Zusammenfassung
Dieses Kapitel widmet sich den wechselseitigen Konflikten zwischen Polizei und ethnischen Minderheiten. Der Fokus liegt auf den Einstellungen und Verhaltensweisen Letztgenannter gegenüber den Beamt*innen. Zwecks inhaltlicher Zuspitzung geht es aber weniger um delinquente Personen, die zwangsläufig in Konflikt mit dem Rechtsstaat stehen, sondern vielmehr um wenig bis gar nicht durch Delikte auffällige (junge) Menschen, die in marginalisierten Wohngebieten leben. Zweck dieses Beitrags ist es, praxisorientierte Diskussionsansätze für die Polizei(-führung) zu liefern für eine professionelle, bürgerorientierte Kontaktgestaltung in anspruchsvollen Einsatzgebieten. Aufgezeigt werden verschiedene Stereotype, die beiderseits virulent sind, sich nicht nur gegen die Polizei richten und auch ein gewisses Verständnis für die polizeiliche Arbeitsweise in bestimmten Vierteln aufzeigen. Dennoch steht im Zentrum die Frage, wie die Polizei angemessen auf die lokalen Gegebenheiten reagieren und Widerstände minimieren kann, um sowohl sich als auch den dortigen Bürger*innen den Alltag zu erleichtern. In diesem Sinne wird abschließend die Relevanz von Kontaktbeamt*innen diskutiert und es werden empiriebasierte Empfehlungen formuliert.
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Notes
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Bedeutsam ist, dass aus verschiedenen Gründen bei diesen Delikten von einem relativ geringen Dunkelfeld auszugehen ist (vgl. Hermanutz 2015). Entsprechend der generell steigenden gesellschaftlichen Sensibilität gegenüber Gewalt in den vergangenen Jahrzehnten sei es auch zu steigenden Deliktzahlen in der PKS aufgrund einer zunehmenden Bereitschaft der PVB gekommen, sämtliche Widerstandshandlungen zu dokumentieren. Nur in Ausnahmefällen würde noch von einer Anzeige abgesehen. Zumal in der Regel die Identität der Täter*innen direkt festgestellt werden kann, ist die Aufklärungsquote ebenfalls außerordentlich hoch. Bemerkenswert ist aber insbesondere die geringe Lücke zwischen Hell- und Dunkelfeld als Qualitätsindikator der PKS-Daten.
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Ein ähnliches Bild der Tätermerkmale zeichnet Feltes (2018) in einer Studie zur Gewalt gegen Einsatzkräfte der Feuerwehren und Rettungsdienste in Nordrhein-Westfalen, auch wenn diese insgesamt seltener als PVB Gewalt erfahren.
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Die überwiegende Mehrzahl dieser Wettstreite stellt hierzulande keinen Überlebenskampf dar, sondern eher ein ernstes Spiel um soziale Anerkennung. Entsprechend sucht man sich vorzugsweise „Mitspieler*innen“, die sich an die Regeln halten und teilnehmen möchten. Ansonsten riskiert man eine Entdeckung durch PVB und Strafanzeigen, die das Spiel und dessen Fortgang nur stören würden.
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Erwähnenswert an dieser Aussage ist, dass diese nicht nur von einem Jugendlichen mit Migrationshintergrund, sondern auch mit schwarzer Hautfarbe stammt.
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Nicht nur im Hauptforschungsland der Kriminologie, den USA, kommt eine mit Deutschland in keiner Weise vergleichbare Ablehnung der Polizei hinzu bzw. ein eher geringes Institutionenvertrauen aufgrund des oft harten Durchgreifens und der teils willkürlich anmutenden Tötungen von Angehörigen von „Minderheiten“.
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In einer eigenen Pilotstudie mit knapp 100 erwachsenen Bürger*innen verschiedener Altersgruppen und ethnischer Herkunft, beider Geschlechter und aus verschiedenen Sozialmilieus war dies auch eine zentrale Erkenntnis: Bürger*innen erwarten einen kommunikativen, freundlichen und entgegenkommenden Umgang, der weniger von oben herab erfolgt.
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Berichtet wird speziell davon, dass immer mehr Personen aus dem engeren Umfeld ins Gefängnis müssten und man das vermeiden möchte, sowie dass man jedes Mal innerlich zusammenzucke, wenn man eine Polizeisirene höre oder ein Blaulicht sehe, da man befürchte, dieses Mal selbst dran zu sein (vgl. Zdun 2018).
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Zdun, S. (2022). Die Polizei in der Perspektive ethnischer Minderheiten und was die Polizei daraus lernen kann. In: Barthel, C. (eds) Proaktive Polizeiarbeit als Führungs- und Managementaufgabe. Springer Gabler, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-34201-2_14
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