Zusammenfassung
Björn Höcke ist während der letzten Jahre zur wohl mächtigsten Person der ‚Neuen Rechten‘ Deutschlands aufgestiegen. Bei seinem schrittweisen Siegeszug durch die AfD zeigt sich bei Höcke eine akribisch befolgte Narrationsstruktur und Mythologisierung. Diese dient dazu, Höcke zum Retter eines als dekadent und gebrochen dargestellten Volkes zu stilisieren. Eine rein inhaltlich-kritische Auseinandersetzung ist dabei kaum wirkungsvoll, da die inhaltlichen Bezüge der Erzählstruktur und der Mythosbildung untergeordnet werden. Der intellektuell inkohärente Eklektizismus in seiner Begriffsentwicklung wird erklärbar, wenn man ihn im Rahmen der Narrationsanforderungen seiner dreistufigen Metaerzählung deutet. Die Erzählstränge dieser Metaerzählung bilden ein klares Muster: vom Führungsqualitäten beweisenden Jüngling Höcke (der nahbaren „Ich“-Geschichte) über seine Diagnose des durch die Elitenpolitik zerrissenen, dekadenten und zur Selbstbefreiung unfähig gewordenen Volkes (der identitätsstiftenden „Wir“-Geschichte) bis hin zum notwendigen Umsturz durch eine führerzentrierte Massenpartei unter Höckes Führung (der Dringlichkeit schaffenden „Hier-und-Jetzt“-Geschichte). Die romantisch-irrationalistischen Begründungen heben seine Begriffe gänzlich aus jeglicher geschichts-, empirie- oder theoriegeleiteten Ebene heraus, bis lediglich der Mythos vom unbedingten Führer Höcke mit alternativlosem Gefolgschaftsaufruf verbleibt.
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Notes
- 1.
Tatsächlich war Milton Friedman weit entfernt davon, offene Grenzen im Sinne legaler Einwanderung und voller Rechte für alle Eingewanderten zu fordern, wenngleich Höcke dies durch die Nähe von Neoliberalismus und Linken hier suggeriert. Milton Friedman hat in Zeiten des Sozialstaats den Zustand, illegaler und damit zu Sozialleistungen nicht berechtigter Einwanderung als Idealzustand bezeichnet (Bowman 2013). Höcke scheint also durch seine Abschottungspolitik näher an Friedman zu sein, als er zugibt.
- 2.
Vgl. hierzu Popper 1980: 53 ff. über Hegel.
- 3.
Dass derselbe Befund der ‚natürlichen Verbündeten des Faschismus‘ in der historisch-soziologischen marxistischen Faschismus-Forschung gefällt wurde, erscheint insofern gleichsam wie deren ironische Bestätigung und als Selbstoffenbarung Höckes.
Literatur
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Danyeli, M. (2022). Björn Höcke: Nie zweimal in denselben Fluss. In: Meiering, D. (eds) Schlüsseltexte der ‚Neuen Rechten‘. Edition Rechtsextremismus. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-36453-3_9
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