Zusammenfassung
Gesellschaften können jeweils sehr eigene Vorstellungen ihrer Verwundbarkeit und Bewältigungsfähigkeiten auf Basis ihres gemeinsam geteilten, kulturellen Wissens entwickeln. Geteilte Wissensbestände, z. B. gemeinsame Erinnerungen, können so zu eigenen Realitäten werden, die jeweils spezifische Umgangsweisen mit flussbezogenen Gefahren bedingen können. Im kommunikativen Konstruktivismus wird davon ausgegangen, dass Wissen, etwa über vergangene und zukünftige Katastrophen, in Diskursen geteilt wird, die nicht nur historisch, sondern auch lokal-räumlich divergierende Wissensordnungen hervorbringen können. Auf diese Weise können Einschätzungen zur eigenen Vulnerabilität gegenüber Hochwassergefahren (‚Vulnerabilitätskonstruktionen‘) sowie über die Notwendigkeit von Maßnahmen zur Bildung von Resilienz (‚Resilienzkonstruktionen‘) lokal sehr unterschiedlich ausfallen. Im vorliegenden Text werden diese Annahmen näher untersucht. Die hier vorliegenden empirischen Ergebnisse zeigen, dass lokalräumlich und historisch variierende Vulnerabilitätskonstruktionen aus lokal-gebundenen Mediendiskursen auch im Wissen lokaler Akteure beobachtbar sind. Auf diese Weise können Gefahren, die vom Fluss ausgehen, trotz räumlicher Nähe sehr unterschiedlich wahrgenommen werden, etwa auf beiden Seiten der Oder in Frankfurt und Słubice.
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Das entspricht einer Rücklaufquote von 24 % [Netto pro Stadt (Brutto, Netto): Frankfurt (Oder), n = 86 (425, 20 %); Eisenhüttenstadt n = 116 (397, 29 %), Słubice, n = 126 (541, 23 %), Wroclaw: n = 129 (511, 25 %)].
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Keller unterscheidet generell nach den zwei unterschiedlichen Analyseebenen im Diskurs: erstens die inhaltliche Strukturierung des Diskurses mit Hilfe eines Interpretationsrepertoires und die zweitens die Materialität des Diskurses anhand von diskursiver Praktiken der Akteure. Dabei differenziert Keller (2008, S. 253) nach Subjektposition und Sprecherpositionen. In diesem Beitrag wird im Sinne eines Mixed-Method-Analysedesigns nach Wissenselementen im Diskurs geforscht – einerseits in Printmedien, anderseits in qualitativen Aussagen von Akteuren, weshalb keine klassische Rekonstruktion von Diskursen in Printmedien notwendig ist. Aus diesem Grund wird auf die Analyse der Materialität nach Diskurspositionen verzichtet.
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Bembnista, K., Heimann, T. (2020). Zur diskursiven Konstruktion des Erinnerns. Resilienzkonstruktionen in öffentlichen Medien und bei Bewohnern in Hochwasserquartieren 20 Jahre nach der Oderflut von 1997. In: Heinlein, M., Dimbath, O. (eds) Katastrophen zwischen sozialem Erinnern und Vergessen. Soziales Gedächtnis, Erinnern und Vergessen – Memory Studies. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-28933-1_2
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