Zusammenfassung
Rainer Werner Fassbinders Filmschaffen ist von einem Verständnis von Film als Handeln, als Aktion sowie als Unterhaltung gekennzeichnet, wobei dieses Handeln von einer Suchbewegung in Hinblick auf ein kritisches Intervenieren in seiner Gegenwart gekennzeichnet war. Wichtiges Element seiner Filme sind jene Projektionen bezüglich des oder der Anderen bzw. Ausgeschlossenen, über die wir in Kontakt mit anderen treten bzw. uns als Gruppen zusammenschließen. Der Aufsatz untersucht Fassbinders Filmschaffen seit den späten 1960er Jahren. Seine Filme werden in einem historischen und sozialen Kontext diskutiert, der von folgender Veränderung gekennzeichnet ist. War die Moderne von einem Ausschließen, Niederhalten und Kontrollieren von Differenz jenseits einiger weniger privilegierter wie die Nation (oder das Proletariat im Realsozialismus) gekennzeichnet sowie von einer Dominanz der Institution der bürgerlich, patriarchalen Familie, so wurde dies unter anderem mit den Vorgängen der Studentenbewegung von einer neuen Politik der Differenz abgelöst, die mit einem Markt der Differenz verschränkt auftritt. Fassbinders Filme erscheinen an diesem Übergang platziert und sind zugleich in diesen involviert. Sie sind demnach selbst von einem Hunger nach dem oder der Anderen gekennzeichnet, stellen diesen aber auch mit zur Disposition. Fassbinders Filme werden als Teil einer breiteren Neuausrichtung des Kinos hin auf eine stärkere Präsenz des Anderen nach 1968 hin diskutiert. Zugleich wird herausgearbeitet, mit welchen (ästhetischen) Mitteln diese Filme versuchen, eine (weitere, andere) Differenz zu setzen.
Abstract
Rainer Werner Fassbinder understands film as action and entertainment that makes an intervention into the very imaginations and projections vis-à-vis the social other, which unite us as groups. The article shows that his films are characterized by strong ambivalences: they are driven by a hunger for the other – to become another in order to position oneself – and yet they also put this hunger up for discussion. Besides, they also affirm a tendency toward the internalization of ambivalence and conflict-resolution. Furthermore, a special focus of the article is on the role the cinema performs in a transitional period from the 1960s to the 1980s: between a modernist strong monitoring and even control of difference and a post-modern emphatic rediscovery and celebration of difference.
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Schober, A. (2018). Die „Gastarbeiterfilme“ von Rainer Werner Fassbinder. In: Geimer, A., Heinze, C., Winter, R. (eds) Die Herausforderungen des Films. Film und Bewegtbild in Kultur und Gesellschaft. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-18352-3_10
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