Zusammenfassung
Die Bedeutung der Freiwilligendienste in Deutschland ist in den vergangenen Jahren deutlich gewachsen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach der Bildungsrelevanz vor allem in den Jugendfreiwilligendiensten neu. Der Beitrag entfaltet das Potenzial an dort stattfindenden Bildungsprozessen aus mehreren Perspektiven. Dabei werden zunächst typologisch die Motive für die Aufnahme eines Jugendfreiwilligendienstes herausgearbeitet; in einem zweiten Schritt werden Kennzeichen des Lernens in Freiwilligendiensten im Kontrast zu schulischem Lernen beschrieben. Schließlich wird geklärt, welche empirisch erkennbaren Ergebnisse das Lernen in Jugendfreiwilligendiensten hat und welche Forschungslücken hier noch bestehen. Ein Ausblick befasst sich mit der ambivalenten Rolle der Freiwilligendienste zwischen Lerndiensten und ihrer Indienstnahme als Reservoir kostengünstiger Arbeitskräfte.
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Notes
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Wie stark dies im Kontrast zu früheren Erwartungen steht, mag ein Zitat von 1992 zeigen, das hypothetisch formulierte, es würde „niemand in seinen kühnsten Träumen damit rechnen, dass bei einer Abschaffung der Wehrpflicht und einer gleichzeitigen breiten Förderung des freiwilligen Engagements (…) auch nur annähernd jene zahlenmäßigen Größenordnungen zu erreichen wären wie derzeit im Zivildienst“ (Rauschenbach 1992, S. 257). Allerdings ist zu beachten, dass es im Jahre 1991, ausgelöst durch den Golfkrieg, mehr als 150.000 Antragsteller auf Kriegsdienstverweigerung gab (Beher et al. 2002, S. 102) – und dass beispielsweise im aktuell letzten verfügbaren Erhebungsmonat des Bundesfreiwilligendienstes von zusammen fast 49.000 Bundesfreiwilligendienstleistenden mehr als 40 % älter als 27 Jahre alt waren (Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben; Stand: 30.12.2013).
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Ein Teil dieses scholarisierten Lernens kann innerhalb der Freiwilligendienste beispielsweise bei den in Kursform organisierten 25 Seminartagen stattfinden, die im Freiwilligen Sozialen Jahr und im Freiwilligen Ökologischen Jahr obligatorisch sind und ähnlich im Bundesfreiwilligendienst vorgesehen sind. Insbesondere für Seminare, die von Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Bundesfreiwilligendienstes an ehemaligen Zivildienstschulen besucht werden, wird ein stark scholarisiertes Lernen berichtet, das den Aspekt der Freiwilligkeit der Teilnehmerinnen und Teilnehmern nicht berücksichtige (Jakob 2013, S. 18; Anheier et al. 2012, S. 17).
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Der jahrzehntelangen Debatte um Pflichtdienste haben Ulrich Beck und Daniel Cohn-Bendit im Jahr 2012 eine neue Volte hinzugefügt: Ihr Plädoyer für ein „Freiwilliges Jahr für alle Europäer“ (www.manifest-europa.de) zielte zwar auf die Stärkung bürgerschaftlichen Engagements in Abgrenzung zu einem behaupteten „Europa der Eliten und Technokraten“. Doch wer die Teilnahme aller Europäer an einem solchen Programm anstrebt, wie Beck und Cohn-Bendit dies tun, hat bereits einen erheblichen Weg von der Freiwilligkeit zum Zwang zurückgelegt: Je „universeller“ der Anspruch und die Gültigkeit eines solchen Modells sind, umso weniger Spielraum bleibt für individuelle, mithin freie Entscheidungen.
Literatur
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Rauschenbach, T. (2015). Bildung in Jugendfreiwilligendiensten. In: Bibisidis, T., Eichhorn, J., Klein, A., Perabo, C., Rindt, S. (eds) Zivil - Gesellschaft - Staat. Bürgergesellschaft und Demokratie, vol 44. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-05564-6_17
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