Zusammenfassung
Im Beitrag wird die Entwicklung von Streetwork und Aufsuchender Sozialer Arbeit im deutschsprachigen Raum in ihrer strategischen Einbettung skizziert. Die Autor*innen zeigen, wie die ‚sanften‘ Interventionsmodi aufsuchender, und insbesondere kommunikativ vermittelnder Projekte in sicherheits- und ordnungspolitische Strategien eingebunden sind. Sie argumentieren, dass Aufsuchende Soziale Arbeit einer reflexiven Professionalität bedarf und stellen dafür fünf unterschiedliche Reflexionsfiguren vor: Erstens Aufsuchende Soziale Arbeit als raumrelationale Praxis, die den öffentlichen Raum nicht nur als physisch-territoriales Einsatzgebiet, sondern auch als gesellschaftlichen Spiegel versteht und diesen mitproduziert. Sie ist zweitens eine anspruchsvolle, fachliche Begegnungs- und Beziehungspraxis, die drittens in eine Versorgungs- und Vermittlungsarbeit mündet und in diesem Ineinandergreifen, wichtige Ressourcen und Räume für Adressat*innen öffnet. Aufsuchende Soziale Arbeit kann viertens auch als eine ambivalente Präventions- und informelle Bildungspraxis verstanden werden, die aber u. a. durch alternatives Erzählen auch emanzipatives Potenzial in sich birgt. Fünftens sollte Aufsuchende Soziale Arbeit daher als eine (sozial)staatliche Praxis reflektiert werden, die eben nicht auf ihre unterstützenden Funktionen reduziert wird, sondern sich diskursiv einbringend Gegenpositionen entwickeln kann.
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Notes
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Werden beide Kategorien, Besitz und Zugang zugleich angelegt, zeigt sich in der Realität häufig, dass die damit verbundenen Grenzziehungen nicht unbedingt deckungsgleich sind, und werden aufgrund dessen dann als ‚halböffentlich‘ charakterisiert. Z. B. ist die Fahrbahn für den Autoverkehr meist im öffentlichen Besitz, die Fahrbahn selbst ist für Fußgänger*innen aber nur sehr eingeschränkt nutzbar. Der öffentliche Park wird abends abgesperrt und ist somit nur die Hälfte der Zeit für die Bevölkerung nutzbar. Malls, die in privatem Besitz sind, durch private Hausordnungen und Securities reguliert werden, gewähren wiederum oft auch konsumfreien Zugang, Aufenthalt und andere Nutzungen, wenn der ‚konforme Schein‘ gewahrt wird. (Bareis 2007).
- 2.
Ein ‚bedeutender Anderer‘ zu werden meint hier – in Anlehnung an erziehungswissenschaftliche Reflexionen – ein authentisches Beziehungsangebot zu machen, das ausreichend Nähe und Bindung zulässt, damit Affekte, Verstrickungen und Ambivalenzen der Lebensführung für die Adressat*innen thematisierbar werden, gleichzeitig durch eine dosierte professionelle Distanz aber auch vor Kränkungen schützt und die Konfrontation mit anderen Sichtweisen ermöglicht. Damit sind Beziehungen zu Streetworker*innen anders als familiäre oder Freundschaftsbeziehungen, aber auch anders als stärker formalisierte Beziehungen zu z. B. Lehr- oder Autoritätspersonen in beruflichen oder öffentlichen Kontexten.
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Diebäcker, M., Wild, G. (2020). Streetwork und Aufsuchende Soziale Arbeit im öffentlichen Raum. Zur strategischen Einbettung einer professionellen Praxis. In: Diebäcker, M., Wild, G. (eds) Streetwork und Aufsuchende Soziale Arbeit im öffentlichen Raum. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-28183-0_1
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