Zusammenfassung
Die Kritische Diskursanalyse versteht sich als ein Konzept qualitativer Sozialforschung, das insbesondere von den Schriften Michel Foucaults inspiriert ist und Vorschläge enthält, wie sich Diskurse analysieren und interpretieren lassen. Dabei besteht ihr kritisches Potenzial vor allem darin, dass mit ihr besonders gesellschaftlich brisante Themen problematisiert und kritisiert werden können. Denn Kritische Diskursanalyse nimmt die Geschichtlichkeit der Diskurse, ihre Genealogie, in den Blick und berücksichtigt dabei den Umstand, dass die Deutung von Wirklichkeiten stets auf der Folie von Wissen stattfindet, das es zu hinterfragen gilt. Im Beitrag werden das theoretische und das methodische Konzept der Kritischen Diskursanalyse vorgestellt sowie das konkrete Vorgehen anhand einer Analyse des deutschen Fluchtdiskurses von 2015/2016 skizziert.
Bei den folgenden Ausführungen handelt es sich um eine erweiterte und aktualisierte Fassung von Jäger (2017), die wiederum auf Jäger und Jäger (2010) basiert.
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Notes
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Die Ergebnisse einiger der mit der Kritischen Diskursanalyse umgesetzten empirischen Projekte sind in Jäger und Jäger (2007) nachzulesen.
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Der Unterschied zwischen Macht und Herrschaft lässt sich darin ausmachen, dass Macht die gesamte Gesellschaft wie ein Netz überzieht und, so ließe sich sagen, dass alle Menschen in einer Gesellschaft über Macht verfügen, und sei ihr Anteil daran noch so gering; von Herrschaft ist dagegen dann zu sprechen, wenn die Veränderung von Machtverhältnissen blockiert wird. Zur Frage der Macht der Diskurse hat Foucault (1983, S. 8) geschrieben: „Es ist das Problem, das fast alle meine Bücher bestimmt: wie ist in den abendländischen Gesellschaften die Produktion von Diskursen, die (zumindest für eine bestimmte Zeit) mit einem Wahrheitswert geladen sind, an die unterschiedlichen Machtmechanismen und -institutionen gebunden?“.
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Foucault (1981, S. 124) sagt: „[D]ie Sprache existiert nur als Konstruktionssystem für mögliche Aussagen.“ Diskursanalyse zielt insofern auf die Ermittlung von Aussagen, indem sie Diskursfragmente gleicher Inhalte auflistet und deren Inhalte und Häufungen sowie ihre formalen Beschaffenheiten zu erfassen sucht, interpretiert und einer Kritik zuführt.
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Dietrich Busse (2007, S. 82) definiert „Kontext“ wie folgt: „Ich verstehe […] unter ‚Kontext‘ den umfassenden epistemisch-kognitiven Hintergrund, der das Verstehen einzelner sprachlicher Zeichen(ketten) oder Kommunikationsakte überhaupt erst möglich macht.“ Eine stringente Theorie des diskursiven Kontextes auf Basis der Foucault‘schen Diskurstheorie liegt jedoch bisher nicht vor. Auch Dietrich Busse (2007, S. 103) bedauert, dass diesem Begriff bisher so wenig Aufmerksamkeit gewidmet worden ist.
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Vgl. dazu auch Link (1995, S. 744), der die formierende, konstituierende Kraft der Diskurse unterstreicht und den Diskurs (mit Foucault) als „materielles Produktionsinstrument“ begreift, mit dem auf geregelte Weise (soziale) Gegenstände (wie zum Beispiel Wahnsinn, Sex, Normalität usw.) wie auch die ihnen entsprechenden Subjektivitäten produziert werden. Zur historischen Diskursanalyse vgl. auch die Arbeit von Brieler (1998), welche die Denkentwicklung des Historikers Michel Foucault nachzeichnet und kritisch kommentiert.
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Literatur
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Jäger, M. (2019). Wie kritisch ist die Kritische Diskursanalyse?. In: Wiedemann, T., Lohmeier, C. (eds) Diskursanalyse für die Kommunikationswissenschaft. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-25186-4_4
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