Zusammenfassung
Ich bin Polizistin und in der Polizei seit mehr als 15 Jahren im oberen Management tätig. Im vorliegenden ‚Fall W-Stadt‘ habe ich im Jahr 2016 zunächst eine Strafanzeige wegen Stalking gegen den Inspektionsleiter zwecks Prüfung durch die Staatsanwaltschaft eingereicht sowie eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den für ihn zuständigen Polizeipräsidenten an meine Vorgesetzten weitergeleitet. Die damals 35 Jahre alte Kripochefin hatte mich um Unterstützung gebeten, nachdem sie sich über Monate vergeblich gegen die aufdringlichen Belästigungen ihres 60-jährigen Inspektionsleiters gewehrt, diese dokumentiert und schließlich den Polizeipräsidenten um Hilfe gebeten hatte. Der kümmerte sich zunächst lediglich darum, dass die Kripochefin ihren Dienstposten wechselte. Gegen den Inspektionsleiter wurden von ihm keine Maßnahmen getroffen. Im Gegenteil: Er trieb die geplante Beförderung des Inspektionsleiters voran. Wenig später, nachdem die Belästigungsvorwürfe gegen den Inspektionsleiter in den Medien und der Politik diskutiert wurden, kam auch die Angestellte auf mich zu: Sie warf dem Inspektionsleiter vor, ihr einige Jahre zuvor eine Beförderung gegen Sex angeboten zu haben. Für die Angestellte engagierte ich mich wiederum und sorgte dafür, dass sie das Erlebte bei der Staatsanwaltschaft anzeigte, wofür der Inspektionsleiter 2019 verurteilt wurde. Das Urteil wurde 2020 durch den BGH bestätigt, nachdem der Inspektionsleiter Revision eingelegt hatte. Im Prozess sagte ich als Zeugin aus. In beiden Fällen geriet ich insbesondere bei meinen Vorgesetzten in einen negativen Fokus, was bis heute dienstliche und persönliche Folgen für mich hat.
Hinsichtlich des Titels dieses Artikels habe ich mich von Michael Maar und seinem Buchtitel „Schlange im Wolfspelz“ inspirieren lassen.
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Notes
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Tucholsky in einem Brief an den Journalisten Herbert Ihering. Tucholski veröffentlichte 1929 mit ‚Deutschland, Deutschland über alles‘ einen seiner größten Bucherfolge. In dem satirischen Werk kritisierte er die damalige politische und gesellschaftliche Situation. Der Börsenverein der Deutschen Buchhändler versuchte einen Boykott gegen den Verkauf durchzusetzen. Unter anderem Ihering griff Tucholsky in einem Zeitschriftenartikel scharf an.
- 2.
Ein Referentenentwurf liegt bereits vor.
- 3.
Die Dreyfus-Affäre erschütterte Frankreich Ende des 19. Jahrhunderts. Hauptmann Alfred Dreyfus, als elsässischer Jude zum Verräter prädestiniert, wurde trotz Unschuldsbeteuerungen wegen Hochverrates verurteilt. Unterstützer von Dreyfus, darunter auch Prominente, die Zweifel an seiner Schuld hegten, wurden mit allen erdenklichen Mitteln mundtot gemacht. Der Leiter des französischen Auslandsnachrichtendienstes Marie-Georges Picquart fand heraus, dass Beweise von Militärangehörigen gefälscht waren, zweifelhafte Gutachten erstellt wurden und der wahre Verräter ein anderer war. Nach Meldung an seine Vorgesetzte wurde er wegen Weitergabe von Staatsgeheimnissen verhaftet. 1906 wurde das Urteil nicht zuletzt wegen des öffentlichen Drucks aufgehoben, Dreyfus wieder beim Militär aufgenommen und befördert. Picquard kehrte mit dem Rang eines Brigadegenerals in die Armee zurück und wurde später Kriegsminister.
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Frank Serpico gehörte ab den 1960er Jahren zum New Yorker Police Department, wo er als Zivilbeamter die Schattenseiten der Polizeiarbeit erlebte: Misshandlungen von Verdächtigen und korrupte Polizisten. Er versuchte mehrfach die Missstände über die Meldung an Vorgesetzte abstellen zu lassen, ohne Erfolg. Dadurch geriet er im Kollegenkreis unter Druck und wurde immer wieder versetzt. 1970 erschienen seine Erlebnisse als Titelstory in der New York Times, woraufhin ein Ermittlungsausschuss eingerichtet wurde. Serpico wurde erneut versetzt und während eines Einsatzes im Drogenmilieu lebensgefährlich angeschossen. Die ihn im Einsatz begleitenden Kollegen eilten ihm weder zu Hilfe noch setzten sie einen Notruf ab. 1972 schied er aus dem Polizeidienst aus. 1973 wurde seine Geschichte von Sydney Lumet mit Al Pacino in der Hauptrolle verfilmt.
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Die Dienstvereinbarung ‚Fairer Umgang am Arbeitsplatz‘ regelt in der Polizei Niedersachsen den Umgang mit und die Verantwortlichkeit bei unfairem Verhalten durch und gegenüber Mitarbeitende/n, beispielsweise im Fall von Mobbing oder sexueller Belästigung.
- 6.
Gem. § 19 NBG kann die Beamtin bzw. der Beamte die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen sich selbst beantragen – das sogenannte Selbstreinigungsverfahren – um sich vor dem Verdacht eines Dienstvergehens zu entlasten.
- 7.
Das muss auch dem Polizeipräsidenten bewusst gewesen sein als er die Annahme eines zehnseitigen Dokumentes der Kripochefin ablehnte, in dem sie die Belästigungen des Inspektionsleiters über die Monate festgehalten hatte. Dieses Dokument versuchte die Kripochefin dem Polizeipräsidenten am 08.06.2016 anlässlich ihres Gespräches, in dem sie ihn über die Grenzüberschreitungen des Inspektionsleiters informierte, zu übergeben.
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Bemerkenswert finde ich hier weniger die Semantik des Begriffs, sondern vielmehr den Umstand, dass eine feminine Form nochmals feminisiert wurde. Geschlechtergerechte Sprache sollte hier wohl ad absurdum geführt und ein vermuteter feministischer Hintergrund implizit zum Vorwurf gemacht werden.
- 9.
Dies war der Tag, an dem die Kripochefin dem Polizeipräsidenten detailliert von den Belästigungen durch den Inspektionsleiter berichtet hatte.
- 10.
Polizeidienstvorschriften, durch die u. a. auch Strukturen und Prozesse im Binnenverhältnis geregelt sind.
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Eine Diskussion darüber, ob im vorliegenden Sachverhalt zu Namen von organisationsinternen Beteiligten oder Begebenheiten im Interesse des Dienstherrn vor Gericht nicht hätte ausgesagt werden dürfen, halte ich für obsolet.
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Ausnahmesituationen setzen u. a. eine geringe Schuld des Handelnden oder fehlendes öffentliches Interesse voraus. Zwar steht es der Polizei grundsätzlich nicht zu, das im Strafrecht nur rudimentär vorhandene Opportunitätsprinzip anzuwenden, geschieht dies doch, dann müssen Anhaltspunkte dafür vorhanden sein, dass die Staatsanwaltschaft ebenfalls keinen Grund für strafverfolgende Maßnahmen sieht.
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Es müssen konkrete tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die nach kriminalistischer Erfahrung dafür sprechen, dass eine Verdächtige bzw. ein Verdächtiger an einer konkreten Straftat als Täterin bzw. Täter oder Teilnehmerin bzw. Teilnehmer beteiligt war.
- 14.
Für den Rechtsschutz gegen Maßnahmen der Polizei gelten keine Besonderheiten. Polizeiliche Maßnahmen im Rahmen der Strafverfolgung sind grundsätzlich mit den Rechtsmitteln der StPO oder als sogenannte Justizverwaltungsakte angreifbar.
- 15.
Die Dienstvereinbarung „Fairer Umgang am Arbeitsplatz“ der Polizei Niedersachsen sieht explizit die Meldung außerhalb des Dienstweges vor.
- 16.
Inkludiert sind auch dienstrechtliche Vergehen, die die Schwelle der Strafbarkeit nicht überschreiten.
- 17.
Mit der Argumentation, dass racial profiling in der Polizei verboten sei, damit nicht gegeben sei und man deshalb auch keine Studie darüber brauche, verweigerte sich das Bundesinnenministerium im Juli 2020 einer entsprechenden Empfehlung des Europarates zur Durchführung einer solchen Studie.
- 18.
So wird der (ehemals) höhere Dienst, d. h. die oberste Hierarchieebene der Polizei von der Basis scherzhaft genannt, da deren Uniformabzeichen golden sind.
- 19.
Diese Formen der Sanktionierungen habe ich selbst erlebt: Verbalangriffe seitens meiner Vorgesetzten ‚vor versammelter Mannschaft‘, Androhung von Strafversetzung mit danach folgenden Verweis vor die Bürotür und der anschließenden „Gewährung einer zweiten Chance“.
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Gleichzeitig führt dieses Verhalten des ranghöheren Mannes im Kreis der Männer zu seiner Aufwertung, denn er kann sich als Inspektionsleiter eine Regelübertretung erlauben, die für die anderen tabu ist und welche sie – wie bereits zuvor erläutert – zu tolerieren haben.
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Die Metoo-Bewegung startete im Oktober 2017.
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Vorgehen, das die Schuld für einen Übergriff beim Opfer selbst sucht. So konnte von mir im folgenden Fall bei Diskussionen sogar im Kreis von Unterstützern wahrgenommen werden, dass die Ursache für die Belästigungen des Inspektionsleiters in der Persönlichkeit und dem Beziehungsverhalten der Kripochefin vermutet wurde.
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Kofi Annan anlässlich seiner Rede zum 60. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz am 24.01.2005.
- 24.
Vgl. Atticus Finch zu seinen Kindern im Roman „Wer die Nachtigall stört“ von Harper Lee, S. 170: „Das Einzige, was sich keinem Mehrheitsbeschluss beugen darf, ist das menschliche Gewissen“.
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In der Polizei Niedersachsen wird der Begriff „Demokratieresilienz“ genutzt, der jedoch m. E. missverständlich sein könnte.
- 26.
Das Thema ‚Demokratieresilienz in der Polizei Niedersachsen‘ ist nicht nur innerhalb der Organisation, sondern auch im politischen Raum Diskussionsgegenstand, vgl. u. a. Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit der Antwort der Niedersächsischen Landesregierung.
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Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit der Antwort der Niedersächsischen Landesregierung: Strategiepatinnen und -paten für Demokratie – Wie groß ist die demokratische Resilienz in der niedersächsischen Polizei?, Drucksache 18/7926, verteilt am 16.11.2020.
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Maar, M. (2020). Die Schlange im Wolfspelz – Das Geheimnis großer Literatur. Rowohlt.
PAZ – Peiner Allgemeine Zeitung vom 09.06.2020. https://www.paz-online.de/Stadt-Peine/Falschaussage-Peines-Polizeichef-Kuehl-droht-Disziplinarverfahren. Zugegriffen: 6. Juni 2021.
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Puglisi, C. (2022). Vogel im Wolfspelz – Über Zivilcourage in einer uniformierten Organisation. In: Barthel, C., Puglisi, C. (eds) Sexualität und Macht in der Polizei. Springer Gabler, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-35987-4_10
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