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Augustinus und die revisionistische Position: Zur Rechtfertigung des Tötens

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Philosophie des Militärs

Part of the book series: Militär und Sozialwissenschaften/The Military and Social Research ((MSR,volume 54))

  • 1093 Accesses

Zusammenfassung

Die Frage nach dem richtigen Einsatz militärischer Gewalt ist wahrscheinlich nicht viel jünger als die Menschheit selber. Das hat damit zu tun, dass Menschen meist in Gruppen leben, es in und zwischen Gruppen bisweilen Konflikte gibt und der menschliche Verstand als ordnende Instanz verschiedene Arten von Konflikten bzw. von Konfliktaustragungen unterscheiden kann. So ist es wohl nicht zu gewagt, die Unterscheidung zwischen guten und schlechten Konflikten und vielleicht auch die Unterscheidung zwischen guten und schlechten Formen der Konfliktaustragung als etwas Natürliches zu sehen, was sich notgedrungen aus dem Wesen des Menschen und menschlichem Sozialleben ergibt. Militärische Gewalt unterscheidet sich dabei von anderen Gewalthandlungen dadurch, dass sie kollektiv und gesellschaftlich organisiert ist – wodurch sich auch eine Verschränkung von ethischen und politischen Aspekten ergibt. Für das vorliegende Thema wird die Unterscheidung zwischen richtig und falsch bzw. zwischen gut und schlecht vor allem als eine Unterscheidung zwischen ethisch und unethisch gefasst.

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Notes

  1. 1.

    Siehe beispielsweise Ambrosius (1917) De Officiis Ministrorum Libris Tres 3.23 und Augustinus (2006) De Libero Abitrio I.5–6. Natürlich unterscheiden beide zwischen Notwehr auf individueller und auf kollektiver Ebene, wobei sie nur erstere zurückweisen und die zweite Form aus der Notwehrhilfe auf individueller Ebene ableiten.

  2. 2.

    An dieser Stelle mag man einwenden, dass es bisher um gerechtfertigtes Töten und nicht um den gerechten Krieg ging. Nun sind doch aber Kriegführung und Gewaltanwendung durchaus auch ohne Tötungsabsicht vorstellbar. Hier geht es tatsächlich um gerechtfertigtes Töten und traditionell ist das das Grundproblem des gerechten Krieges. Die Tötungsabsicht wird erst später ins Zentrum der Analyse gerückt und ich möchte diese Möglichkeit (zumindest nicht von Beginn weg) verfolgen. Dafür habe ich folgende Gründe. Ob tödliche Gewalt angewendet wurde und ob Menschen gestorben sind, sind beides rein faktische Angelegenheiten und einfacher zu beobachten (und zu bewerten) als die Absichten von Personen. Absichten sind weniger evident als Tote. Deshalb kümmere mich erst dann um konative und kognitive Zustände von Handelnden, wenn ich bestimmte Themen nicht mehr auf Basis einfach beobachtbarer Tatsachen entscheiden kann. Ich hoffe, dass ich auf diese Weise auch eine Militärethik (bzw. Militärphilosophie) vermeiden kann, die übermäßig aufgebläht und zu intellektualistisch für die Praxis ist.

  3. 3.

    Ich habe den Eindruck, dass ein Großteil der Reaktionen auf McMahan (und seine Antworten darauf) sich mit komplexen Betrachtungen von Opportunitätskosten und teilweise auch Diskont-Effekten beschäftigen. Mir geht es hier aber um einen grundlegenden Zweifel an der Möglichkeit einer solchen Zuschreibungs- und Verrechnungspraxis und damit strebe ich ja einen Wechsel des Diskurses an.

  4. 4.

    Wenn also A identisch mit B ist; und A identisch mit C ist; dann folgt aufgrund der Transitivität der Identität, dass B gleich auch C ist. Bei der Entwicklung einer Person ist es aber so, dass sie sich ganz unterschiedlich entwickeln kann. Wenn sie mit zwei verschiedenen, möglichen Entwicklungen in der Zukunft identisch wäre, dann würde das logische Gesetz der Transitivität den Schluss notwendig machen, dass die beiden verschiedenen Personen dieselbe sind, was ja ein Widerspruch ist. An dieser Stelle muss man beachten, dass es nicht um eine personale (oder soziale) Identität geht, die ein Attribut ist, das man haben kann oder nicht. "Identität" kann auch einen relationalen Begriff bezeichnen: Bei Parfit geht es zunächst einmal um numerische Identität über Zeit hinweg und die ist unbestritten transitiv. Was sonst noch zu einer Person oder ihrer sozialen Rolle gehören könnte kommt für Parfit erst später dazu.

  5. 5.

    Die Form der Interaktion mit der Umwelt wird wesentlich von der genetischen Veranlagung mitbestimmt. Aspekte der genetischen Veranlagung, die sich nie in einer Interaktion mit der Umwelt zeigen, sind natürlich für die psychologische Kontinuität irrelevant.

  6. 6.

    Weder die Arbeit The Ethics of Killing: Problems at the Margins of Life (McMahan 2002) noch der Aufsatz Death, Killing, and War (McMahan 2015) verteidigen diesen speziellen Begriff der psychologischen Kontinuität und für meine Ausführungen hier sind vor allem diese beiden Publikationen maßgebend.

  7. 7.

    Das hat nebenbei bemerkt auch damit zu tun, dass jeglicher Blick auf das Gehirn nie unmittelbar ist. Unser Wissen um zerebrale Zustände und Vorgänge hängt immer von bildgebenden Verfahren und spezifischen Messemethoden ab.

  8. 8.

    McMahan (2015, S. 190 f.) erklärt ausdrücklich, warum sein Ansatz zeitlich relativ ist (er nennt ihn einen time-relative interest account). Diese Begründung ist für meine Ausführungen nicht wichtig, trotzdem möchte ich festhalten, dass ich McMahans Meinung teile, wonach der Faktor Zeit ethisch relevant ist.

  9. 9.

    Bedeutet das auch, dass der Tod umso tragischer ist je älter ein Mensch ist? Nicht notwendigerweise. Bei einem alten Menschen wird die Nettomenge an Lebensqualität oft nicht so stark steigen wie bei einem Jugendlichen, wenn er ein oder zwei Jahre länger leben könnte. Das stimmt zwar auch, wenn man alte Menschen mit Embryos oder neugeborenen Kindern vergleicht, aber da spielt dann der Grad an psychologischer Kontinuität eine Rolle.

  10. 10.

    Gerade die Tatsache, dass Notwehr und Notwehrhilfe paradigmatische Ausnahme des Tötungsverbots darstellen, belegt die Allgemeingültigkeit des Tötungsverbots.

  11. 11.

    Hier kann man einwenden, dass der Tod ja nicht schlecht sein muss. Er kann ja bisweilen auch eine Erlösung sein. Aus meiner Sicht muss man diesen Gedanken aber sorgfältig einordnen: Wenn der Tod eine Erlösung ist – z. B. bei einer Krankheit – dann ist er das kleinere Übel von zweien. Das bedeutet ja nicht, dass er deshalb kein Übel mehr ist. Wenn der Tod immer (oder auch nur oft) ethisch gut wäre, dann wären die menschlichen Zivilisationen über mehrere Jahrtausende hinweg auf dem Holzweg, zumal sie die Prämisse, dass der Tod schlecht sei, als vernünftige Basis sowohl für individuelle als auch für gesellschaftliche Entscheidungen angenommen haben.

  12. 12.

    Solche ethischen Abwägungen und Vergleiche können zunächst bizarr anmuten, insbesondere, wenn sie als Basis für schwierige ethische Entscheidungen dienen. In dem Zusammenhang muss man aber etwas Wichtiges beachten: „Unerlaubt“ ist nicht immer ein Synonym von „falsch“. Was unerlaubt ist kann einfach nur schlecht sein. Wenn man keine absoluten Wertemaßstäbe anerkennt, die alle ethischen Sachverhalte unumstößlich in richtige und falsche (und nichts Anderes) einteilt, dann ist die Idee einer ethischen Wertehierarchie, in denen Sachverhalte mehr oder weniger gut (oder schlecht) sein können, ziemlich vernünftig. Zudem ist es ja auch gängig, mehr oder weniger grausame Formen des Mordes zu unterscheiden. Gerade in der Militärethik besteht ein Teil des Hauptgeschäfts seit jeher ja darin, konkrete Varianten des Tötens entlang Kontinuums zwischen erlaubt und unerlaubt einzuordnen.

  13. 13.

    Zentrale Stellen in seinen Argumenten bauen auf der Möglichkeit auf, dass eine Hemisphäre des Großhirns auch dann als unabhängiges Zentrum des Bewusstseins fungieren kann, wenn die andere Hemisphäre stark verletzt wird oder sogar fehlt (vgl. exemplarisch McMahan 2002, S. 24 und 2015, S. 189).

  14. 14.

    Augustinus (19111916), speziell in den Briefen 189 (an den römischen Feldherrn Bonifatius) und 229 (an Darius) (1864). Natürlich macht es aus dieser Perspektive von der Wortbedeutung her mehr Sinn, den Begriff „Nothilfe“ zu verwenden als den Begriff „Notwehrhilfe“.

  15. 15.

    Sobald wir den augustinischen Grundgedanken aufnehmen, kommen wir damit auch zu einer Haltung in Bezug auf gewisse strafrechtliche Grundfragen, in Bezug auf Polizeigewalt usw. McMahan kann das für seine Position so nicht beanspruchen.

  16. 16.

    Vgl. Kap. 5 in Demont-Biaggi (2017) sowie Kap. 2 in Mileham (2020).

  17. 17.

    Das hat auch damit zu tun, dass die daraus resultierende Diskussion sich vor allem um das Thema der personalen Identität drehen wird.

  18. 18.

    Die einzige Möglichkeit, die Abwägung zwischen meinem Leben und dem Leben eines anderen vorzunehmen besteht in der klassischen Notwehranalyse, die das menschliche Wollen ins Zentrum rückt. Dabei spielt die Absicht – insbesondere ein Töten-Wollen versus ein Tod-In-Kauf-Nehmen – eine zentrale Rolle und trägt das ganze Gewicht. Aus meiner Sicht kann das menschliche Wollen diese Last aber nicht tragen, weil es ein Regelfolgen nicht so anleiten kann wie es in der klassischen Notwehranalyse vorausgesetzt wird. Das ist eine philosophisch anspruchsvolle, aber auch wichtige Einsicht aus Wittgensteins Diskussion über Absichten und Regelfolgen sowie aus der ganze Regelfolgedebatte, die er damit ausgelöst hatte (vgl. Demont-Biaggi 2014).

Literatur

  • Ambrosius von Mailand (1917): De Officiis Ministrorum. Bibliothek der Kirchenväter, https://bkv.unifr.ch; zuletzt abgerufen am 07.04.2021.

  • Augustinus, Aurelius (2006): De Libero Arbitrio – Der freie Wille. Leiden: Brill.

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  • Augustinus, Aurelius (1911–1916): De Civitate Dei. Bibliothek der Kirchenväter, https://bkv.unifr.ch; zuletzt abgerufen am 07.04.2021.

  • Augustinus, Aurelius (1864): Epistulae – Lettres de Saint Augustin. Bibliothek der Kirchenväter, https://bkv.unifr.ch; zuletzt abgerufen am 08.04.2021.

  • Demont-Biaggi, Florian (2014): Rules and Dispisitions in Language Use. Basingstoke: Palgrave.

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  • Demont-Biaggi, Florian (2017): Military Necessity Through Peace? In: DemontBiaggi, Florian (Hrsg.): The Nature of Peace and the Morality of Armed Conflict. Basingstoke: Palgrave, 83–104.

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  • Lévinas, Emmanuel (1993): Totalität und Unendlichkeit. Versuch über die Exteriorität Freiburg: Alber.

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  • Kernic, Franz (2002): Tod und Unendlichkeit. Über das Phänomen des Todes bei Emmanuel Lévinas. Hamburg: Verlag Dr. Kovač.

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  • McMahan, Jeff (2002): The Ethics of Killing. Problems at the Margins of Life Oxford: Oxford University Press.

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  • McMahan, Jeff (2015): Death, Killing, and War. COLLeGIUM: Studies across Disciplines in the Humanities and Social Sciences, Vol. 19, S. 202–213.

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  • Mileham, Patrick (2020) (Hrsg.) EuroISME Book 6 – Stabilisation and Peace. Leiden: Brill.

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  • Parfit, Derek (2011–2017): On What Matters. Oxford: Oxford University Press.

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Demont-Biaggi, F. (2022). Augustinus und die revisionistische Position: Zur Rechtfertigung des Tötens. In: Elbe, M. (eds) Philosophie des Militärs. Militär und Sozialwissenschaften/The Military and Social Research, vol 54. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-35646-0_9

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  • Print ISBN: 978-3-658-35645-3

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