Zusammenfassung
Die Einleitung in den Sammelband rahmt die Beiträge aus den einzelnen Fächern entlang professions-, struktur- und bildungstheoretischer Aspekte, die den Professionalisierungsanspruch universitärer Lehrerbildung begründen. Im Zentrum des Beitrags steht die Frage, wodurch sich die universitäre Lehrerbildung von anderen Phasen und Orten der Professionalisierung von Lehrpersonen unterscheidet und welche Alleinstellungsmerkmale ihr in diesem Rahmen zukommen. Die herausgearbeiteten Aspekte werden unter den Begriffen der „reflektierten Fachlichkeit“ und des „doppelten Praxisverständnisses“ theoretisch zusammengeführt. In der Marburger Lehrerbildung zeigen sich diese theoretisch-konzeptionellen Grundlagen für die Studierenden vor allem in dem Veranstaltungsformat „ProfiWerk“. Aufseiten der in diesem Band versammelten Autoren und Fachvertreter/innen stellt das so genannten „ProfiForum“ einen regelmäßigen Ort des Austauschs und der eigenen Professionalisierung dar.
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Notes
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Wir fokussieren im Folgenden auf Studiengänge zur Vorbereitung auf das Lehramt an Gymnasien.
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Zu beachten ist hierbei, dass die klassische Unterscheidung zwischen Professionen und gewöhnlichen Berufen im aktuellen Professionalisierungsdiskurs an Bedeutung verloren hat. So konstatiert Terhart (2011), dass Versuche, den Begriff der Profession über quasi prototypische Berufsgruppen klären zu wollen, schon allein deshalb obsolet sei, weil sich die klassischen Professionen (Ärzte, Anwälte, Kleriker, Architekten) im Zuge stetig zunehmender Regulierung zumindest teilweise deprofessionalisiert hätten. Sie hätten sich zu „gewöhnlichen Berufen mit straffer organisatorischer Gängelung und typischer Angestelltenmentalität zurück entwickelt“ (ebd., S. 203). Auf der anderen Seite hätten sich andere Berufe „neue Statusdimensionen, Tätigkeitsfelder Ausbildungsformen“ erschlossen, die mit dem klassischen Professionenkonzept analytisch überhaupt nicht mehr zu fassen seien (ebd.). Die aktuelle Professionsforschung legt ihren Fokus deshalb darauf, in je spezifischen Kontexten Prozesse der Professionalisierung und Deprofessionalisierung zu rekonstruieren, für begrenzte Bereiche notwendige Kompetenzen der Professionellen zu bestimmen und Wege zu deren Erwerb zu skizzieren (vgl. Bonnet und Hericks 2014, S. 3 f.).
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Dass der Lehrberuf (im Gegensatz zu dem des Mediziners und Juristen) zumeist nicht als Profession wahrgenommen wird, hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass die von Bildungspolitik und Öffentlichkeit an diesen Beruf gestellten (reduzierten!) Ansprüche in der Regel nicht von seinem pädagogischen Kernauftrag her formuliert werden. Die handlungsstrukturellen Anforderungen dieses Berufs werden vielmehr regelmäßig unterlaufen – etwa, wenn in Zeiten eines Lehrkräftemangels verstärkt Quer- oder Seiteneinsteiger/innen in den Schuldienst übernommen oder (wie in Hessen) sogenannte U-Plus-Lehrkräfte beschäftigt werden. Nicht-professionalisierte Personen mit professionellen Kernaufgaben zu betrauen, wäre für die klassischen Professionen undenkbar.
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Das Modellprojekt ProPraxis mit den „Marburger Praxismodulen“ (MPM) als Kernelement wurde im Rahmen der gemeinsamen „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ von Bund und Ländern aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert. Am Modellprojekt (Laufzeit der ersten Phase: 2015–2018) waren die universitären Fachwissenschaften Biologie, Chemie, Englisch, Ethik, Geographie, Geschichte, Mathematik, ev. Religion, Sport sowie die Schulpädagogik beteiligt.
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Genauer gesagt, wird Fachlichkeit in ProPraxis als fachwissenschaftliche Fachlichkeit fokussiert. Es geht um die Reflexion der den Unterrichtsfächern korrespondierenden Fachwissenschaften. Selbstverständlich umfasst Fachlichkeit als Alleinstellungsmerkmal der Universität (in Bezug auf den Lehrberuf) darüber hinaus Wissensbestände der Fachdidaktiken und Bildungswissenschaften (Erziehungswissenschaft, Psychologie, Sozialwissenschaften etc.). Während die in ProPraxis fokussierten Wissensbestände (wenngleich in mehrfach gebrochener Form) die Gegenstände fachlicher Kommunikationen konstituieren, zielen die zweitgenannten Wissensbestände auf die Art und Weise der Gestaltung von Kommunikationen und Prozessen (inkl. des notwendigen Adressaten- und Gesellschaftsbezugs); es handelt sich um Wissensbestände, die jedenfalls nicht selbst zum Gegenstand schulunterrichtlicher Vermittlung werden. Die Grenze zwischen diesen beiden Wissensbeständen ist fließend, insofern etwa fachwissenschaftliches Wissen auch ein Wissen (Vorstellungen, Methoden) über seine eigene Vermittelbarkeit induziert. Die Reflexion der Grenze könnte man als die originäre Aufgabe der Fachdidaktiken beschreiben (vgl. Hericks et al. 2020).
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In einem etwas gewagten, weil ggf. missverständlichen Vergleich könnte man sagen: Die angehenden Lehrpersonen gleichen in dieser Hinsicht Therapeut/innen, die in ihrer Ausbildung eine Eigentherapie absolvieren, um die möglichen Rückwirkungen des therapeutischen Settings auf das eigene Welt- und Selbstverhältnis quasi am eigenen Leib zu erleben und zu reflektieren.
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Gute Beispiele hierfür finden sich in diesem Band bspw. in den Beiträgen von Rolf Kreyer (englische Linguistik), Michael Schween und Philipp Lindenstruth (Chemie), Jörg Bietz (Sport) sowie Thomas Bauer et al. (Mathematik). Die Beiträge fokussieren Aspekte der mitunter krisenhaften fachlichen Verstehensprozesse von Studierenden sowie die damit verbundenen hochschuldidaktischen Herausforderungen.
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Für die Mathematik hat Thomas Bauer (2017) diese Idee exemplarisch vorgeführt. Er zeigt, wie universitäres mathematisches Wissen jenseits der Anfängervorlesungen angehende Lehrpersonen dazu befähigen kann, kreative elementarmathematische Ideen von Schülerinnen und Schülern fachlich beurteilen und würdigen zu können. Es geht um ein implizites didaktisches Wissen, das in den Inhalten der höheren Mathematik selbst enthalten ist und das es reflexiv zu machen gilt.
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Er unterscheidet vier solcher Modi: die kognitiv-instrumentelle Modellierung der Welt, die ästhetisch-expressive Begegnung und Gestaltung, die normativ-evaluative Auseinandersetzung mit Wirtschaft und Gesellschaft sowie Probleme konstitutiver Rationalität.
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Die Abkürzung EGL bezeichnet den für alle Marburger Lehramtsstudierenden obligatorischen Teilstudiengang „Erziehungs- und Gesellschaftswissenschaften“. Er umfasst teils verpflichtende, teils optionale Lehrangebote in Erziehungswissenschaft (Schulpädagogik), Psychologie, Soziologie, Politologie und Philosophie. Der ProfiWerk EGL geht sowohl eine Professionalisierungswerkstatt in einem der beiden studierten Fächern voraus als auch das schulische Unterrichtspraktikum.
Literatur
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Hericks, U., Meister, N. (2020). Das Fach im Lehramtsstudium: theoretische und konzeptionelle Perspektiven. In: Meister, N., Hericks, U., Kreyer, R., Laging, R. (eds) Zur Sache. Die Rolle des Faches in der universitären Lehrerbildung. Edition Fachdidaktiken. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-29194-5_1
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