sich daraus ergebenden Bedürfnisse nach Empathie, Sensibilität und professioneller Polizeiarbeit irrelevant, der politische Hintergrund einer Tat für deren juristische Bewertung hingegen nicht. Demzufolge stellen die hier beschriebenen Formen polizeilichen Agierens diskriminierendes Handeln dar, da sie Gleiches als ungleich und Ungleiches als gleich behandeln. Dieses wird von den Betroffenen als Verweigerung von Schutz und rechtlicher Anerkennung wahrgenommen.
Die Folgen derartigen Handelns werden in der existierenden deutschsprachigen Forschung auf zwei Ebenen beschrieben. Zum einen trägt es zur Viktimisierung der Betroffenen bei, kann insbesondere eine sekundäre Viktimisierung zur Folge haben.Footnote 71 Zum anderen kann es zu einem Verlust an Institutionenvertrauen führen. Sowohl die Beschreibung von Viktimisierungsprozessen als auch des Verlustes an Institutionenvertrauen fokussieren vorrangig auf das Individuum. In der englischsprachigen Forschung wird darauf hingewiesen, dass der kollektive Verlust rassistisch diskriminierter Bevölkerungsgruppen an Zugehörigkeitsgefühl und wahrgenommener Anerkennung durch entsprechendes polizeiliches Handeln überindividuelle Folgen zeitigt, die als legal estrangement, rechtliche Entfremdung beschrieben werden.Footnote 72 Hierzu bedarf es, gerade bezogen auf den Umgang mit (post-)migrantischen Kriminalitätsopfern im deutschen Kontext noch grundlegender Forschungen.
Ausgangspunkt des hier kritisierten polizeilichen Handelns ist, so legt die bisherige Forschung nahe, die Wahrnehmung von Migrant:innen und ihren Nachkommen als Fremde/Andere, die nicht zweifelsfrei zur Eigengruppe der zu schützenden Personen gehören. Diese Wahrnehmung dürfte u. a. Resultat des politischen und juristischen Umganges mit Migration in der Bundesrepublik Deutschland in den zurückliegenden Jahrzehnten sein. Soweit dem beschriebenen polizeilichen Ausgrenzungshandeln durch die Vermittlung interkultureller Kompetenzen begegnet werden soll, kann dies dem entsprechend nur Erfolg haben, wenn die gewählten Formen der Vermittlung und das vermittelte Wissen geeignet sind, diese Wahrnehmung der Fremdheit aufzubrechen, d. h., wenn die Betroffenen nicht exotisiert, also faktisch kulturell ausgebürgert, sondern als Träger:innen grundlegender Rechte und Angehörige der hiesigen Gesellschaft anerkannt werden.
Notes
- 1.
Hagemann (1993), S. 209 ff.
- 2.
Hagemann (1993), S. 209 ff.
- 3.
Şimşek und Schwarz (2013), S. 110 f.
- 4.
Illius (2018).
- 5.
Gesemann (2003), S. 205.
- 6.
Villmow (1999), S. 22.
- 7.
Luff und Gerum (1995).
- 8.
Villmow (1999), S. 22, 26.
- 9.
Luff und Gerum (1995), S. 222 ff.
- 10.
Strobl (1998).
- 11.
Strobl (1998), S. 307.
- 12.
Strobl (1998), S. 307.
- 13.
- 14.
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- 15.
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- 16.
Sauerbaum (2005), S. 6 f.
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- 18.
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- 20.
Nohl (2003), S. 77.
- 21.
Gesemann (2003), S. 222 f.
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- 31.
Böttger et al. (2014), S. 164.
- 32.
Böttger et al. (2014), S. 114 ff.
- 33.
Böttger et al. (2014), S. 121.
- 34.
Quent et al. (2017), S. 2.
- 35.
Quent et al. (2017), S. 18 ff.
- 36.
Quent et al. (2017), S. 25 f.
- 37.
Quent et al. (2017), S. 26 ff.
- 38.
Gesemann (2003), S. 222.
- 39.
Quent et al. (2017), S. 26 f.
- 40.
Quent et al. (2017), S. 49.
- 41.
Quent et al. (2017), S. 5.
- 42.
Dem Autor liegt die Projektskizze vor.
- 43.
Gesemann (2003), S. 205.
- 44.
Asmus und Enke (2016), S. 5 ff.
- 45.
Asmus und Enke (2016), S. 147 f.
- 46.
Asmus und Enke (2016), S. 148.
- 47.
Asmus und Enke (2016), S. 161.
- 48.
Asmus und Enke (2016), S. 161.
- 49.
Asmus und Enke (2016), S. 161.
- 50.
Asmus und Enke (2016), S. 160.
- 51.
Asmus und Enke (2016), S. 160.
- 52.
Asmus und Enke (2016), S. 179 ff.
- 53.
Landespolizei Sachsen-Anhalt (2021), S. 27.
- 54.
Landespolizei Sachsen-Anhalt (2021), S. 28.
- 55.
Landespolizei Sachsen-Anhalt (2021), S. 13.
- 56.
Landespolizei Sachsen-Anhalt (2021), S. 28.
- 57.
Landtag Sachsen-Anhalt (2021), S. 103 f.
- 58.
Landtag Sachsen-Anhalt (2021), S. 112.
- 59.
Landtag Sachsen-Anhalt (2021), S. 113.
- 60.
Gesemann (2003), S. 203.
- 61.
Gesemann (2003), S. 203.
- 62.
Strobl (1998), S. 307.
- 63.
Vgl. Görgen und Wagner in diesem Band.
- 64.
Hagemann (1993), S. 209 ff.
- 65.
Nohl (2003), S. 77.
- 66.
Quent et al. (2017), S. 26 f.
- 67.
Böttger et al. (2014), S. 115 ff.
- 68.
Böttger et al. (2014), S. 120.
- 69.
Jänicke (2021), S. 71.
- 70.
Drescher (2007), S. 230 ff.
- 71.
Quent et al. (2017), S. 35.
- 72.
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Püschel, H. (2022). Polizeilicher Umgang mit Opfern aus Familien mit Zuwanderungsgeschichte. In: Hunold, D., Singelnstein, T. (eds) Rassismus in der Polizei. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-37133-3_19
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