Zusammenfassung
Der Beitrag untersucht das Narrativ, wonach die AfD ihre wirtschafts- und sozialpolitische Strategie in exkludierend-solidarischer Weise verändert habe und dadurch immer mehr Arbeiter*innen für sich gewinnen konnte. Anhand einer Analyse der Parteiprogrammatik, durch die Hinzuziehung empirischer Arbeiten und einer explorativ-deskriptiven Auswertung von ALLBUS-Daten zeigt sich, dass sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite der Wirtschafts- und Sozialpolitik der AfD, (exkludierend-) solidarische Inhalte kaum eine Rolle spielen. Es zeigt sich eher eine übereinstimmend kulturkritisch-ordoliberale Konstanz der AfD und ihrer Anhänger*innen.
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Notes
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Im gängigen neoliberalen Narrativ, führt die demografische Entwicklung (als auch abnehmende Leistungsbereitschaft) zu einer schlechteren Relation zwischen beitragsleistenden Beschäftigten und Beitragsbezieher*innen in den Sozialsystemen. Im neoliberalen Narrativ muss dieses Problem durch stärkeren Arbeitszwang, Leistungskürzungen, Anreize zum Kinderkriegen und stückweise Privatisierung der sozialen Sicherungssysteme kompensiert werden (siehe zur Illustration: Sinn, 2005).
- 2.
In der Präambel heißt es: „Unter Anerkennung der enormen Leistung der Nachkriegsgeneration beim Aufbau unseres Landes und insbesondere der Ausgestaltung der Sozialsysteme, ist festzustellen, dass sich seit vielen Jahren große Veränderungen in der Struktur unseres Bevölkerungsaufbaus (Demografie) entwickelt haben, die gewaltige Auswirkungen auf unsere sozialen Sicherungssysteme haben. […] Erhebliche Einschnitte stehen uns bevor und je länger sie hinausgezögert werden, desto tiefer und schmerzhafter werden sie uns alle treffen. Doch statt einer offenen und ehrlichen Debatte über die Fakten und das Machbare, wird der Bevölkerung vorgegaukelt, dass sich die Probleme mit schmerzfreien Anpassungen beheben lassen“ (AfD, 2020: 6).
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Zum einen eine Rückerstattung von Rentenversicherungsbeiträgen in Höhe von 20 000 € pro Kind aus Steuermitteln. Zum zweiten eine staatliche monatliche Einzahlung pro Kind in Höhe von 100 € „bis zum 18. Lebensjahr in die Spardepots der jeweiligen Kinder“ (AfD, 2020, S. 37).
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Ein kurzzeitiger Anstieg des Rentenniveaus könnte im positiven Fall durch die Einbeziehung neuer Gruppen (Selbständige und Beamte) in die gesetzliche Rentenversicherung ausgelöst werden (Vgl. Ehrentraut & Moog, 2017, S. 37, Abb. 5). Dieser Einbezug neuer Personenkreise verhält sich langfristig finanziell neutral. Nach ca. fünf Jahren müsste das Rentenniveau ohne Beitragserhöhungen wieder „angepasst werden“ − also weiter sinken.
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Im Folgen erhoben durch die Frage: „Wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre, welche Partei würden Sie dann mit Ihrer ZWEITSTIMME wählen?“ (GESIS, 2019, Fragebogen S. 84).
- 6.
Arbeiter*innen sind in der verwendeten Kodierung definiert über die Selbstauskünfte der Befragten zum ausgeübten Beruf (GESIS, 2019, Fragebogen, Liste 59). Zu den Arbeiter*innen zählen ungelernte und angelernte Arbeiter*innen, Gelernte und Facharbeiter*innen, Vorarbeiter*innen, Kolonnenführer*innen, Brigadiers sowie Meister*innen und Polier*innen.
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Lesehilfe für Konfidenzintervalle: Der Punkt in der Mitte der waagrechten Linie stellt den jeweiligen Mittelwert in der Stichprobe dar. Die waagrechte Linie mit den beiden senkrechten Begrenzungen stellt den Bereich dar, in dem bei weiteren Stichprobenerhebungen der jeweilige Mittelwert mit 95-%iger Wahrscheinlichkeit liegen könnte. In Bezug auf die Grundgesamtheit bedeutet das, dass sich Positionierungen der unterschiedlichen Anhänger*innen der Parteien sehr wahrscheinlich dann signifikant voneinander unterscheiden, wenn sich die Konfidenzintervalle nicht überlappen. Je kleiner die Stichprobe (N), desto länger werden die Konfidenzintervalle.
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Wertet man dieses Item über alle Klassen aus (N = 1341), zeigt sich, dass die Anhänger*innen von Bündnis 90/Die Grünen und von der Linken im Durchschnitt eher mit „weder noch“ bis ablehnend antworten, wenn es um die Frage geht, ob Sozialleistungen faul machen. Auch die Anhänger*innen von SPD und CDU/CSU werden etwas milder. Bei den Anhänger*innen der FDP verschiebt sich der Mittelwert am wenigsten, wenn man den Blick auf alle Klassen ausweitet.
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In einer Ausweitung über alle Klassen (N = 1341), wird dieser Unterschied zwischen den Anhänger*innen der AfD zu den Anhänger*innen der Linken und von Bündnis 90/Die Grünen sehr deutlich und auch zu denen von SPD und CDU/CSU signifikant.
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Kaphegyi, T. (2022). „Wer Müßiggang belohnt und Fleiß bestraft, wird am Ende mehr Müßiggang als Leistung ernten.“* Zur „Kulturkritik als Perspektive“** der wirtschafts- und sozialpolitischen Vorstellungen in der AfD. In: Sorce, G., Rhein, P., Lehnert, D., Kaphegyi, T. (eds) Exkludierende Solidarität der Rechten. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-36891-3_4
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