1 Einführung

Die deutsche Wirtschaft durchlebte in den letzten Jahrzehnten einen stetigen Wandel durch die Entwicklung der Märkte, neue Kundenbedürfnisse und den globalen Wettbewerb.

Während einige Entwicklungen, wie die Globalisierung der Dienstleistungen, Produkte oder arbeitsbedingte Migration und Digitalisierung, am ehesten als Reaktion auf einen globalen Wettbewerb zu verstehen sind, werden andere diversity-orientierte Veränderungen durch die europäische und nationale Gesetzgebung flankiert, begleitet oder auch angestoßen. Dazu gehört auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vom 14. August 2006 (Bauer et al., 2007). Zwar gab es das Diversity Management bereits einige Jahrzehnte früher (Bendl et al., 2012), dennoch hat das AGG dazu beigetragen, dass die Diskussion über die Ausgestaltung, den Nutzen und den Umgang mit Diversität nicht nur in großen Betrieben eine Verankerung in strategischen und wertebezogenen Zielen der Personalpolitik erfuhr. Vor allem nach dem Erscheinen des AGGs rückte die Thematik in den Blickpunkt von mittleren und kleinen Unternehmen. Dabei ging das AGG auf Gesetzesvorhaben der Europäischen Union zurück. Im Bereich des Antidiskriminierungsrechts ist die Gemeinschaft im Laufe der europäischen Integration immer wieder tätig geworden und hat den rechtlichen Rahmen nationaler Gesetzgebung nachhaltig verändert. Insgesamt vier Richtlinien der EU haben den Weg zur Gleichbehandlung für das nationale Recht geebnet (Högenauer, 2002). Mit der Umsetzung in das nationale Recht (AGG) ist jedes privatwirtschaftliche Unternehmen an die Einhaltung dieses Gesetzes gebunden.

Derweil blickt das AGG auf eine 15-jährige Geschichte zurück. Der Fokus in Wissenschaft und Praxis hat sich von einer negativorientierten Beschreibung beziehungsweise der Vermeidung diskriminierender Strukturen in der Praxis, hin zu hohen Ansprüchen an die Zusammenarbeit diverser Teams verlagert. In den vorausgegangenen Kapiteln dieses Buches wurde beschrieben, wie Studierende aus MINT-Fächern diese zunehmende Diversität an Hochschulen, in Unternehmen und der Gesellschaft erleben. Im folgenden Kapitel soll betrachtet werden, wie Mitarbeitende aus der MINT-Branche Diversität im Vergleich zu Studierenden wahrnehmen und wie sich der Übergang von Studierenden in Beschäftigung gestaltet.

2 Fragestellung, Methode, Stichprobenbeschreibung

2.1 Fragestellung

Es ergeben sich die folgenden Forschungsfragen der vorliegenden Studie: Was bedeutet Diversität für Studierende und Beschäftigte im MINT-Bereich? Wie erleben Studierende und Beschäftigte die Wirkung und den Umgang mit Diversität im MINT-Bereich? Unterscheiden sich Studierende und Beschäftigte in ihren Einstellungen zu Diversität?

2.2 Methode

Anhand von strukturierten Interviews, die an die subjektiven Theorien nach Hilmer (1969) angelehnt waren, wurden die Perspektiven der Studierenden und Mitarbeitenden aus dem MINT-Bereich mit und ohne Migrationshintergrund zu individuellen Diversity-Einstellungen, erlebten Barrieren und interkultureller Kompetenz erfasst.

Der Interview-Leitfaden beinhaltete 47 Fragen, von denen zehn als geschlossene Selbsteinschätzungsfragen gestellt wurden. Die individuelle Haltung und Sensibilität zum Thema Diversity wurden anhand der thematischen Bereiche Diversität allgemein sowie Wirkung und Umgang mit Diversität erfasst. Die Aufdeckung von Barrieren für Individuen mit Migrationshintergrund wurde durch die Kategorien kulturelle Merkmale, Stereotypenbedrohung und Faultlines angestrebt. Der Interview-Leitfaden wurde mit Fragen bezüglich interkultureller Kompetenz abgeschlossen. Die thematischen Bereiche wurden anhand der aktuellen Forschungslage und Best-Practice Beispiele ausgearbeitet.

Im Rahmen des Projektes „Diversität Nutzen und Annehmen“ wurden die Interviews von April 2019 bis Dezember 2020 mit MINT-Studierenden (Bachelor- sowie Master-Studiengänge) in den Räumlichkeiten des jeweiligen Hochschulcampus und mit Mitarbeitenden telefonisch geführt. Studierende wurden direkt durch die hochschulinternen E-Mail-Adressen kontaktiert. Die Akquise von Beschäftigten mit Abschluss in MINT-Fächern und einschlägigem aktuellen Tätigkeitsbereich in unterschiedlichen Unternehmen, wurde über wissenschaftliche, wirtschaftliche und soziale Netzwerke betrieben. Vor jedem Interview wurde, basierend auf den geltenden Datenschutzrichtlinien, das explizite Einverständnis für die Aufzeichnung des Interviews und der Datenverwertung für wissenschaftliche Zwecke abgefragt. Die Interviews dauerten zwischen 60 und 90 Minuten.

Die Interviews wurden aufgezeichnet, vollständig transkribiert, codiert und mittels qualitativer Inhaltsanalyse (Mayring, 2015) induktiv analysiert.

Orientiert an den aufgestellten Forschungsfragen wurden explizit die folgenden explorativen Fragen ausgewertet.

Interviewfragen:

  • Diversity allgemein

    • D1: „Was verstehen Sie persönlich unter Vielfalt bzw. Diversität?“

  • Diversity in der Gesellschaft

    • WD3: „Wie beurteilen Sie die Wirkung einer großen Vielfalt in der Universität oder Hochschule, eher positiv oder negativ?“

    • WD4: „Denken Sie, dass die Vielfalt von Studierenden an einer Universität oder Hochschule ausreichend berücksichtigt wird?“

    • WD5: „Was denken Sie, stellt die Vielfalt in Betrieben eher einen Vorteil oder eher einen Nachteil dar?“

    • WD6: „Denken Sie, dass die Vielfalt in Betrieben von der Unternehmensführung ausreichend berücksichtigt wird?“

2.3 Stichprobe

Die studentische Stichprobe setzte sich aus Studierenden der Hochschule München und aus Studierenden der Universität Osnabrück sowie Hochschule Osnabrück zusammen. Aus Gründen der Lesbarkeit werden im Folgenden der Standort München als Hochschule München (HSM) und die Standorte Osnabrück als Hochschule Osnabrück (HSO) zusammengefasst.

Insgesamt nahmen 90 Studierende an der Befragung teil. Die Untergruppe der internationalen Studierenden zählte an der HSM 13 Teilnehmende und an der HSO 6 Teilnehmende. Bei den Studierenden der postmigrantischen Generationen, bei denen ein oder beide Elternteile beziehungsweise Großelternteile zugewandert waren, zählte die Gruppe insgesamt 37 Teilnehmende, 30 von ihnen waren in der HSM eingeschrieben. Die Gruppe der einheimischen Studierenden, die keine Einwanderung in ihrer Familiengeschichte innerhalb der letzten zwei Generationen haben, bestand an der HSM aus 16 Teilnehmenden und an der HSO aus 18 Teilnehmenden.

Die Stichprobe der Beschäftigten aus dem MINT-Bereich setzte sich aus Mitarbeitenden von kleinen, mittelständischen und Groß-Unternehmen aus dem Münchener und Osnabrücker Umland zusammen. Wie bei den Studierenden wurde unterschieden zwischen männlichen und weiblichen Beschäftigten, sowie Beschäftigten mit Migrationserfahrung, Beschäftigten mit Migrationshintergrund (erste und zweite Generation) und Beschäftigten ohne Migrationshintergrund. Die meisten Befragten waren in ihrem ersten Job nach dem Studium und hatten nicht länger als drei Jahre in ihrem Beruf gearbeitet. Insgesamt wurden 49 Mitarbeitende interviewt, wobei 33 von ihnen aus Unternehmen stammten, die im Münchner Umland lokalisiert sind und 16 Mitarbeitende lassen sich Unternehmen des Osnabrücker Umlandes zuzuordnen.

3 Ergebnisse

Um die qualitativen Antworten der Teilnehmenden auswerten zu können, wurde ein Klassifizierungsmodell eingesetzt, mithilfe dessen die Aussagen verschiedenen Kategorien zugeordnet werden konnten. Dabei wurde auf das Modell Four Layers of Diversity von Gardenswartz und Rowe zurückgegriffen (1998), das ebenfalls als Grundlage des Interviewleitfadens gedient hat.

In diesem Modell werden vier Dimensionen der Diversität unterschieden:

  1. 1.

    Persönlichkeit

  2. 2.

    Innere Dimensionen

  3. 3.

    Äußere Dimensionen

  4. 4.

    Organisationale Dimensionen

Während die Dimension der Persönlichkeit (Personality) diverse Charaktereigenschaften umfasst, beinhalten die inneren Dimensionen (Internal Dimensions) allgemeine Diversitätsmerkmale, wie sie sich großteils auch im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz der Bundesrepublik Deutschland von 2006 wiederfinden (Bauer et al., 2007). In den äußeren Dimensionen (External Dimensions) werden vor allem kulturell geprägte Diversitätsmerkmale zusammengefasst, wohingegen sich die organisationalen Dimensionen (Organizational Dimensions) auf arbeitsspezifische Merkmale beziehen. Mittels dieser vier Dimensionen ließen sich die Aussagen der Teilnehmenden eindeutig in vier Gruppen unterteilen und die Auswertung ließ klare Tendenzen erkennen. Einige Beispiele sollen das Vorgehen demonstrieren: Ein internationaler Studierender äußert sich, nach seinem Verständnis der Diversität gefragt: „Viele Niveaus. Also von, zum Beispiel es gibt Dozenten, Studenten, Schüler und sowas.“ (TN7). Die Antwort spricht den educational background an und kann daher den äußeren Dimensionen zugeordnet werden. Ein weiterer Studierender (TN28) äußert: „Hauptsächlich Diversität von Meinungen, nicht von Herkunft“. Bei der Kodierung wird die Antwort der Kategorie Persönlichkeit zugeordnet. Die qualitative Inhaltsanalyse orientierte sich am Standardwerk von Mayring (2015), die statistischen Analysen wurden mit Excel berechnet und orientierten sich an Zöfel (1985).

Im nächsten Schritt wurden die Fragestellungen dieser Studie genauer untersucht.

Was verstehen MINT-Studierende und MINT-Beschäftigte unter dem Begriff Vielfalt? Hierzu wurde die jeweilige relative Häufigkeit der Antwortkategorien der Befragten ausgewertet. Dabei dienten die vier Dimensionen der Diversität aus dem Modell „Four Layers of Diversity“ von Lee Gardenswartz und Anita Rowe (1998) als Codes. Für die drei Gruppen der Studierenden, bezogen auf ihre Migrationserfahrung, ergab sich folgende Verteilung: Für die erste Dimension der persönlichen Merkmale entschieden sich etwa 33 % aller befragten Studierenden, für die innere Dimension 38 %, für die äußere 28 % und zuletzt für die organisationale Dimension 2 % der Befragten.

Die gleiche Zuordnung zum oben genannten Modell wurde auch für Beschäftigte vorgenommen. Auch hier wurden drei Gruppen mit Bezug zur Migration betrachtet. Etwa 12 % der befragten Beschäftigten gaben Antworten, die der Vielfalt von Persönlichkeitseigenschaften zuzuordnen waren, 46 % bezogen sich auf Aspekte der inneren Dimension, 39 % auf die äußere und 8 % nannten organisationale Aspekte von Vielfalt.

Im Vergleich zu den Studierenden war für die Beschäftigten weniger die Persönlichkeit von Individuen bei Definitionen der Diversität relevant, sondern vor allem die innere und zum Teil die äußere Dimension des Modells. Auch die organisationale Dimension wurde von einem größeren Anteil der Teilnehmenden geäußert (Abb. 1). Der Unterschied ist jeweils hoch signifikant (χ2 -Vierfeldertest, χ2 (1) = 9.35, p = .01 und χ2 (1) = 10.79, p = .01).

Abb. 1
figure 1

Vergleich der Definitionen zur Vielfalt unter Studierenden und Beschäftigten in Prozent

Im nächsten Schritt wurden die Gruppen der Studierenden und Beschäftigten hinsichtlich ihrer Angaben getrennt voneinander betrachtet.

Es fällt auf, dass vor allem Studierende ohne Migrationshintergrund die Unterscheidung auf Basis der Persönlichkeit bevorzugen (Abb. 2). Hingegen wenden sich internationale Studierende, vielleicht aus Kenntnis ihrer Bedeutung, am ehesten der inneren und der äußeren Dimension zu, um Vielfalt zu beschreiben. Der Unterschied ist im Vergleich der Gruppen und Dimensionen jeweils bedeutsam (χ2 -Vierfeldertest, χ2 (1) = 5.18, p = .05 und χ2 (1) = 15,78, p = .001). In ihrer Einschätzung sind sie dadurch den Studierenden ohne Migrationserfahrung einen Schritt voraus. Ihr Urteil deckt sich stärker mit der Einschätzung der Beschäftigten. Dies könnte in der Konsequenz den Einstieg der internationalen Bewerberinnen und Bewerber in Arbeitswelt eher erleichtern.

Abb. 2
figure 2

Definition der Vielfalt aus Sicht der Studierenden in Prozent

Um die Wirkung und Berücksichtigung von Diversität an Hochschulen und in Unternehmen aus Sicht der Studierenden und Beschäftigten zu untersuchen, wurden die Häufigkeiten positiver, negativer und differenzierter Antworten betrachtet sowie die jeweiligen vertieften Erörterungen. Bezüglich der Frage, wie Studierende Vielfalt an der Hochschule wahrnahmen, zeigten sich nahezu durchgehend positive Bewertungen (89 % der Studierenden). Nur wenige kritische (2 %) und differenzierte (9 %) Bewertungen wurden geäußert.

Es wurden positive Erwartungen an den „Austausch fachlicher Erfahrungen und Ideen“ geknüpft, ebenso an gesteigerte „Attraktivität der Hochschulen“ und „Weiterentwicklung der interkulturellen Kompetenz“. Einige wenige Kritikpunkte betrafen „Gruppenbildung“, „kulturell bedingte Konflikte“ und „geringe Aufnahmeanforderungen“. Zudem meinte ein Studierender „Man fühlt sich wie im Orient“. Differenzierte Sowohl-als-auch-Bewertungen wurden nicht weiter kommentiert.

Lediglich 64 % aller befragten Studierenden waren der Meinung, dass Vielfalt an Hochschulen ausreichend berücksichtigt wird. Weitere 27 % sahen es als nicht gegeben und 27 % vertraten differenzierte Meinungen.

Zu den positiven Äußerungen zählten Meinungen, dass „Patenschaften für Studenten aus dem Ausland“ angeboten werden, ebenso „Deutschkurse für Migranten“, „viele Entfaltungsmöglichkeiten“, „Vorlesungen in Englisch“, „Angebote unterschiedlicher Studienformate, wie Teilzeit und berufsbegleitend“, „Gebetsräume“ und viel „Freiraum im Studium“ und auch „bei körperlichen Einschränkungen“ gibt es Hilfen.

Teilnehmende Studierende kritisierten, dass: „Frauen diskriminiert werden“, in „Englisch-Vorlesungen Deutsch gesprochen wird“ und „Handouts nur auf Deutsch“ zur Verfügung stehen.

Weiterhin wurde angemerkt, dass es „zu weinige Vorlesungen in Englisch“ und zugleich „zu viel Nachsicht für Studierende mit schlechten Deutschkenntnissen“, „kaum Austauschstudenten“ und „keine fachlichen Vorlesungen in anderen Sprachen“ gibt.

Als differenzierte Aussagen wurden solche gekennzeichnet, die aufgrund der Komplexität des Themas keine eindeutige Position bezogen. Beispielsweise wurde angemerkt, dass „mangels Kontakte eine Bewertung schwierig ist“, „Probably they accept more students like international students but other than that I don't really know“ und „Ich glaube man bemüht sich, aber nicht immer, also es klappt nicht immer“.

Als nächstes wurde betrachtet, wie Studierende Diversität in Unternehmen erlebten (Wirkung sowie Berücksichtigung von Diversität).

Unter allen befragten Studierenden äußerten 64 % die Meinung, dass die Wirkung der Vielfalt in Betrieben positiv sei. Es wurde angemerkt, dass „Verhandlungen mit internationalen Kunden“ möglich sind, „voneinander lernen und unterschiedliche Ideen und Erfahrungen“ einfließen und „unterschiedliche Erfahrungen die Sache weiterbringen“.

7 % der Studierenden kritisierten, dass „zu viele Einflüsse Kommunikation erschweren können“, ebenso „fehlende Sprachkenntnisse“. „Fehlende Ähnlichkeit und Verbundenheit“ und „kulturelle Unterschiede können die Nachvollziehbarkeit der Handlungen erschweren“. „Religionsbedingte Fehlzeiten“, „wenn nicht alle an einem Strang ziehen“ und „Gruppenbildung je nach Sprache“ wurden ebenso als störend in Betrieben empfunden.

Etwa ein Drittel der Studierenden (29 %) war davon überzeugt, dass Vielfalt durchaus etwas Positives darstellen kann, aber „in der Anfangszeit Probleme durch Vielfalt entstehen könnten“, ebenso „in alten Betrieben“. Ansonsten hängt die Wirkung sehr vom „betriebsbedingten Umgang“ mit Vielfalt.

Wenn es um die Berücksichtigung der Vielfalt in Betrieben geht, sinkt die positive Bewertung unter Studierenden deutlich. Lediglich 34 % aller befragten Studierenden sahen die Vielfalt als ausreichend berücksichtigt, 22 % sahen es als nicht und weitere 44 % als nur teilweise gegeben.

Positive Meinungen bezogen sich auf die Berücksichtigung der „Religionszugehörigkeit“, zum Beispiel in den „Einsatzplänen an Feiertagen“, in Angeboten an „Sprachunterricht“ und „Ausbildungsprogrammen für Flüchtlinge“ und in Bemühungen um „gleiche Anteile von Frauen- und Männern“.

Negativ wurde angemerkt, dass „Diskriminierung im Bewerbungsprozess“ stattfindet, vor allem „bei wenig gebildeten Menschen“ und im „Austausch zwischen Jung und Alt“, ebenso „in Behörden“. „Kulturelle Abgrenzungen“, „mangelhafte Vermittlung der Werte“, „Benachteiligung von Frauen“, „Bevorzugung von Deutschen oder perfekten Deutschkenntnissen“ waren weitere Nennungen. Differenziert wurde darauf hingewiesen, dass vor allem „in großen Betrieben“ und „bei Menschen mit höherer Bildung“ Berücksichtigung gut funktioniert. Sinngemäß war die häufigste Aussage: „I think it really depends which company it is“.

Aus Sicht der Studierenden entfaltet die Vielfalt in Betrieben mit 64 % eine deutlich geringere positive Wirkung als an Hochschulen mit 89 % (Abb. 3). Der Unterschied ist signifikant (χ2-Vierfeldertest, χ2 (1) = 25.63, p = .001).

Abb. 3
figure 3

Vergleich der Wirkung von Vielfalt in Betrieben und Hochschulen aus Sicht der Studierenden in Prozent

Die insgesamt kritischere Haltung der Studierenden gegenüber Betrieben setzt sich in ihrer Einschätzung der Berücksichtigung von Vielfalt fort (Abb. 4). Lediglich 34 % der Befragten sahen sie in Betrieben als gegeben, weitere 22 % als nicht gegeben und 44 % schätzen es differenziert ein. Demgegenüber hatte die Berücksichtigung der Vielfalt an Hochschulen aus Sicht der Studierenden mit 64 % einen guten Stand, 27 % sahen sie als nicht ausreichend und weitere 27 % als differenziert. Der Unterschied wird zwischen positiven und negativen Antworten nicht mehr bedeutsam und bleibt lediglich zwischen positiven und differenzierten Antworten weiterhin höchst signifikant (χ2 -Vierfeldertest, χ2 (1) = 12.32, p = .001).

Abb. 4
figure 4

Vergleich der Berücksichtigung von Vielfalt in Betrieben und Hochschulen aus Sicht der Studierenden in Prozent

Zwischen der eingeschätzten Wirkung und eingeschätzten Berücksichtigung herrscht somit für beide Institutionen eine deutliche Diskrepanz, die für Betriebe mit 30 % und für Hochschulen mit 25 % bei positiven Bewertungen sichtbar wird. Beide Institutionen bleiben aus Sicht der Studierenden hinter ihren Möglichkeiten zurück.

Nachdem die Wahrnehmungen der Studierenden detailliert betrachtet wurden, soll im nächsten Schritt auf die Einstellungen der Beschäftigten hinsichtlich Vielfalt in Hochschulen und Betrieben eingegangen wurden. Zunächst werden die Angaben der Beschäftigten bezüglich Vielfalt an Hochschulen untersucht.

Etwas mehr als zwei Drittel aller befragten Beschäftigten (68 %) sahen die Wirkung der Vielfalt an den Hochschulen als positiv an. Lediglich 12 % schätzten sie als negativ und weitere 20 % als „sowohl als auch“ ein.

Die positive Wirkung der Vielfalt an den Hochschulen wurde darin gesehen, dass „internationale Kollaborationen“, „diverse Perspektiven“, „besseres Verstehen der kulturellen Diversität“ und „verständnisfördernde Zusammenarbeit“ möglich sind. Hochschulen zeigen, dass „Frauen bessere Leistungen erbringen“, „Menschen aus unterschiedlichen Kulturen sich gut verständigen können“ und „die Herkunft keine Rolle spielt“.

Es wurde ebenso positiv gesehen: das „Auslandsstudium als Privileg“ und „Schwerbehinderte können Studium mitmachen“, „Man lernt voneinander“ und die „Diversität wird gefeiert“.

Negativ wurde angemerkt, dass „der Kontakt zu lokalen Studierenden fehlt“, sich „Grüppchen nach Hautfarbe“ bilden, die „nach Alter getrennte Gruppen“ entstehen, „Kurse in Französisch oder Englisch tragen zur Trennung bei“, nur „wenige ausländische Studierende“ sind überhaupt da und man „von Gruppen ausgeschlossen ist“. „Stipendien werden nur aufgrund von kulturellen Unterschieden“ und insgesamt „nicht divers vergeben“, „Ausländische Studierende sind isoliert“ und „sehen sich Vorurteilen ausgesetzt“.

Zu der Gruppe der differenzierten Aussagen zählten Anmerkungen, dass Vielfalt zwar vorhanden, aber „nicht anreichend wahrgenommen“ wird, die „Kontakte mit Austauschschülern“ selten sind und „alle deutschsprachig sind“, was als Vor- aber auch Nachteil gesehen wurde.

Die überwiegende Mehrheit aller befragten Beschäftigten war der Meinung, dass eine ausreichende Berücksichtigung der Vielfalt an den Hochschulen stattfindet (82 %). Weniger als 12 % der Befragten teilen diese Meinung nicht, beziehungsweise sahen beides, das Positive und das Negative (6 %). Zu den Befürwortern zählten fast alle Beschäftigte mit Migrationserfahrung, hingegen waren Beschäftigte mit Migrationshintergrund deutlich skeptischer. Knapp über die Hälfte von ihnen gaben positive, etwa ein Drittel negative Antworten.

Die Befürworter einer ausreichenden Berücksichtigung hoben hervor, dass „Programme zur Vielfalt existieren“, „ganzes Studium“, aber auch „Vorlesungen und Seminare“ und „Vorlesungsunterlagen in Englisch“ angeboten werden. Ebenso gebe es „Sprachkurse“, „Deutschkurse“, „Tandemprojekte“, „Mentorenprogramme“, „Freizeitangebote“, „komfortable Unterkünfte“, „Programme für kulturellen Austausch“, „Quoten für ausländische Studierende“, „Internationales Office und Anlaufstellen“, „Unterstützung durch Lehrer“ und „behindertengerechte Angebote“.

Kritisch sahen Beschäftigte „schlechte Noten wegen der Sprache“, „Studierende selbst nicht genügend machen“, „kein Austausch in anderen Sprachen mit Profs“, „keine Integrationsprogramme“, „Diversität nicht ausreichend berücksichtigt“ und „Integration als Sache der Migranten gesehen wird“. Zudem gab es „kein Verständnis für Arbeitsstudierende“ und es war nicht alles „behindertengerecht“. Die wenigen differenzierten Antworten wurden nicht erläutert.

In einem nächsten Schritt wurde die Wahrnehmung von Diversität der Beschäftigten in Betrieben genauer betrachtet.

Der überwiegende Teil der Beschäftigten äußerte eine positive Einstellung zu Vielfalt in ihren Betrieben (77 %). Eine Minderheit äußerte sich in 22 % negativ und in 2 % differenziert.

Die positive Wirkung der Vielfalt wurde darin gesehen, dass „Diversität großgeschrieben wird“, „Diversität willkommen ist“, „internationales Flair“ existiert, „Leute bringen verschiedene Erfahrungen ein“, aber auch „aus schlechten Erfahrungen kann man gut lernen“, „Frauen werden gefördert“,„sexuelle Orientierung wird thematisiert“, die Arbeit „mehr Spaß“ macht und „tolle Ideen“ entstehen, die „Vielfalt fällt nicht auf“ und „andere Herkunft kein Thema“ ist, „Chef hat jetzt ein positives Bild von Rumänen“, zudem sind „mehrere Perspektiven“ und „Fremdsprache sehr hilfreich“.

Zu den negativ-skeptischen Aussagen zählten Meinungen, dass „Vetternwirtschaft viele ausschließt“, „Sprachen ein einziger Stolperstein“ sind und manche „kulturell nicht aufgeschlossen“ sind, bei Kommunikation in „Deutsch und Englisch sind viele ausgeschlossen“, „Frauen und Berufsanfänger werden anders behandelt“ und insgesamt „schlechte Aufstiegschancen“ bestehen.

Zu den differenzierten Kommentaren gehören Aussagen, dass in „Betrieben Fähigkeiten am wichtigsten“ sind. Im Gegensatz zu den positiven Einstellungen, die die Beschäftigten äußerten, waren nur 59 % aller Befragten der Meinung, dass Diversität aktuell ausreichend in ihrem Unternehmen berücksichtigt wird, ca. 26 % gaben an, dass aktuell gar nichts für die Diversität im Unternehmen unternommen wird und 15 % sagten, dass etwas getan wird, es aber unzureichend sei. Personen mit Migrationshintergrund äußerten sich dabei wesentlich kritischer über den Umgang mit Vielfalt in ihren Unternehmen.

Als Zeichen der positiven Berücksichtigung sahen Befragte „Diversitätsbeauftragte in Firmen“, „Diversity days“ und Versuche „Vielfalt größer zu machen“. Es werden „Hintergründe und Fähigkeiten beachtet“ und, dass „Fähigkeiten wichtiger als die Herkunft“ sind. Es werden „gerade Iraner eingestellt“, „Respekt gezeigt“ und „die Ideen der Welt zusammengebracht“. „Jeder kriegt seine Chance“ und es gibt insgesamt „keine Probleme“.

Es wurde kritisiert, dass „Geschlechtervielfalt“ nicht berücksichtigt wird und „Teams nicht vielfältig genug“ sind. „In der Managerebene wird Vielfalt nicht beachtet“ und „Zeitplan wichtiger als Kultur“ ist.

Weitere Aussagen sahen die Berücksichtigung der Vielfalt differenziert zum Beispiel „projektabhängig“ oder „von der einzelnen Aufgabe“ bzw. von der „Offenheit der Gruppe“ abhängig. „Selbe Werte als Basis sind sehr wichtig“, ebenso die Fähigkeit „mit kultureller Diversität bewusst umgehen zu können“, dass die „Vielfalt geschätzt aber nicht unterstützt wird“ und es „kommt auf die Firma darauf an“ wurden ebenso als differenziert eingestuft.

Während sich die Einschätzung von Beschäftigten hinsichtlich der Wirkung von Vielfalt an Hochschulen und in Betrieben nur marginal unterscheidet, gibt es einen signifikanten Unterschied bei der Einschätzung der Berücksichtigung von Vielfalt an Hochschulen und in Betrieben (Abb. 5). Die Berücksichtigung der Vielfalt in Betrieben wird mit 59 % mehrheitlich positiv gesehen. Retrospektiv sehen 82 % der Befragten die Berücksichtigung der Vielfalt an Hochschulen als vorbildlich. Beschäftigte schätzen die Berücksichtigung von Diversity in Betrieben signifikant positiver ein als Studierende (χ2-Vierfeldertest, χ2 (1) = 5.8, p = .05). Mit der geringen Erwartung an die Hochschulen wird es offensichtlich leichter, diese zu erfüllen und zu übertreffen (Abb. 5).

Abb. 5
figure 5

Vergleich der Berücksichtigung von Vielfalt in Betrieben und Hochschulen aus Sicht der Beschäftigten in Prozent

4 Diskussion

Vielfalt ist unter Studierenden und Beschäftigten ein vertrautes Konzept. Es besteht weitgehend Einigkeit unter allen Befragten, was darunter zu verstehen ist. Dabei lassen sich alle Merkmale und Dimensionen, wie sie von Gardenswartz und Rowe (1998) entwickelt wurden, erfolgreich für die Klassifizierung von einzelnen Meinungen verwenden.

Beschäftigte kennen beide Institutionen, Betriebe und Hochschulen, aus eigener jahrelanger Erfahrung. Diese Erfahrung gegenüber Betrieben kann man auch Studierenden nicht absprechen, da sie im letzten Studienabschnitt verpflichtende Praktika absolviert haben. Zugleich ist die Erfahrung von Beschäftigten als valider einzuschätzen. Die Hochschule bewerten Studierende unmittelbar, die Beschäftigten jedoch retrospektiv, was die Qualität der Vergleichbarkeit beeinträchtigen könnte.

Beim Übergang vom Studium in Beschäftigung lässt sich eine Verschiebung der Definitionen von Vielfalt beobachten. Die Vielfalt der Persönlichkeit von Individuen wird von Beschäftigten weniger betont als die innere und zum Teil die äußere Dimension des Modells. Demgegenüber zeigte sich bei Studierenden, dass wenig Bewusstsein für und Kenntnis über Aspekte von Vielfalt vorhanden waren. Besonders in der MINT-Branche werden jedoch kaum Bildungsangebote für den Umgang mit Diversität geboten. Für Hochschulen besteht daher großes Potenzial bei MINT-Studierenden Angebote einerseits für die Sensibilisierung, andererseits für die Kompetenzschulung im Umgang mit Diversität bereitzustellen.

Trotz des Mangels an Weiterbildungsangeboten bewerten die Befragten den Umgang mit Diversität an Hochschulen positiver als in Unternehmen. Bei Studierenden insgesamt zeigt sich diese Differenz geringer, während Studierende und Beschäftigte mit Migrationshintergrund und Migrationserfahrung dem Umgang mit Vielfalt in Hochschule und Unternehmen kritischer gegenüberstehen. Studierende mit Migrationserfahrung und -hintergrund äußern darüber hinaus Zweifel, ob ihr kultureller Hintergrund beim Übergang in Beschäftigung von Vorteil ist oder zu Benachteiligungen führen kann. Zahlreiche Veröffentlichungen zeigen, dass vor allem bei der Personalauswahl, beim Gehalt und bei den Karrierechancen Personen mit Migrationshintergrund und Frauen benachteiligt sind (Übersicht bei Foroutan, 2019). Obwohl einzelne Unternehmen, die in dieser Studie beschrieben wurden, einen sehr positiven Umgang mit Diversität etablieren konnten, deuten die Ergebnisse dieser Untersuchung darauf hin, dass noch erhebliches Verbesserungspotenzial für Unternehmen besteht, insbesondere hinsichtlich der Wahrnehmung der eigenen Defizite im Umgang mit Vielfalt.