Zusammenfassung
Im Jahr 2010 ist nach der Veröffentlichung der Missbrauchsfälle am Berliner Canisiuskolleg des Jesuitenordens enormer öffentlicher Druck auf alle konfessionellen und nicht-konfessionellen Internate entstanden, sich der eigenen Geschichte zu stellen. In aller Regel erfolgte dieser Schritt nicht aus eigener Einsicht, sondern wurde von ehemaligen Schülern erzwungen. Viele von ihnen wollten sich nicht mit finanziellen Kompensationen zufrieden geben, sondern ihnen war es wichtig, dass die in ihnen – teilweise dramatisch – fortwirkenden Grenzüberschreitungen von Patres, Präfekten und Lehrern benannt werden und den Opfern eine Stimme gegeben wird. Wenn man dieses Anliegen ernst nimmt, dann stellen sich die Fragen, in wessen Auftrag eine wissenschaftliche Studie auf den Weg gebracht und in welchem Selbstverständnis dieser Auftrag fachlich bearbeitet wird.
Dieser Text geht auf gemeinsame Diskussionen mit Wolfgang Gmür und Peter Mosser zurück, mit denen gemeinsam auch die beiden Studien durchgeführt wurden, auf die dieser Text Bezug nimmt.
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Notes
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Hier gründete sich kein Opferverein, aber es bildete sich eine Gruppe, die sich für die Belange der Opfer einsetzte, was u. a. auch durch die Einrichtung eines Internetforums unterstützt wurde.
- 2.
In beiden Begleitgruppen waren ehemalige Schüler, die sich selbst als Opfer bzw. als Nicht-Opfer ansehen.
- 3.
Bisher wurde weder in Kloster Ettal noch im Stift Kremsmünster ein Mahnmal realisiert.
- 4.
Fast alle von uns interviewten Mönche sind Priester und daher Patres. Mönche ohne Priesterweihe werden bei den Benediktinern als Fratres bezeichnet.
- 5.
Im Rahmen der Berichterstattung im Vorfeld der Gerichtsverhandlung eines ehemaligen Paters.
- 6.
Auf die Interviewanfrage an den ehemaligen Pater, der aufgrund der juristischen Ermittlungen aus dem Konvent des Klosters Kremsmünster ausgeschieden ist, erhielten wir keine Antwort.
- 7.
(E): von 12 interviewten Patres 5; (K) von 15 Patres 14.
- 8.
Neben vielen Berichten in den Tageszeitungen sowie Rundfunk und Fernsehen hat für Ettal vor allem das Buch von Obermayer und Stadler (2011) eine enorme Bedeutung. Für Kremsmünster waren vor allem Titelgeschichten in dem österreichischen Wochenmagazin „Profil“ wichtig (Heft 12/2012 und 23/2012).
- 9.
Den Abwehrprozess der „Derealisierung“ haben Alexander und Margarete Mitscherlich (1967) in Ihrem Klassiker zum Verhältnis vieler Deutscher zur NS-Geschichte beschrieben.
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Hackenschmied, G., Keupp, H., Straus, F. (2016). Wissenschaftliche Rekonstruktion sexualisierter Gewalt als Aufgabe reflexiver Sozialpsychologie: Am Beispiel zweier Benediktiner-Internate. In: Helfferich, C., Kavemann, B., Kindler, H. (eds) Forschungsmanual Gewalt. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-06294-1_9
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