Zusammenfassung
Der Beitrag gibt einen Überblick über die unterschiedlichen Diskussionslinien, die sich zum Zusammenhang von Migration und gesellschaftlicher Integration ausmachen lassen. Die Darstellung legt ihren Schwerpunkt auf die öffentlichen und die wissenschaftlichen Debatten, die in Deutschland hierzu seit vielen Jahren geführt werden. Es werden zentrale Begrifflichkeiten, theoretische Konzepte und politische Argumentationsmuster herausgearbeitet. Eine einfache Gegenüberstellung von ‚hier Öffentlichkeit‘ – ‚dort Wissenschaft‘ ist dabei nicht möglich, denn die Fragen, was unter Migration und unter gesellschaftlicher Integration verstanden werden soll und wie sie einander bezogen werden, werden auch innerhalb dieser beiden Bereiche kontrovers verhandelt. Öffentliche und wissenschaftliche Perspektiven sind keineswegs voneinander abgekoppelt, sondern befinden sich in einem Wechselspiel.
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Notes
- 1.
Bei den Geschlechtern werden abwechselnd weibliche und männliche Formen als generisches Femininum bzw. generisches Maskulinum verwandt und jeweils als Oberbegriffe verstanden: Zum Beispiel sind bei „Einwanderern“ und „Politikerinnen“ „Einwanderinnen“ und „Politiker“ mitgemeint. Dies gilt ebenso für Personen mit weiteren Geschlechtsidentitäten, die sich selbst möglicherweise als Einwander∗in oder Politiker_in bezeichnen würden.
- 2.
Für die Theorieentwicklung und die Begrifflichkeiten der Migrationsforschung seit Ende des 19. Jahrhunderts, vgl. Aigner 2017; Hillmann 2016; Reuter und Mecheril 2015; Treibel 1999. Einen Überblick über die Ansätze der sog. Kritischen Migrationsforschung, die sich von der Migrationsforschung als Integrationsforschung abgrenzen, sowie die Institutionalisierung der Forschung in globalem Maßstab gibt Schwenken 2018. Für Hinweise auf den internationalen Sprachgebrauch, vgl. das Glossar der IOM (International Organization for Migration): https://www.iom.int/key-migration-terms. Zugegriffen am 10.09.2019.
- 3.
Vgl. hierzu etwa Bundeskanzler Helmut Kohl in einem Interview aus dem Jahr 1986 (https://www.youtube.com/watch?v=BCm_MwtWVxw. Zueggriffen am 10.09.2019).
- 4.
Die Ursachen und Folgen von Flucht, Vertreibung, Verschleppung bis hin zu Menschenhandel können hier nicht vertieft werden. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass – global betrachtet – die meisten Flüchtlinge in die Nachbarländer von Krisen- und Kriegsgebieten fliehen und insofern nur ein geringer Prozentsatz die Länder Europas oder Nordamerikas erreicht (vgl. United Nations 2018).
- 5.
Vgl. hierzu den Band von Portes und Rumbaut 2014, in dem zwischen der zweiten und dritten Generation zusätzlich der Begriff der Generation 2.5 eingezogen wird, um die heterogenen Migrationsbiografien von Familien abbilden zu können. Mit Generation 2.5 werden mit Bezug auf die USA diejenigen bezeichnet, bei denen ein Elternteil im Ausland und der andere in den USA geboren wurde (vgl. hierzu auch Ramakrishnan 2004).
- 6.
Im Kontext der öffentlichen Debatten, in denen der Integrationsbegriff von den einen als Kampfbegriff verwendet und von anderen als Konzept für untauglich erklärt wird, spielt die wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung des Integrations-Begriffs meist keine Rolle.
- 7.
Vgl. für eine allgemeine Rahmung die Erörterung von Kirsten Hoesch zu „Integration in differenzierungstheoretischer Perspektive“ (Hoesch 2018, Kap. 3.3.5). Auch hier wird darauf hingewiesen, dass Integration nicht zwingend mit Migration verbunden sein müsse, sondern eine grundsätzliche ‚Aufgabe‘ von (modernen) Gesellschaften sei.
- 8.
- 9.
Aufgrund der Bedeutungsnähe von „gesellschaftlich“ und „sozial“ liegt es nahe, gesellschaftliche Integration und soziale Integration oder auch Sozialintegration (s. Abschn. 3.1) als Synonyme zu betrachten. Gesellschaftliche Integration wird im Verständnis dieses Beitrags jedoch nicht als gleichbedeutend mit sozialer Integration oder Sozialintegration verstanden, sondern ist auf die Systemebene bezogen. Der Begriff der gesellschaftlichen Integration, der hier Anwendung findet, entspricht also dem Begriff der Systemintegration.
- 10.
Stellvertretend für diese Perspektive stehen Textsammlungen wie die von Reschke 2015 oder Carius et al. 2016.
- 11.
Für eine systematische Analyse unterschiedlicher Manifeste seit dem 19. Jahrhundert, vgl. den von Klatt und Lorenz 2011 herausgegebenen Sammelband.
- 12.
- 13.
Eine detaillierte Analyse des medialen Gemacht-Werdens des Sarrazin-Erfolgs kann hier nicht erfolgen. Im Sog dieses Bestsellers erscheinen bis in die Gegenwart kaum noch zählbare Publikationen, deren Tenor lautet ‚Die Integration ist gescheitert‘ und ‚Deutschland ist in Gefahr‘. Erfolg haben diese Veröffentlichungen insbesondere dann, wenn ihre Autoren ihrerseits Einwanderer sind (vgl. z. B. Abdel-Samad 2018).
- 14.
Für eine Begründung der Erklärung vgl. Anhörung der Petition „Gemeinsame Erklärung 2018“ im Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages mit Vera Lengsfeld und Henryk M. Broder (https://www.youtube.com/watch?v=raMMe4HGekM. Zugegriffen am 10.09.2019).
- 15.
Hierzu zählen das „Institut für Staatspolitik“, die „Junge Freiheit“, die Bewegung der „Identitären“, Teile von „Pegida“ sowie der „Alternative für Deutschland“ (AfD), auf deren Genese hier nicht näher eingegangen werden kann (vgl. Weiß 2017).
- 16.
Nicht zuletzt durch die Mitwirkung einzelner ihrer Bochumer Kollegen am „Heidelberger Manifest“ sahen sich Professorinnen der Bochumer Ruhr-Universität zur Gegendarstellung aufgefordert.
- 17.
Aus der Einleitung des Herausgebers Klaus J. Bade geht hervor, dass vor 25 Jahren, als Migration noch nicht als Top-Thema rangierte, eine Debatte und politische Entscheidungen dringend angemahnt wurden: „Kurzfristig mag es wichtigere Probleme geben als Migration, Integration und Minderheiten. Aber Deutschlands Zukunft hängt auch von einer Migrations- und Integrationspolitik mit Vernunft und Augenmaß ab. Den Rahmen für eine solche Politik abzustecken, ihre Ziele und Inhalte exemplarisch zu umreißen, ist Zweck des Manifests. Es enthält Diagnosen, Thesen und Vorschläge, aber keine Patentrezepte. Es versteht sich als Anstoß zu einer in Deutschland längst überfälligen Debatte“ (Bade 1994, S. 10). Als Dokument der bereits vor etlichen Jahrzehnten geführten Debatte, vgl. auch Winkler 1992.
- 18.
Für die Web-Auftritte vgl. https://neuedeutsche.org/; https://www.deutsch-plus.de/; http://www.migazin.de/. Zugegriffen am 10.09.2019. Für eine Analyse der paradoxen Effekte, wenn Integration – gerade im Bereich der migrantischen Mittelschicht – tatsächlich stattfindet, vgl. den Ansatz der Autorin zum „Integrationsparadox“ (Treibel 2017a; vgl. auch Treibel 2015, Kap. 14).
- 19.
Es sei angemerkt, dass die Rede von „unserem Erziehungsziel einer kritischen Reflexionsfähigkeit“ (Schröter 2016, S. 370) eine mögliche Übergeneralisierung darstellt, die einen quasi leitkulturellen Konsens behauptet. Auf die Nähe dieser wissenschaftlichen Diskurslinie zur öffentlichen Leitkultur-Debatte kann hier nicht näher eingegangen werden.
- 20.
Mit der Bezeichnung ‚sogenannt‘ sei darauf hingewiesen, dass es sich hier um eine Selbstbezeichnung handelt. Wer sich selbst dem Label ‚Kritische Migrationsforschung‘ zuordnet, diskreditiert konkurrierende Ansätze unausgesprochen als ‚unkritisch‘. Von einer solchen Sortierung distanziert sich die Verfasserin dieses Textes.
- 21.
- 22.
Für einen Überblick und eine Diskussion des Topos Integration durch Konflikt in soziologischen Theorien (vgl. Krossa 2018, Kap. 12.2).
- 23.
Einen ähnlichen Ansatz vertreten u. a. die Expertisen des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration (aktuell SVR 2018, 2019), die Arbeiten von Hüttermann 2018 oder die Autorin dieses Beitrags (vgl. Treibel 2015). Für aktuelle Projekte vgl. auch die Forschungsabteilungen des 2017 gegründeten Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM 2019), insbesondere die dortige Abteilung „Konsens & Konflikt“; vgl. https://www.dezim-institut.de/das-dezim-institut/. Zugegriffen am 10.09.2019.
- 24.
Für Informationen zu diesen und anderen Debatten in einem Einwanderungsland, vgl. Meier-Braun 2017.
- 25.
Keineswegs ‚alle‘ Migrationsforscherinnen melden sich öffentlich zu Wort. Dies ist vor allem dem ambivalenten Verhältnis von Wissenschaft und Journalismus und dem zweifelhaften Renommee öffentlicher Prominenz in der wissenschaftlichen community geschuldet (Klimmt und Sowka 2013). Hinzu kommt das Risiko von ‚Shit Storms‘ durch die sozialen Netzwerke (Treibel 2018).
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