Zusammenfassung
Die Rede von „technischen Assistenten“ in der stationären Pflege hat derzeit Konjunktur in wissenschaftlichen und öffentlichen Debatten. Hierbei zeigt sich jedoch in vielen Fällen, dass der Sammelbegriff der ‚assistierenden‘ Technologien wenig zielführend ist. Vor diesem Hintergrund plädieren die Autorinnen in diesem Beitrag dafür, die Metapher der ‚Assistenz‘ für soziotechnische Systeme zu reflektieren und auf ihre Relevanz hin zu überprüfen. Denn um „assistierende“ Funktionen auszuweisen, muss gleichzeitig auch die Nutzung eines Bezugsrahmens offengelegt werden. Nur so kann der funktionale Charakter der technischen Assistenzsysteme ausgewiesen werden. Diese These wird im vorliegenden Beitrag ausgelotet und auf Basis einer empirischen Studie in der stationären Pflege von Menschen mit Demenz kritisch diskutiert.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Similar content being viewed by others
Notes
- 1.
Die Geschichte der Professionalisierung der Krankenpflege ist aufschlussreich und wird erst seit einigen Jahrzehnten wissenschaftlich aufgearbeitet. Bemerkenswert erscheint hierbei aus der Perspektive professionssoziologischer und sozialhistorischer Forschungen, dass sich der Profession der Krankenschwester historisch von einem hohen Grad der Selbstständigkeit zu einem hohen Grad der Assistenz im Hinblick auf die benachbarte Profession der Medizin entwickelt hat. Dieser Wandel wird vor der Perspektive neuer Formen der Arbeitsteilung diskutiert, die zu negativ konnotierter Geschlechterkonstruktionen in der Krankenpflege geführt hat (Wetterer 1993, 2002).
- 2.
Nicht nur in der Pflege, sondern auch im medizinisch-technischen Bereich haben sich in den letzten Jahrzehnten so genannte medizinische Assistenzberufe entwickelt wie beispielsweise anästhesietechnischer Assistent, chirurgisch-technischer Assistent oder medizinischer Fachangestellter (Manzei und Schmiede 2014).
- 3.
Die genaue historische Rekonstruktion des Einsatzes von Robodoc (und CASPAR) in Deutschland, die Unfälle und Streitfälle mit dieser Technologie, die aufgebrachte Darstellung und Diskussionen in den Massenmedien und die technische und kulturelle Umwidmung der Roboter in assistierende (operierende) Technologien wird von Caetano da Rosa (2013) in sehr eindrucksvoller Weise aufgearbeitet. Was in der Aufarbeitung des Falles signifikant zutage tritt, war die Unmöglichkeit, einen Konsens/Dissens zwischen den Akteuren (Kontrahenten, Beteiligte) über den Einsatz der Roboter herzustellen. Trotz der Unfälle mit teils sehr schwerwiegenden Folgen für die Patienten, hielten die Ingenieure an dem Potenzial dieser Technologie für die Medizin fest.
- 4.
Im Gegensatz zu angelsächsischen Ländern haben in Deutschland Professionalisierungs- und Qualifizierungsbestrebungen in der Pflege vergleichsweise spät eingesetzt. Die Rolle von Technologien wird hierbei unterschiedlich einschätzt: einerseits ist Pflegearbeit mit dem Nutzen technischer Apparaturen und Hilfsmittel intensiv verbunden. Trends weiterer Technisierung werden vielfach als Professionalisierungsschübe der Pflege interpretiert. Andererseits betont die Bedienung technischer Apparaturen vielfach den assistierenden Charakter der Pflegenden vom medizinisch dominierten Pflegekontext und verhindert die „Herstellung beruflicher Autonomie in Bezug auf Tätigkeitsfelder“ (Hülsken-Giesler 2008, S. 16).
- 5.
Siehe hierzu https://www.wegweiseralterundtechnik.de.
- 6.
Bewegung wird als Intervention zur Aktivierung der Gehirnfunktion und zur Teilhabe am sozialen Leben empfohlen. So kommen die Autoren der S3-Leitlinie „Demenzen“ der DGN und DGPPN (2009) als psychosoziale Intervention zum Thema „Bewegungsförderung“ zu folgendem Schluss: „Regelmäßige körperliche Bewegung und ein aktives geistiges und soziales Leben sollte empfohlen werden.“ Bewegung kann damit als eine wirkungsvolle und nebenwirkungsarme Schlüsselkomponente bei der Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz angesehen werden. Mit ihr ist eine motorische, eine sensorische sowie eine soziale Aktivierung verbunden, die sich auf die subjektive Lebensqualität und den funktionellen Status der Menschen mit Demenz auswirkt und dazu beiträgt, Stürze, Kontrakturen sowie Dekubitus zu verhindern. So können bestehende Ressourcen so lange wie möglich erhalten und eine hohe Pflegeintensität kann hinausgezögert werden.
- 7.
Dank eines integrierten Computers „achtet“ der vom Fraunhofer IPA entwickelte autonome Pflegewagen darauf, dass alle Medikamente, Verbandszeug und Geräte, die auf der jeweiligen Route benötigt werden, an Bord sind. Er fährt auch autonom zu einem bestimmten Patienten, um ihm ein paar Tabletten oder eine frische Flasche Mineralwasser zu bringen.
Literatur
Blinkert, Baldo, und Thomas Klie. 2004. Solidarität in Gefahr: Pflegebereitschaft und Pflegebedarfsentwicklung im demografischen und sozialen Wandel; die „Kasseler Studie“. Hannover: Vincentz Verlag.
Caetano da Rosa, Catarina. 2013. Operationsroboter in Aktion Kontroverse Innovationen in der Medizintechnik. Bielefeld: transcript.
Decker, Michael. 2015. Robotik. In Handbuch Bioethik, Hrsg. Dieter Sturma und Bert Heinrichs, 373–378. Stuttgart: Metzler.
Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN); Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN), Hrsg. 2009. S3-Leitlinie „Demenzen“. S. 91. Kurzversion.: www.dgppn.de/fileadmin/user_upload/_medien/download/pdf/kurzversion-leitlinien/s3-leitlinie-demenz-kf.pdf. Letzter Zugegriffen: 09. Febr. 2015.
Eglash, Ron. 2001. Broken metaphor. The master-slave analogy in technical literature. Technology and Culture 48:360–369.
Elsbernd, Astrid, Sonja Lehmeyer, und Ulrike Schillingen. 2015. Pflege und Technik – Herausforderungen an ein interdisziplinäres Forschungsfeld. Pflege & Gesellschaft 20 (1): 67–76.
Flick, Uwe. 2010. Qualitative Sozialforschung. Eine Einführung. Berlin: Rowohlt.
Glaser, Barney G. 2007. All is data. The Grounded Theory Review 6 (2): 1–22.
Grunwald, Armin. 2015. Auf der Suche nach Orientierung: Technikzukünfte als interdisziplinärer Forschungs- und Reflexionsgegenstand. In Das Recht vor den Herausforderungen der modernen Technik, Bd. 4, Hrsg. Eric Hilgendorf, 41–61., Beiträge der 1. Würzburger Tagung zum Technikrecht im November 2013. Robotik und Recht Baden-Baden: Nomos.
Hielscher, Volker, Sabine Kirchen-Peters, und Christine Sowinski. 2015. Technologisierung der Pflegearbeit? Wissenschaftlicher Diskurs und Praxisentwicklungen in der stationären und ambulanten Langzeitpflege. Pflege & Gesellschaft 20 (1): 5–19.
Hülsken-Giesler, Manfred. 2007. Pflege und Technik – Annäherung an ein spannungsreiches Verhältnis. Zum gegenwärtigen Stand der internationalen Diskussion. Teil 2. Pflege 20 (2): 103–112.
Hülsken-Giesler, Manfred. 2008. Der Zugang zum Anderen. Zur theoretischen Rekonstruktion von Professionalisierungsstrategien pflegerischen Handelns im Spannungsfeld von Mimesis und Maschinenlogik. Osnabrück: V&R unipress.
Hülsken-Giesler, Manfred, und Krings Bettina-Johanna. 2015. Technik und Pflege in einer Gesellschaft des langen Lebens – Einführung in den Schwerpunkt. Technikfolgenabschätzung – Theorie und Praxis 24 (2): 4–10.
IEGUS, und VDI/VDE. 2013. Unterstützung Pflegebedürftiger durch technische Assistenzsysteme. Abschlussbericht der Studie.
Latour, Bruno. 1988. Mixing humans and nonhumans together: The sociology of a door-closer. Social Problems 35 (3): 298–310.
Lüders, Christian. 2003. Teilnehmende Beobachtung. In Hauptbegriffe Qualitativer Sozialforschung, Hrsg. Ralf Bohnsack, Winfried G. Marotzki, und Michael Meuser, 151–153. Opladen: Budrich.
Maia, Maria Joao, und Bettina-Johanna Krings. 2015. Robots in surgery: Transformation of work in the operation room. In Practices of innovation and responsibility: Insights from methods, governance and action, Hrsg. Diana Bowman, Anne Dijkstra, Camillo Fautz, Julia Guivant, Kornelia Konrad, Harro van Lente, und Silvia Woll, 111–128. Amsterdam: IOS Press.
Manzei, Alexandra, und Rudi Schmiede, Hrsg. 2014. 20 Jahre Wettbewerb im Gesundheitswesen. Theoretische und empirische Analysen zur Ökonomisierung von Medizin und Pflege. Wiesbaden: Springer.
Nolte, Karen. 2011. Pflegende und ihre Kranken im 19. Jahrhundert. In Who cares? Geschichte und Alltag der Krankenpflege, Hrsg. Isabel Atzl, 33–42. Frankfurt a. M.: Marbuse Verlag.
Nolte, Karen, und Susanne Kreutzer. 2010. Seelsorgerin „im Kleinen“ Krankenseelsorge durch Diakonissen im 19. und 20. Jahrhundert. Zeitschrift für medizinische Ethik 56:45–56.
Pfeifer, Rolf, und Christian Scheier. 1999. Understanding Intelligence. Cambridge: MIT Press.
Pfeiffer, Sabine. 2004. Arbeitsvermögen. Ein Schlüssel zur Analyse (reflexiver) Informatisierung. Wiesbaden: VS Verlag.
Rammert, Werner. 2003. Technik in Aktion. Verteiltes Handeln in sozio-technischen Konstellationen. In Autonome Maschinen – Perspektiven einer neuen Technikgeneration, Hrsg. Thomas Christaller und Josef Wehner, 289–315. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.
Rammert, Werner, und Ingo Schulz-Schaeffer, Hrsg. 2002. Können Maschinen handeln? Soziologische Beiträge zum Verhältnis von Mensch und Technik. Frankfurt a. M.: Campus.
Royal Commission on Long Term Care. 1999. With Respect to Old Age: Long Term Care – Rights and Responsibilities. TSO – The Stationery Office.
Siota, Rajiv, und Chris Simpson. 2008. Applying telecare in Dementia: What Psychiatrists need to know. Advances in Psychiatric Treatment 14:382–388.
Speich, John E., und Jacob Rosen. 2004. Medical Robots. In Encyclopedia of Biomaterials and Biomedical Engineering, Hrsg. Gary Wnek und Gary Bowlin, 983–993. New York: Marvel Dekker.
Stewart, David W., und Prem N. Shamdasani. 1990. Focus groups: Theory and practice. London: Sage.
Wetterer, Angelika. 1993. Professionalisierung und Geschlechterhierarchie Vom kollektiven Frauenausschluss zur Integration mit beschränkten Möglichkeiten, Bd. 3., Wissenschaft ist Frauensache Kassel: Jenior.
Wetterer, Angelika. 2002. Arbeitsteilung und Geschlechterkonstruktion – „Gender at Work“ in theoretischer und historischer Perspektive. Konstanz: UVK.
Woolgar, Steve. 1985. Why not a sociology of machines? The case of sociology and Artificial Intelligence. Sociology 19 (4): 557–572.
Zentrum für interdisziplinäre Frauenforschung (ZiF) der Humboldt-Universität Berlin. Hrsg. 1998. Chancenstrukturen weiblicher Erwerbsarbeit. Berlin: ZiF-Bulletin 16.
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Editor information
Editors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 2017 Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH
About this chapter
Cite this chapter
Krings, BJ., Weinberger, N. (2017). Kann es technische Assistenten in der Pflege geben? Überlegungen zum Begriff der Assistenz in Pflegekontexten. In: Biniok, P., Lettkemann, E. (eds) Assistive Gesellschaft. Öffentliche Wissenschaft und gesellschaftlicher Wandel. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-13720-5_9
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-13720-5_9
Published:
Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-658-13719-9
Online ISBN: 978-3-658-13720-5
eBook Packages: Social Science and Law (German Language)