Zusammenfassung
Der bundesdeutsche Sozialstaat weist einen hohen Grad an rechtlicher und damit auch organisatorischer Fragmentierung auf. Akteure mit unterschiedlichen Aufgabenzuschnitten, professionellen Hintergründen und organisationalen Praktiken wirken bei der Bearbeitung komplexer sozialer Probleme zusammen. Das erfordert integrierte Vorgehensweisen auf lokaler Ebene. Auch die Arbeitsmarktintegration Geflüchteter folgt dieser Struktur sozialstaatlicher Aufgabenwahrnehmung. Im Unterschied zu anderen sozialpolitischen Feldern jedoch kennzeichnet sie sich durch das Zusammenwirken von ordnungs- und sozialpolitischen Rationalitäten und Organisationen. Der Beitrag fokussiert sich auf Handlungsrationalitäten und organisationale Praktiken des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, der lokalen Arbeitsagenturen und Jobcenter wie auch der kommunalen Ausländerbehörden. Deren Vorgehensweisen strukturieren die Arbeitsmarktintegration Geflüchteter. Er argumentiert, dass jede der involvierten Organisationen auch intern verschiedenen Rationalitäten folgt, die das Bild inkludierender sozialpolitischer Akteure und exkludierender ordnungspolitischer Akteure durcheinanderbringen, und schließt mit einem Ausblick auf Strukturprobleme der Arbeitsmarktintegration Geflüchteter, die in dieser Konstellation sichtbar werden.
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Notes
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Es bietet sich an, zunächst von Mobilität zu sprechen. Migration bezeichnet zumeist die Beobachtung grenzüberschreitender Mobilität und knüpft an die Form des Nationalstaates an (Bommes 1999, S. 50). Fluchtmigrant_innen sind im Kontext bundesdeutscher Sozialstaatlichkeit einerseits anerkannte Flüchtlinge, aber auch Personen, die sich in der Bundesrepublik aufhalten, hier Asyl beantragt haben, deren Antrag aber noch nicht entschieden oder auch abgelehnt wurde. Der Begriff des ‚Flüchtlings‘ umfasst damit „einen umstrittenen Rechtsstatus, ein soziales und politisches Phänomen sowie eine Selbst- und Fremdzuschreibung“ (Kleist 2015, S. 158).
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Das Integrationsgesetz 2016 setzte die Vorrangprüfung aus. Diese Regelung wurde im August 2019 um drei Jahre verlängert (§ 32 BeschV) und gilt nun Bundesweit. Trotz Wegfalls der Vorrangprüfung müssen Asylbewerber und Geduldete vor Aufnahme einer Beschäftigung einen Arbeitserlaubnisantrag bei der Ausländerbehörde stellen. Die Bundesagentur für Arbeit prüft in diesem Verfahren die Einhaltung der Arbeitsbedingungen. Auf dieser Basis gestattet die Ausländerbehörde die Beschäftigung.
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Einzig die Evaluation der Experimentierklausel untersucht flächendeckend lokale Governancestrukturen zwischen der Kommune, den damaligen ARGEn (heute gE), den lokalen Geschäftsstellen der BA bzw. den zkT (Reis et al. 2007, S. 117 f.).
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Das Ausländerzentralregister führt mehr als 600.000 Personen, die sich in der Bundesrepublik aufhalten, deren Asylantrag erstmalig abgelehnt wurde. Über den weiteren aufenthaltsrechtlichen Verlauf dieser Personengruppe ist jedoch nichts bekannt, d. h., man kann nicht sagen, welche abgelehnten Asylanträge auf dem Rechtsweg anerkannt oder welche anderen Aufenthaltsmotive diesen Personen inzwischen zugesprochen wurden.
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Schlee, T. (2020). Strukturprobleme der Arbeitsmarktintegration Geflüchteter. Steuerungs- und Handlungsrationalitäten zwischen Migrationskontrolle und Sozialpolitik. In: Jepkens, K., Scholten, L., van Rießen, A. (eds) Integration im Sozialraum. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-28202-8_21
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