Zusammenfassung
Der Beitrag geht exemplarisch der Frage nach, welchen substantiellen Beitrag die Philosophie zum Verständnis des Geldes leisten kann, der sich einerseits nicht in kulturkritischen Invektiven erschöpft, und der andererseits über die Ergebnisse von Einzelwissenschaften hinausgeht. Einstellungen der antiken Philosophie zum Geld, die durch mehrfache Frontstellung gegen das Geld charakterisiert sind, so argumentiert Hetzel, finden ihr Echo in einer ganzen Reihe von Versuchen, den Wahrheitsbezug der Philosophie von ökonomischen Nützlichkeitserwägungen nicht nur zu trennen, sondern Geldwert und Wahrheitsgeltung als ein Verhältnis wechselseitigen Ausschlusses zu denken. Bei Aristoteles ist Geld nur ein Mittel für andere Zwecke und deswegen können nur Lust, Ehre und Wahrheit als Endziele des Menschen aufgefasst werden, nicht aber das Streben nach einem bloßen Mittel. Geld verfüge bei Aristoteles jedoch über die Kraft, alle anderen Güter in Mittel zur Vermehrung des Geldes zu verwandeln und damit zu entsubstantialisieren. Die Philosophie der Neuzeit schließe sich der antiken Skepsis in Bezug auf das Geld an, so Hetzel. Von Jean-Jacques Rousseau bis Karl Marx und Friedrich Nietzsche wird dabei immer wieder die Tendenz des Geldes kritisiert, sich in alle Selbst- und Weltverhältnisse einzuschreiben, alle Wahrheiten und Werte zu entwerten. Georg Simmels Philosophie des Geldes als Medientheorie nutzt methodisch die von Marx propagierte Verwechslung und Vertauschung aller Dinge, für die Geld verantwortlich gemacht wird. In einem zweiten Abschnitt setzt sich Hetzel dann mit jenen Theorien auseinander, die nicht bereit sind, der Diagnose von Marx und Simmel zu folgen und stellt dabei die Theorie von Marcel Mauss zur Gabe, die gerade nicht mit der Forderung einer Bezahlung oder Gegengabe einhergeht, in den Mittelpunkt. In Jacques Derridas Mauss-Rezeption bleibt die Gabe im Rahmen der Ökonomie auf die Möglichkeit einer Gegengabe bezogen. Wir sind, so Derridas Beobachtung, immer schon eingelassen in eine wirtschaftliche, libidinöse und semiotische Gabenökonomie, in einen geldförmigen Zyklus des Gebens und Empfangens. Der Beitrag endet mit der Forderung nach einer kritischen Sozialphilosophie, die nicht vorschnell ein Bild universeller und irreversibler Monetarisierung unserer Weltverhältnisse zeichnet.
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Notes
- 1.
Hierzu wie zur Geschichte des Verhältnisses von Geld und Wahrheit insgesamt vgl. Hénaff (2009).
- 2.
Überboten werden diese Gründungslegenden noch durch die Erzählungen über die Kyniker, die in ihrem Streben nach Autarkie nicht nur jeden materiellen Besitz ablehnen, sondern sich auch den Kämpfen um gesellschaftliche Anerkennung konsequent verweigern.
- 3.
- 4.
Vgl. Schulak und Unterköfler (2009).
- 5.
Vgl. Saussure (2013).
- 6.
„Die Philosophie des Geldes ist eine Medientheorie“ (Böhringer 1993, S. 121).
- 7.
Simmel schließt sich hier an die Terminologie Ernst Cassirers an. Vgl. Cassirer (1910).
- 8.
Überboten wird diese von Simmel diagnostizierte Substanzlosigkeit noch von der bargeldlosen Wirtschaft unserer Tage, die sich auf einer Mikroebene etwa im Siegeszug der Geldkarten, auf einer Makroebene in der zunehmenden Virtualisierung der Finanzströme, welche um unseren Globus zirkulieren, ausdrückt.
- 9.
Vgl. Simmel (1995b).
- 10.
Vgl. Cassirer (1994).
- 11.
- 12.
Den Begriff einer Anökonomie verwende ich im Anschluss an Bataille (1985). Batailles Anökonomie (oder auch „allgemeine“ Ökonomie) bezieht sich im Gegensatz zur Ökonomik der herkömmlichen Wirtschaftswissenschaften, welche die Kapitalakkumulation und die produktive Nutzung von Ressourcen normativ auszeichnen, zustimmend auf gabenanaloge Praktiken der „Verschwendung“ und „unproduktiven Verausgabung“, die ihm als Formen einer souveränen, nicht länger den Prinzipien der Selbsterhaltung und der Nützlichkeit verpflichteten Existenz gelten.
- 13.
Vgl. Brandom (2000, S. 272 f.).
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Hetzel, A. (2017). Von Mitteln, Medien und Gaben: Moderne Philosophien des Geldes. In: Peters, S. (eds) Geld. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-15061-7_7
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