Zusammenfassung
In diesem Beitrag geht es darum, die Zwitterstellung schultheoretischer Konzepte zwischen Deskription und Präskription zu analysieren und so ihren wissenschaftstheoretischen Status zu präzisieren. Dieser wird in ihrer Performativität gesehen. Im Zentrum des Beitrags stehen somit die theoretischen und praktischen Konsequenzen des „doppelten Erwartungshorizonts“ der Erziehungswissenschaft (Meseth), also des Anspruchs, eine politisch relevante bzw. pädagogisch anschlussfähige Modellierung von (schul-)pädagogischer Wirklichkeit vorzunehmen. Die Argumentation wird anhand der politisch-administrativen Rezeption des schulpädagogischen Konzepts der „pädagogischen Handlungseinheit Schule“ (Fend) entwickelt. Argumentiert wird, dass sich die Performativität des Konzepts in der Pädagogisierung von Steuerungsprozessen reproduziert, die sich im Rahmen „neuer“ Steuerungsinstrumente beobachten lassen. Vor diesem Hintergrund wird die „Handlungseinheit Schule“ abschließend als das Imaginäre politisch-administrativer Steuerung beschrieben.
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Notes
- 1.
Insofern muss Fends Schulkulturansatz auch von der rekonstruktiv orientierten Schulkulturforschung (Helsper et al. 2001) abgegrenzt werden. Im Anschluss an Helsper betont Hummrich (2015), dass es der Schulkulturforschung gerade „[…] nicht um die Frage von Standards oder normativen Maßgaben der Gestaltung [geht]“ (ebd., S. 168).
- 2.
Ich beziehe mich mit dieser Formulierung auf W. Helspers pädagogische Überlegungen zum „doppelten Timo“: „Der real handelnde, aktuelle Timo ist ein scheinbarer, und der noch nicht umfassend zum Ausdruck kommende, der wahre, eigentliche. Zugespitzt: Das Imaginierte ist das Wirkliche“ (Helsper 2004, S. 51).
- 3.
Diese Bewertung basiert v. a. auf dem in der Planungsperspektive zum Ausdruck kommenden evidenzbasierten Steuerungsoptimismus. Inwiefern sich diese Einschätzung angesichts der technischen Möglichkeiten einer Digitalisierung von Steuerung aufrechterhalten lässt, wird sich in den nächsten Jahren zeigen.
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Lambrecht, M. (2021). Schultheoretische Performativität. Wissenschaftstheoretische Überlegungen zur „Handlungseinheit Schule“. In: Moldenhauer, A., Asbrand, B., Hummrich, M., Idel, TS. (eds) Schulentwicklung als Theorieprojekt . Schule und Gesellschaft, vol 61. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-30774-5_5
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