Zusammenfassung
Identität ist aus sozialwissenschaftlicher Sicht ein ambivalentes Konzept, da es Gleichheit oder Ähnlichkeit postuliert, wo ebendies infrage steht. Gemäß der Redensart ‚gleich und gleich gesellt sich gern‘ erscheint insbesondere die Vorstellung einer kollektiven Identität, die eng mit der Konzeption eines ‚Wir‘ verbunden ist, sowohl als anthropologische Konstante der Solidarisierung als auch als ideologisch-instrumenteller Mythos politischer Verbandsbildung. Gleichviel, welcher Lesart des Konzepts nachgegangen wird, stehen in jedem Fall selektive Vergangenheitsbezüge im Zentrum der Konstruktion seiner jeweiligen Ausprägungen. Kollektive Identität kann daher als zentraler Gegenstand sozialwissenschaftlicher Gedächtnisforschung begriffen werden. Der folgende Beitrag stellt hierzu zentrale Perspektiven vor.
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Das Wechselverhältnis einer solchen Synchronizität im Vergleich mit anderen und einer Diachronizität des Selbst wird auch von Paul Ricœur (1987) diskutiert. Da er keine Möglichkeit sieht, personale Identität als etwas übersituativ Gleichbleibendes zu begründen, führt er die Selbst-Erzählung bzw. narrative Identität als Surrogatbegriff ein, ein Konzept, dessen konstruktivistische Anlage auch auf Gruppenidentitäten übertragen werden kann.
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Dimbath, O., Sebald, G., Berek, M. (2023). Kollektive Identität. In: Sebald, G., et al. Handbuch Sozialwissenschaftliche Gedächtnisforschung . Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-26587-8_146
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