Zusammenfassung
Auf dem IX. Parteitag der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands wurde 1976 zum entschiedenen Kampf gegen Alkoholmissbrauch aufgerufen. Damit wurde erstmals in der Geschichte der DDR zugestanden, dass es ein explizites Problem mit Suchterkrankungen gab. Der vorliegende Beitrag zeichnet den Diskurs um missbräuchlichen Alkoholkonsum seit den 1950er Jahren nach. Hierbei widmet der Text sich insbesondere den in den 1970er und 1980er Jahren vom Deutschen Hygiene-Museum Dresden entwickelten und im DDR-Fernsehen ausgestrahlten Filmen zum Thema Alkoholmissbrauch. Analysiert wird, wie sich die Debatte von der Betonung einer vollen Verantwortung des Einzelnen für den Alkoholkonsum hin zu einer Vorstellung abhängigen Konsums verschob. Dabei veränderten sich auch die Selbstverhältnisse der trinkenden Menschen. Im Beitrag wird danach gefragt, welche Rolle die aus dem ‚Psychoboom‘ folgende Psychologisierung der Abhängigkeit in einem sozialistischen Gesellschaftssystem spielte und welchen Einfluss der Disziplin Psychologie dabei zukam. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Psychologisierung keineswegs lediglich als Gouvernementalitätsstrategie liberaler Staaten funktionierte, sondern auch in sozialistischen Gesellschaften dann eingesetzt wurde, wenn andere Regierungstechniken versagten.
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Balz, V. (2020). Riskante Selbstverhältnisse: Alkohol im Spiegel des Gesundheitsfilms in der DDR. In: Balz, V., Malich, L. (eds) Psychologie und Kritik. Springer, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-29486-1_8
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