Zusammenfassung
Der Beitrag gibt einen Überblick zu den theoretischen Grundlagen der Cultural Studies und deren Bedeutung für die Bildungs- und Erziehungssoziologie.
Hingewiesen wird auch auf zentrale empirische Studien. Aufgezeigt wird, dass es sich um eine international einflussreiche neomarxistische Ausprägung kritischer Gesellschaftsanalyse handelt, die gegenüber unterschiedlichen Spielarten deterministischer Sozialtheorien die Bedeutung der aktiven und eigensinnigen Auseinandersetzung von Individuen und sozialen Gruppen mit ihren gesellschaftlichen Lebensbedingungen betont. Problematisiert wird in Zusammenhang die nach wie vor recht geringe Beachtung, der Cultural Studies in der deutschsprachigen Bildungs- und Erziehungsforschung.
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Notes
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Dies wird exemplarisch in der Übersetzung des englischen Titels von ‚Learning to labour‘ als ‚Spaß am Widerstand‘ (Willis 1978) sowie darin deutlich, dass zwar die Jugendstudien des CCCS übersetzt wurden und hohe Verbreitung fanden (s. Clarke et al. 1981a; Cohen et al. 1985; Diedrichsen et al. 1983; Willis 1981), weitere genuin bildungssoziologische Analysen neben ‚Learning to labour‘ (s. CCCS 1981) jedoch nicht.
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Theoriebildung und Forschung zur außerschulischen Bildung haben ihren institutionellen Ort jedoch stärker in der Erziehungswissenschaft als in der Soziologie; s. dazu etwa Coelen und Otto 2008.
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Alle Zitate aus englischsprachigen Quellen wurden durch den Verfasser ins Deutsche übersetzt.
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Für diese Akzentuierung ist die Rezeption des symbolischen Interaktionismus durch die Cultural Studies von zentraler Bedeutung; s. Hall 2010. Vgl. zum symbolischen Interaktionismus Abels in diesem Band.
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S. dazu Hall 2010.
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Zu ihrem Einfluss auf die deutsche Schulforschung s. Breidenstein 2004, S. 923 ff. sowie Breidenstein 2006, S. 12 ff.; zu ihrer problematischen Rezeptionsgeschichte Sauter 2006, S. 119 ff.; zu ihrer Verortung im Kontext interpretativer Bildungsforschung s. den Beitrag von Hugh Mehan im vorliegenden Band.
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Diese finden in der deutschsprachigen Bildungssoziologie und Erziehungswissenschaft meiner Kenntnis nach bislang keinerlei Beachtung.
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Ob diese Interpretation zutreffend ist, kann hier nicht diskutiert werden; anzumerken ist aber, dass sie sich nur auf die frühen bildungssoziologischen Studien Bourdieus bezieht. Vgl. zu Bourdieu den Beitrag von Hillebrandt in diesem Band.
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S. zum Verhältnis der bildungssoziologischen Theorien von Bourdieu und Willis auch die diesbezüglichen Überlegungen von Jay MacLeod (2004).
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S. dazu den Primärtext und die oben erwähnte Sekundärliteratur.
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Die von Willis beforschten Jugendlichen leiden nicht in der Schule, sondern produzieren ihr ‚Scheitern‘ in einer Weise, die ihnen durchaus Spaß bereitet, den sie u. a. daraus ziehen, dass sie in Konfrontation zur LehrerInnen und angepassten Schülern gehen, denen sie sich als maskuline weiße Männer überlegen fühlen.
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Dieser Modus der Umkehrung vorgefundener Trennungen stellt eine wiederkehrende jugendkulturelle Praxis dar; s. dazu in Hinblick auf jugendlichen Rechtsextremismus etwa Bommes und Scherr 1994.
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