Zusammenfassung
Als Martin Schulz beim außerordentlichen SPD-Bundesparteitag in Berlin am 19. März 2017 mit 100 % der Delegiertenstimmen zum Parteivorsitzenden und Kanzlerkandidaten gewählt wurde und der „Schulz-Zug“ damit richtig Fahrt aufnahm, hätte sich wohl niemand vorstellen können, dass dieser Zug Martin Schulz binnen Jahresfrist aufs politische Abstellgleis führen würde. In der Tat dürften Tiefe und Geschwindigkeit des politischen Falls selbst für sozialdemokratische Verhältnisse beispiellos sein. Betrachtet man Sigmar Gabriels Ankündigung vom 24. Januar 2017, zugunsten Schulz’ auf Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur verzichten zu wollen, als Ausgangspunkt der Entwicklung und Martin Schulz’ Erklärung vom 9. Februar 2018, doch nicht als Außenmister ins Kabinett Merkel IV eintreten zu wollen, als ihren Schlusspunkt, so dauerte es gerade 382 Tage, bis sich Martin Schulz in der öffentlichen Wahrnehmung vom Heilsbringer der Sozialdemokratie zu einem Paria der bundesdeutschen Politik gewandelt hatte.
Es fährt ein Zug nach Nirgendwo
Mit mir allein als Passagier
Mit jeder Stunde, die vergeht
Führt er mich weiter weg von Dir
(Erste Strophe des Schlagers
Es fährt ein Zug nach Nirgendwo
von Christian Anders & Fred Jay)
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Notes
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Die YouTube-Interviews mit Angela Merkel und Martin Schulz sind online abrufbar: YouTube LiveStreams, #DeineWahl – YouTuber fragen Angela Merkel | Mit Ischtar Isik, AlexiBexi, MrWissen2go, ItsColeslaw. https://youtu.be/Uq2zIzscPgY und #DeineWahl – YouTuber fragen Martin Schulz | Mit Marcel Scorpion, Nihan, MrWissen2go, ItsColeslaw. https://www.youtube.com/watch?v=Uc-qYUELww. Zugegriffen am 31. Mai 2019.
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Einzelheiten zu Operationalisierungen u. Ä. werden in Kap. 5 an entsprechender Stelle berichtet.
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Zu einer vergleichbaren Einschätzung kam Kai Arzheimer im Rahmen eines Zeit-Online-Interviews bereits auf dem Höhepunkt des Schulz-Hypes 2017; vgl. https://www.zeit.de/politik/deutschland/2017-02/spd-martin-schulz-bundestagswahl-2017-interview. Zugegriffen am 23. Juni 2019.
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Es dürfte im Übrigen auch erklären, warum es so schwierig ist, empirisch Faktoren zu identifizieren, die für den Schulz-Hype verantwortlich sind (vgl. exemplarisch Wuttke und Schoen 2019). Wenn Martin Schulz eine nahezu beliebige Projektionsfläche für Vorstellungen und Wünsche war, dann kann die statistische Aggregation dieser Vorstellungen und Wünsche aufgrund ihrer Vielfalt und mutmaßlichen Widersprüchlichkeit kein klares Muster erzeugen, sondern nur ihre Entropie widerspiegeln.
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Unter diesen Personen präferierten 32,8 % – also 12,9 % aller Befragten – Frank-Walter Steinmeier, 3,1 % Hannelore Kraft, 2,6 % Olaf Scholz, 0,2 % Manuela Schwesig und nur 0,1 % Andrea Nahles. 2,8 % entfielen auf andere Personen, die im Datensatz nicht weiter aufgeschlüsselt sind, und 58,4 % derjenigen, die bei der Ursprungsfrage angaben, jemand anderen zu präferieren, nannten bei der Nachfrage keinen Namen.
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Rosar, U., Masch, L., Springer, F., Klein, M. (2021). Es fährt ein Zug nach Nirgendwo. Martin Schulz, Angela Merkel und die Bundestagswahl 2017. In: Weßels, B., Schoen, H. (eds) Wahlen und Wähler. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-33582-3_7
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