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Der Spielfilm Tangerine als Produktion eines (inter-)kulturell doppelt imaginierten Sehnsuchtsraums

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Mediale Topographien

Zusammenfassung

Im 21. Jahrhundert sind wir in unserer alltäglichen Lebenswelt zunehmend mit medialen Imaginationen konfrontiert, die uns einen Eindruck von der Welt vermitteln, in der wir leben. Unser Wissen, wie eine Stadt oder eine Landschaft aussieht, erlangen wir nicht mehr auf Grundlage unserer primären Erfahrungen, sondern vielmehr über sekundäre Erfahrungen und über medial vermittelte Inhalte. Insbesondere Spielfilme tragen mit ihren audiovisuellen, hochkomplexen Bildern zu unseren geographischen Vorstellungen und Wahrnehmungen bei: „Films […] often evoke a sense of place – a feeling that we the […]viewer know what it is like to ‚be there‘“.

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Notes

  1. 1.

    Der Terminus Cinematic City wird erstmals von Clarke (2005) verwendet. Im vorliegenden Verständnis wird dann von einer Cinematic City gesprochen, wenn eine filmisch inszenierte Stadt nicht nur einfach Schauplatz oder Kulisse einer filmischen Handlung ist, sondern „wenn sie bewußt mitinszeniert wird […]“ (Vogt 2001, S. 26). Sie tritt folglich als „dramatische und dramaturgisch wichtige Figur in Erscheinung“ (Vogt 2001, S. 26.). Eine Cinematic City lässt sich demnach als Akteur im Rahmen eines Films bestimmen, der das Geschehen entscheidend mitprägt. Dabei ist sowohl die dramaturgische Funktion von Bedeutung, „mit der die Stadt […] ‚handelnd‘ eingreift“, wie auch „die ästhetische Konstruktion und ihre Wirkungsabsicht auf das Publikum […]“ (Vogt 2001, S. 26–27). Weiterhin wird sie als „das komplexe Gefüge an Raumbedeutungen […], das durch filmische Inszenierungen geschaffen wird und das vom Betrachter als diegetischer Raum zu einem Stadtraum mit einem eigenen historisch-geographischen Hintergrund zusammengefügt wird“ (Fröhlich 2007, S. 124), definiert. Eine Cinematic City wird kontinuierlich fortgeschrieben und „über einen Film hinaus, in vergangenen und zukünftigen Filmen durch geeignete invariante Elemente und strukturgleiche Geschichten sowie durch einschlägige Zitate […] immer wieder neu belebt“ (Escher und Zimmermann 2005, S. 162).

  2. 2.

    Bereits die Brüder Lumière reisten 1897 nach Tanger um dort Bilder des Grand und Petit Socco aufzunehmen (Schneider 2008, S. 80–89). Seither hat sich in Tanger eine Filmszene etabliert und es werden jährlich mehrere internationale Filmproduktionen in der Stadt realisiert. Für nähere Ausführungen zur Geschichte des Kinos und des Films in Tanger vgl. z. B. Schneider 2008.

  3. 3.

    Zur Geschichte und Geographie Tangers vgl. auch Pearson et al (1993a, b) und Abensur (2009).

  4. 4.

    Siehe dazu auch Bonnet (1992), Jaïdi (1992), Elena (2014).

  5. 5.

    Im Jahr 1949 erscheint im Magazin Der Spiegel ein Bericht über Tanger, der diese Charakteristik auch für das lebensweltliche Tanger feststellt: „So wurde […] [Tanger] ebenso zu einem Eldorado der Schieber und Spekulanten und zu einem Tummelplatz der Unterwelt wie zu einem Absteigequartier für Weltenbummler oder einem Transitplatz für Flüchtlinge aller Schattierungen. Hier sind alle sicher. Tanger ist das einzige Gebiet der Welt, das von jedem Staatsangehörigen ohne irgendwelche Formalitäten betreten werden kann.“ (Der Spiegel 1949, S. 10).

  6. 6.

    Der Begriff Beat steht in Zusammenhang mit der Bewegung um Jack Kerouac und John C. Holmes und bezieht sich auf Mitglieder der Nachkriegsgeneration, die sich von der damaligen konventionellen Gesellschaft entfremdet fühlten bzw. bewusst entfremdeten. Verallgemeinernd lässt sich festhalten, dass die Beats auf der Suche waren, nach einem inneren Glück und einer neuen Philosophie hinsichtlich Mitgefühl und Liebe die gegensätzlich zur damals vorherrschenden Stimmung, emotionalen Zurückhaltung und Konservatismus in Amerika stand. Sie stellten sich gegen die konservative Kultur der etablierten Gesellschaft. Zentrale Figuren waren u. a. die Schriftsteller Allen Ginsberg, William Burroughs und Jack Kerouac (Poole 1992, S. 26). Zentrale Persönlichkeiten Tangers zu dieser Zeit waren zudem Paul Bowles, der auf einen Tipp Gertrude Steins hin nach Tanger kam und bis zu seinem Tode in Tanger lebte, oder auch die Woolworth-Erbin Barbara Hutton, welche den internationalen Jet-Set regelmäßig zu pompösen Partys in ihre Villa in Tanger einlud. Zuvor residierten jedoch auch weitere international berühmte Persönlichkeiten in der Stadt, wie Alexandre Dumas oder Mark Twain (Rondeau 1999, S. 110 ff.). Zur weiteren Bedeutung und Interpretation der Begrifflichkeit und zum Verhältnis der Beats und Tanger vgl. Poole 1992. Ein guter Überblick über Persönlichkeiten, die im 19. und 20. Jahrhundert in Tanger verkehrten oder ansässig waren findet sich bei Rondeau 1999.

  7. 7.

    In Marokko ist Prostitution im Alltag „ein großes Geschäft“ (El Feki 2013, S. 266). Zwar ist das Gewerbe auf dem Papier illegal, es wird aber stillschweigend geduldet, sodass sich eine regelrechte „Prostitutionsökonomie“ (El Feki 2013, S. 266) etabliert hat. Schätzungen nach sind „Hunderttausende von Frauen in der einen oder anderen Weise im sexuellen Dienstleistungsgewerbe tätig“ (El Feki 2013, S. 266). Prostitution in Marokko ist dabei kein leicht zu definierendes Phänomen. In Casablanca und Tanger sieht man sich im 21. Jahrhundert gerade in urbanen Gebieten mit einer Pluralität an „pratiques prostitutionelles“ konfrontiert, aus denen unterschiedliche Typen und Orte der Prostitution resultieren. Es handelt sich daher um einen vielschichtigen Begriff, der in unterschiedlichen gesellschaftlichen Milieus angesiedelt ist:

    Il est coutume de définir ‚la‘ prostitution au Maroc sans jamais interroger l’usage du singulier pour l’évoquer. C’est comme si, dès lors qu’il s’agissait d’une activité placée aux marges de la société (et de la réflexion) en raison de son caractère transgressif, déviant et ‚sale‘, celle-ci ne pouvait être pensée dans sa pluralité et sa complexité. Aujourd’hui au Maroc, parler de prostitution c’est essentiellement penser l’activité déviante de filles et femmes qui la pratiquent par nécessité et/ou immoralité. (Cheikh 2014, o. S.)

    Als Gegenwert für Sex werden neben Geld auch Sachgeschenke, Reisen, soziale Mobilität und Prestige bzw. ein besserer Lebensstil gehandelt (vgl. Cheikh 2014).

  8. 8.

    Ort und Raum sind Begriffe, die in der Geographie vielfach diskutiert und sehr unterschiedlich definiert werden (vgl. z. B. Escher und Petermann 2016). Im Kontext der nachfolgenden Ausführungen werden die Begriffe wie folgt verstanden: Ein Ort ist ein abgrenzbarer Platz, der auf der Erdoberfläche lokalisiert werden kann und über materielle Inhalte verfügt. Über seine Materialität und begrenzte Ausdehnung ist er in konkreter Form identifizierbar (z. B. eine Straße, ein Gebäude, ein Platz) und lässt sich somit klar von anderen Orten unterscheiden (vgl. Dangschat 1996, S. 104; Escher et al. 2007, S. 39). Ein Raum wird hier als begriffliches Konstrukt und nicht als physische Gegebenheit verstanden. Raum entsteht in Bezug auf einen Ort durch Zuschreibungen über einen und Handlungen an einem solchen. Auch sprachliche oder gedankliche Zuschreibungen können einen Raum entfalten. Anders formuliert entsteht ein Raum dann, wenn ein Ort mit Bedeutungen aufgeladen wird. Abhängig von Zuschreibungen kann ein Raum verschiedene Ausprägungen erlangen und über einem Ort können sich folglich mehrere Räume aufspannen.

  9. 9.

    Brian Jones und die Rolling Stones haben zur mythischen Aufladung Tangers beigetragen. Im Jahr 1968 reiste Jones nach Tanger und wurde von dem amerikanischen Schriftsteller und Maler Brion Gysin nach Jajouka – ein Dorf am Fuße des Rif-Gebirges – gebracht. Dieser hatte bereits enge Kontakte in das Dorf aufgebaut und folgte einer Einladung von Hadj Abdessalam Attar, dem Vater von Bachir Attar, der später großen Erfolg mit den Mastermusicians of Jajouka hatte (Rondeau 1999, S. 152 ff.; Jackson 2009, S. 153 f., 207 f.). Dort hörte Jones im Kontext des Boujeloud Festivals zum ersten Mal die Musik der einheimischen Sufi-Musiker und war von den Klängen überwältigt: „Later ‚Brian danced along with the melody of the music wildly‘ […] ‚crazily, as if in a trance.“ […] The sounds and vibrations Brian heard and felt […] were of deep and lasting importance to him, and his fascination with Jajoukan music took root that night.“ (Jackson 2009, S. 209). Jones war so begeistert von den Klängen, dass er ihre Musik später aufnahm. Er plante die Musiker weltweit bekannt zu machen und ihre Musik zu erforschen, weiterzuentwickeln und in die Strömungen moderner Musik zu integrieren, um ihnen die Plattform zu geben, die sie seiner Auffassung nach verdienten (Jackson 2009, S. 210). Posthum wurde diese Arbeit unter dem Namen Brian Jones presents the Pipes of Pan at Jajouka auf den Markt gebracht (Jackson 2009, S. 211). Dieses Ereignis und die Geschichte wurden mehrfach medial aufgegriffen. Als Beispiel ist die filmische Biographie von Jones Stoned (2006) zu nennen, die in einigen Sequenzen auch dessen Aufenthalt in Marokko thematisiert. Auch Tangerine referiert auf Brian Jones und den ihn umgebenden musikalischen Mythos. Der Inhalt des Filmes beschränkt sich jedoch nicht auf diesen Aspekt.

  10. 10.

    Prostitution wird in Tangerine nicht als stereotypes Phänomen gezeichnet, bei dem die Frauen ihren Körper für Geld hingeben. Vielmehr wird in unterschiedlicher Art und Weise gezeigt, dass Prostitution unterschiedliche Facetten haben kann und stets auch an unterschiedliche Erwartungen seitens der jungen Frauen gebunden ist. Während für Neshua und die anderen Frauen in der Wohngemeinschaft der finanzielle Aspekt im Vordergrund zu stehen scheint (ihren Wunsch nach einem besseren Leben an der Seite eines Europäers haben sie längst aufgegeben), erhofft sich Amira von der Verführung Toms eine Möglichkeit, aus Tanger wegzugehen. Die Relation zu Tom lässt sich auf den ersten Blick nicht direkt als Prostitution interpretieren, da sich gerade Tom dieser Dimension der Beziehung nicht bewusst zu sein scheint. Im Kontext der Ausführungen von Cheikh (2014) und der filmischen Handlung lässt sich jedoch feststellen, dass auch die scheinbare Liebesbeziehung als eine Form der Prostitution interpretiert werden kann. Dies schließt an eine Aussage der Regisseurin an, die angibt, genau diese Grauzone in Tangerine thematisieren zu wollen: „Offiziell gibt es keine Prostitution in arabischen Ländern, das Thema ist nach wie vor absolut tabu, aber jeder weiß trotzdem um ihre Existenz. Mich interessiert die Definition von Prostitution und die Grauzone darin: Wann prostituiert sich ein Mädchen? Wann ist ein Geschenk eine Bezahlung? Geht es um Luxus oder um die Sicherung der Existenz? Ich habe lange in Marokko gelebt und gearbeitet und mich über die immer wiederkehrenden Missverständnisse gewundert, die zwischen Europäern und Marokkanern entstehen. Vieles liegt an verschiedenen Definitionen von Begriffen wie Freundschaft, Treue, Besitz oder Lügen“ (v. Alberti, zit. nach Filmgalerie 451, o. D.). Für weitere Ausführungen zum vielschichtigen Spannungsfeld Sexualität und Prostitution in der arabisch-islamischen und insbesondere der marokkanischen Gesellschaft siehe zudem Rafik 1980, Dialmy (2005), Benito (2008), Rump (2013), Cheikh (2014).

  11. 11.

    Eine Semiosphäre bezeichnet „die Gesamtheit aller Zeichenbenutzer, Texte und Codes einer Kultur als semiotischen Raum“ (Lotman 1990b, S. 287). Ein wesentliches Charakteristikum der Semiosphäre ist, dass sie in sich individuell und homogen gestaltet ist. Das Innere und das Äußere einer Semiosphäre wird dabei getrennt durch eine Grenze, die „durch die gegenseitige Fremdheit der Zeichenbenutzer, Texte und Kodes aufrechterhalten“ (Lotman 1990b, S. 287) wird. Durch Übersetzungsprozesse ist eine solche Grenze teilweise überwindbar. Vgl. hierzu Lotman (1990a, S. 123 ff.) und Lotman (1990b, S. 287 ff.).

  12. 12.

    „Ein Grenzgänger kann danach sowohl jemand sein, der eine […] Grenze überschreitet, wie auch jemand, der sich auf der Grenzlinie bzw. im Grenzbereich bewegt“ (Fludernik 1999, S. 99).

  13. 13.

    „In Beziehung zur Grenze des (semantischen) Sujet-Feldes tritt der Handlungsträger als derjenige auf, der sie überwindet […]“ (Lotman 1993, S. 342).

  14. 14.

    Ein herzliches Dankeschön sei diesbezüglich an Irene von Alberti gerichtet, die Regisseurin des Films Tangerine. Im Rahmen eines persönlichen Treffens im März 2016 hat sie sich die Zeit genommen, mit der Autorin gemeinsam ein Screening vorzunehmen und sämtliche filmische Handlungsorte im lebensweltlichen Tanger, d. h. die Drehorte, zu lokalisieren.

  15. 15.

    Als Beispiel sei hier die Wohnung der Frauen genannt, deren Ausstattung an der tatsächlichen Optik und Ausstattung von WG-Wohnungen von Frauen angelehnt ist, welche von der Regisseurin vor Beginn der Dreharbeiten im Rahmen von Recherchearbeiten besucht wurden (vgl. v. Alberti 2016).

  16. 16.

    Die Regisseurin gibt diesbezüglich an, dass beispielsweise das von Amira und Pia aufgesuchte Wohnhaus eigentlich eine Pension ist, die vom kundigen Zuschauer auch als diese identifiziert werden kann. So soll auf der narrativen Ebene verdeutlicht werden, dass es sich bei dem Haus nicht um das Wohnhaus von Amira handeln kann.

  17. 17.

    Das Hotel Continental besteht seit dem Jahr 1850. Das im Kolonialstil gehaltene Hotel wird in populären Beschreibungen und Reiseführern als nostalgischer Ort beworben: „Ein wenig museal wirkt alles. In jeder Ecke und Etage ist man von Nostalgie umgeben“ (Boder 2016, o. S.). Das Hotel ist für den Mythos Tanger ein wichtiger Ort. Unter anderem verbrachte Paul Bowles hier viel Zeit und zahlreiche Szenen der Verfilmung von Himmel über der Wüste wurden hier gedreht (Boder 2016, o. S.).

  18. 18.

    Hier lässt sich der Begriff des okzidentalen Mythenmachers anführen, den Escher und Petermann (2009) für Marrakech definieren. Damit bezeichnen sie Figuren, „Personen, Orte, Medien, Artefakte oder Bewegungen“ (Escher und Petermann 2009, S. 67), die zur Entstehung und Etablierung eines Mythos Marrakech beigetragen haben (vgl. Escher und Petermann 2009, S. 67 ff.). Für Tanger kann Paul Bowles als ein solcher Mythenmacher gelten (vgl. Rondeau 1999, S. 136 ff.).

  19. 19.

    Der Nachtclub gilt „[a]ls markanteste, typisch ‚tangerische‘ Location“ (Viehoff 2011, S. 61), „an welcher sich die europäischen und amerikanischen Einflüsse besonders deutlich abzeichnen“.

  20. 20.

    Das im Jahr 1921 eröffnete Café wurde von Angehörigen der Beat-Generation wie Paul Bowles (vgl. z. B. Rondeau 1999, S. 136 ff.; Bowles 1958) und auch später von den Rolling Stones besucht – eine Tatsache, die auch in aktuellen Reiseführern (vgl. Clammer et al. 2014, S. 249) noch zur Sprache gebracht wird, um weiter Touristen anzuziehen. Auch aktuell wird das Café Hafa immer wieder als mythischer Ort Tangers thematisiert, der jedoch im Untergang begriffen ist. So beispielsweise in den Werken des Schriftstellers Tahar Ben Jelloun. In dessen Werk Partir (2006, S. 11) heißt es: „À Tanger, l’hiver, le café Hafa se transforme en un observatoire des rêves et de leurs conséquences“. Das Café lässt sich in seinem Werk interpretieren als „melting pot, a haven for all unemployed able-bodied men who come only to look at the sea, take tea and smoke hashish” (Ayeleru und Ajah 2010, S. 192).

  21. 21.

    Albert und Kober (2012, S. 53 f.) beschreiben das (lebensweltliche) Café als einen Raum des Dazwischen – zwischen Stadt und Straße, zwischen Marokko und Spanien, das für die perspektivlosen Besucher als eine Sternwarte der Träume fungiert, an dem Drogen konsumiert werden und auf eine bessere Zukunft gewartet wird. Zuber (2007) bezeichnet das Café Hafa als „Idylle im Elend“ und als „Sinnbild der vergessenen Stadt Tanger“, das heute hauptsächlich noch von jungen, arbeitslosen und Drogen-konsumierenden jungen Männern besucht würde. Dieses Bild greift auch Tangerine in der hier besprochenen Sequenz auf und bricht mit seinem mythischen Image des Ortes.

  22. 22.

    Beispielsweise, wenn Tom in seiner exaltierten Brian Jones-Attitüde durch die Straßen läuft und von den Einheimischen belächelt wird oder wenn er mit Amira das Café Hafa besucht und klar wird, dass diese Identifikationsfiguren und -orte nur in seiner eigenen Imagination Bestand haben können. Oder auch dann, wenn Tom und seine Band eine an die Musik aus Jajouka angelehnte Inszenierung besuchen, die für sie im touristischen Kontext auf die Beine gestellt wird. Ihr Ziel, auf den Spuren von Brian Jones selbst nach Jajouka zu kommen, scheitert, da kein Kontakt mit den dortigen Musikern zustande kommt. Ein weiteres Beispiel ist der Besuch der Freunde in der Villa von Cherie Nutting, einer Freundin von Paul Bowles. Dort lauschen sie, fast wie in Trance, den Geschichten aus vergangener Zeit.

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Sommerlad, E. (2019). Der Spielfilm Tangerine als Produktion eines (inter-)kulturell doppelt imaginierten Sehnsuchtsraums. In: Stiglegger, M., Escher, A. (eds) Mediale Topographien. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-23008-1_12

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  • Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-658-23007-4

  • Online ISBN: 978-3-658-23008-1

  • eBook Packages: Social Science and Law (German Language)

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