Zusammenfassung
Familie als ein auf Dauer angelegtes intergenerationales Care-Verhältnis gilt als wesentliches Teilsystem moderner Gesellschaften. Familiale Lebenskontexte unterliegen geschlechterhierarchischen Anerkennungsordnungen, die wiederum mit dem Teilsystem (Erwerbs-)Arbeitsmarkt korrespondieren. Von Bedeutung ist zudem die Wahrnehmung von Familie im Hinblick auf Ethnizität. Die Analyse gesellschaftlicher, insb. familienpolitischer Diskursstränge zu Geschlechterverhältnissen (Stichwort „Emanzipation“) und zu Migration (Stichwort „Integration“) zeigt, wie in je spezifischer Weise das Themenfeld „Familie“ aufgegriffen wird. Bemerkenswert ist, dass Familie sowohl in Bezug auf Emanzipation als auch Integration in erster Linie als Bremsklotz für die individuelle Entwicklung wahrgenommen wird. Traditionelle Herstellungsprozesse von Familie scheinen im einen Fall Vereinbarkeitsoptionen zu unterlaufen und im anderen Fall Bildungsaufstiege zu verhindern. Bemerkenswert sind dabei spezifische Auslassungen: In gesellschaftspolitischen Emanzipationsdiskursen werden Care-Lücken im Privaten, die soziale Ungleichheit zwischen Frauen sowie die Auseinandersetzung um Care-Praxen von Männern nicht systematisch einbezogen. Ebenso wird in Integrationsdiskursen die Benennung von Rassismus sowie von sozialer Ungleichheit zwischen Einheimischen und Migrant_innen eher vermieden. Damit werden geschlechtliche und ethnisierte Ungleichheitslagen stabilisiert.
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Notes
- 1.
Zu den Familien mit Migrationshintergrund zählen alle Eltern-Kind-Gemeinschaften, bei denen mindestens ein Elternteil eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzt oder die deutsche Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung oder – wie im Fall der Spätaussiedler – durch einbürgerungsgleiche Maßnahmen erhalten hat.
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Thiessen, B. (2020). Integration, Familie und Gender. In: Pickel, G., Decker, O., Kailitz, S., Röder, A., Schulze Wessel, J. (eds) Handbuch Integration. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-21570-5_78-1
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