Zusammenfassung
Im (schulischen) Politikunterricht bestehen Vorbehalte bzw. Berührungsängste gegenüber der politischen Theorie, die sich aus drei Vorurteilen speisen: a) Politische Ideen seien abstrakt und wirklichkeitsfern und deshalb schwer in den Horizont der Schülerinnen und Schüler zu rücken; b) die Erarbeitung politischer Ideen sei notwendig textlastig und überfordere aufgrund der hohen Abstraktheit die (Mehrzahl der) Schülerinnen und Schüler; c) aus diesen Gründen seien Motivation und Aktivierung aufseiten der Schülerschaft bei Themen aus der Politischen Theorie gering. Der Aufsatz zeigt am Beispiel eines didaktischen Arrangements zu John Rawls’ Gerechtigkeitstheorie, wie politische Ideen textfrei unterrichtet werden können: im Dreischritt einer Evokation, Explikation und Reflexion der moralisch-politischen Intuitionen, die in unseren Alltagsurteilen immer schon wirksam sind.
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Notes
- 1.
Rawls vertrat zunächst einen auf Kant zurückgehenden Ansatz mit dem Anspruch, seine Gerechtigkeitsprinzipien könnte universalistische Geltung beanspruchen (Rawls 1998). In Reaktion auf die kommunitaristische Kritik seiner Theorie nahm er diesen universalistischen Anspruch in seinen späteren Schriften zugunsten der moderateren Auffassung zurück, seine Theorie repräsentiere die Gerechtigkeitsidee westlich-pluralistischer Gesellschaften (Rawls 1993a, b).
- 2.
Rawls nimmt an, dass die Personen im sog. Urzustand hinter dem Schleier des Nichtwissens wechselseitig desinteressiert sind. Er will damit „Neid“ ausschließen, „durch den die Menschen im allgemeinen schlechter dastehen“ (Rawls 1998, S. 168).
- 3.
Im Rahmen der didaktischen Reduktion bietet es sich an, zunächst den Kontrast zwischen dem ersten Gerechtigkeitsgrundsatz (gleiche Verteilung der Freiheitsrechte) und dem Differenzprinzip (sozioökonomische Ungleichverteilung, sofern die am schlechtesten Gestellten davon absolut profitieren) zu akzentuieren. Die Differenzierung innerhalb des zweiten Gerechtigkeitsgrundsatzes zwischen fairer Chancengleichheit und Differenzprinzip kann zu einem späteren Zeitpunkt erarbeitet werden.
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Weber-Stein, F. (2018). Textfreies Unterrichten politischer Ideen. Didaktische Reflexionen und unterrichtspraktische Implikationen am Beispiel der Gerechtigkeitstheorie von John Rawls. In: Juchler, I. (eds) Politische Ideen und politische Bildung. Politische Bildung. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-20846-2_4
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