Zusammenfassung
Wirtschaftspolitik schlägt eine Brücke zwischen Ökonomie und Staat. Als angewandte Wissenschaft steht sie dabei im permanenten Spannungsfeld zwischen gesellschaftlichen Forderungen, wirtschaftstheoretischen Einsichten und politischer Machbarkeit. Angesichts der vielfältigen Gegensätze in Bezug auf ihre Ausrichtung und Zielsetzung ist eine einheitliche Theorie der Wirtschaftspolitik nicht in Sicht. Vor diesem Hintergrund zeichnet der Beitrag die historische Entwicklung der Disziplin nach und beleuchtet die wirtschaftspolitischen Akteure und Handlungsfelder sowie verschiedene Ansätze zur Systematisierung einer allgemeinen Wirtschaftspolitik.
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Mit seinem Lehrbuch der politischen Oekonomie, das in den drei Bänden Grundsätze der Volkswirthschaftslehre (1826), Grundsätze der Volkswirthschaftspolitik (1828) und Grundsätze der Finanzwissenschaft (1837) erschien, legte Rau die Standardbehandlung des Faches im deutschen Sprachraum fest und etablierte die Wirtschaftspolitik als eine von drei Teildisziplinen: „Die Volkswirthschaftspflege (ist) die unmittelbar auf den Zweck des Volkswohlstand gerichtete Sorgfalt der Regierung (…) Die wissenschaftliche Darstellung der Regeln nach denen diese Tätigkeit eingerichtet werden soll, ist die Volkswirthschaftspolitik.“ (Rau 1854, S. 1).
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Die allgemeine Wirtschaftspolitik (auch Theorie der Wirtschaftspolitik) versteht sich als Grundlagenwissenschaft. Diese wird im deutschen Sprachraum von zahlreichen Lehrbüchern dezidiert behandelt (ohne den Anspruch auf Vollständigkeit): Pütz (1979); Dobias (1980); Woll (1992); Arnim (1998); Luckenbach (2000); Streit (2005); Altmann (2007); Donges und Freytag (2009); Weimann (2009); Neck und Schneider (2013); Breyer und Kolmar (2014); Grüner (2018); Welfens (2019); Klump (2020).
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Die neoklassische Theorie zeichnete sich vor allem durch die mathematische und mikroökonomische Fundierung der Wirtschaftstheorie aus. Zu ihren frühen Vertretern und Wegbereitern zählen Hermann Heinrich Gossen (1810–1858), Léon Walras (1834–1910), William Stanley Jevons (1835–1882), Carl Menger (1840–1921), Alfred Marshall (1842–1924) und Vilfredo Pareto (1848–1923).
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Keynes Theorie zur Bewältigung der Krise zielte insbesondere auf die kurze Frist: „[The] long run is a misleading guide to current affairs. In the long run we are all dead.“ (Keynes 1923, S. 80).
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Die keynesianische Idee der Konjunktursteuerung lag auch dem „Gesetz über die Bildung eines Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“ (1963) und dem „Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft“ (1967) zugrunde.
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„95 percent of economics is common sense – made to look difficult, with the use of jargons and mathematics.“ (Chang 2015, S. 3).
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Ob die Wirtschaftspolitik durch eine solche Interpretation mit dem Prinzip einer positiven Wissenschaft vereinbar wird, gilt als umstritten. Gegen diese Auffassung richtet sich das Argument des „teleologischen Trugschlusses“, welcher insbesondere von Gunnar Myrdal (1898–1987) und Paul Streeten (1917–2019) vorgebracht wurde (Myrdal 1933; Streeten 1954).
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Dieser Zusammenhang verdeutlicht die Interdependenz zwischen der Wirtschaftsordnung und anderen – in diesem Fall politischen – Teilordnungen der Gesellschaft. Den institutionellen Einfluss der politischen Organisation und Gewaltenteilung auf die ökonomische und soziale Entwicklung einer Gesellschaft haben North et al. (2009) in einer viel beachteten Arbeit analysiert.
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Vor diesem Hintergrund befand Milton Friedman: „Geld ist eine zu ernste Angelegenheit, als dass man es den Herren von der Zentralbank anvertrauen könnte.“ (Friedman 1962/2011, S. 74).
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Vor dem Hintergrund ihrer Entwicklungs- und Armutsforschung haben vor allem die 2019 mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Esther Duflo (*1972) und Abhijit Banerjee (*1961) die wirtschaftswissenschaftliche Anwendung randomisierter Feldexperiment maßgeblich weiterentwickelt und dazu beigetragen, diese in der Wirtschaftswissenschaft zu etablieren (Banerjee und Duflo 2011, 2017). Aus theoretischer, ethischer und auch monetärer Sicht, können randomisierte Feldexperimente aber auch durchaus als problematisch bewertet werden (Ziliak und Teather-Posadas 2016).
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Goldschmidt, N., Störring, M. (2021). Wirtschaftspolitik. In: Heidbrink, L., Lorch, A., Rauen, V. (eds) Handbuch Wirtschaftsphilosophie III. Handbuch Wirtschaftsphilosophie. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-22107-2_6
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