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Die Einschätzung sozialer Angemessenheit unter orientierungsphilosophischen und psychologischen Perspektiven

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Soziale Angemessenheit

Zusammenfassung

Orientierungsphilosophisch und psychologisch betrachtet ist soziale Angemessenheit eine Stellgröße in einem komplexen Bewertungs- und Entscheidungsprozess, dem wissenschaftliche Standards zur Verfügung stehen, der aber stets auch von individuellen Urteilsbedingungen, sozialen Kontexten und Wechselwirkungen unter ihnen beeinflusst ist. Verhaltensroutinen, einschließlich Routinen des Beurteilungsverhaltens, die der Orientierung an anderen Orientierungen Halt geben, sind zu einem guten Teil durch sozialpsychologische Theorien und Modelle beschreibbar. Erwartbare Grenzen zeigen sich jedoch bei der Vorhersage individuellen Urteilsverhaltens. Besonders relevant werden die fachspezifischen Praktiken der Urteilssicherung bei der psychologischen Begutachtung, die aber auch hier immer nur einen relativen Beitrag zu Angemessenheitsbewertungen leisten können. Letztlich ist man auf persönliche Orientierung angewiesen, die sich auch an vorgegebenen Standards lediglich in Spielräumen orientiert und sehen muss, wie häufig divergierende Anhaltspunkte in Mustern zusammenpassen, mit denen sie ‚etwas anfangen‘ kann.

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Notes

  1. 1.

    Englische, gekürzte und erneuerte Ausgabe 2019: What is Orientation? A Philosophical Investigation. Translated by Reinhard G. Mueller. Berlin/Boston: De Gruyter. Wir verzichten im Folgenden auf Einzelnachweise. Beide Ausgaben sind durch Register gut erschlossen.

  2. 2.

    Man könnte hier einwenden, angemessenes von nicht angemessenem Verhalten zu unterscheiden sei per se eine Wertung. Die Antwort aus psychologischer Sicht wäre: Im psychologischen Sinn ist Angemessenheit stets auf die Funktionalität von Verhalten (auf physiologischer, kognitiver, emotionaler, motivationaler, sozialer usw. Ebene) bezogen. In psychologischen Theorien und Modellen sind Verhaltenshäufigkeiten und deren Relationen zueinander zu deskriptiven und z. T. kausalen Aussagen verdichtet und ‚erklären‘ auf diese Weise individuelles Verhalten. Diese (wissenschaftliche) Verdichtung ist vom Anspruch her wertfrei bzw. wertneutral, also nicht von ‚Wünschbarkeiten‘ bestimmt, sondern davon, mit welcher Wahrscheinlichkeit sie psychosoziale Sachverhalte zutreffend abbilden. Das schließt nicht aus, dass in die wissenschaftliche Beschreibung und Erklärung etwa von Urteilsverhalten oder Handlungen auch die urteils- oder handlungssteuernden Wirkungen individueller oder kollektiver Wertvorstellungen einbezogen werden können. Die wissenschaftlichen Zugänge selbst sind aber (moralisch) wertneutral (vgl. auch Herzog 2012).

  3. 3.

    Stegmaier 2008, Kap. 7.9: Spielräume der Orientierung im Gehirn, 263–267, und Kap. 9: Selbststabilisierung und Selbstdifferenzierung, 291–320. Zwar postulieren auch aktuelle Informationsverarbeitungsmodelle wie z. B. das von Alan D. Baddeley (2004. Essentials of human memory. Hove: Psychology Press) eine ‚zentralen Exekutive‘, sie stellen aber eine netzwerkbasierte Verarbeitung unterschiedlicher Qualitäten (z. B. sensorischer, bildlicher und phonologischer Informationen) nicht infrage.

  4. 4.

    Merkmale des Erlebens ebenso wie die des Verhaltens können psychologisch so operationalisiert werden, dass sie in ein Datensystem ‚abgebildet‘ und damit messbar werden. Letztlich spricht die Psychologie von ‚latenten Konstrukten‘, auf deren Ausprägung aufgrund von Beobachtungen geschlossen wird. Beobachtet werden kann physiologisches, motorisches, kognitives, emotionales, motivationales oder soziales Verhalten sowie die daraus abgeleiteten Erlebniskomponenten, sofern die Operationalisierungen dies ermöglichen.

  5. 5.

    Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Durchführung der Psychotherapie. Bundesanzeiger Amtlicher Teil vom 23.01.2020 B4.

  6. 6.

    Auch hier muss zwischen den wissenschaftlichen Ebenen der Beschreibung, Erklärung und Vorhersage unterschieden werden. Standardisierte Messmethoden leisten nur einen Beitrag zur Sicherung der Beschreibung latenter Eigenschaften oder beobachteten Verhaltens. Sie sorgen nur für eine höhere Interpretationssicherheit von Beobachtungen durch die Kontrolle ausgewählter diagnostischer Fehlerquellen. Interpretationsunsicherheiten, die sich aus der begrenzten Vergleichbarkeit verschiedener Datenebenen und Datenquellen ergeben, bleiben jedoch bestehen. Psychologische Messmethoden leisten auch keinen direkten Beitrag zur Erklärung oder zur Prognose von Verhalten, dies erfordert Theorien und Modelle (vgl. Stemmler und Margraf-Stiksrud 2015).

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Dohrenbusch, R., Stegmaier, W. (2022). Die Einschätzung sozialer Angemessenheit unter orientierungsphilosophischen und psychologischen Perspektiven. In: Bellon, J., Gransche, B., Nähr-Wagener, S. (eds) Soziale Angemessenheit . Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-35800-6_10

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