Zusammenfassung
Verkehrspolitik ist die Folge der Aktivitäten einer Vielzahl von Akteuren und Organisationen. Ziel dieses Artikels ist es aufzuzeigen, dass diese verschiedenen Akteure zum Teil sehr unterschiedliche Orientierungen und Zielsetzungen haben. Anders formuliert: Sie handeln nach unterschiedlichen Rationalitäten. Aus neo-institutionalistischer Perspektive zeigt der Artikel am Beispiel von Forschungsförderung, dass Verkehrspolitik nur verstanden werden kann, wenn man sie als das Ergebnis des Zusammen- (oder auch Gegeneinander-) wirkens dieser unterschiedlichen Rationalitäten versteht und analysiert.
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Notes
- 1.
Rationalität wird hier im Sinne Webers gebraucht. Auch wenn – oder gerade weil – die Frage nach der Rationalität bzw. den Rationalitäten westlicher Gesellschaft eine der zentralen Fragen seiner Forschung darstellt (Weber 1979 [1920]: 9 ff.), finden sich bei ihm sehr unterschiedliche Sichtweisen auf das Phänomen (z. B. Weber 1976 [1921]: 12 f.). Hier wird es in einem sehr allgemeinen Sinne verstanden als Ordnung, Systematisierung und Bewertung nach von Menschen selbst gesetzten Kriterien (vgl. Kaesler 2000: 198 f.).
- 2.
Die primäre Datenquelle sind leitfadengestützte Experteninterviews, die zwischen 2004 und 2006 von mir durchgeführt wurden. Zitate daraus werden in anonymisierter Form wiedergegeben. Nach jedem Zitat ist jeweils angegeben, in welchem Bereich (Unternehmen, Fördereinrichtung, Forschungsinstitut) die zitierte Person tätig ist.
- 3.
Institutionelle Umwelten wurden ursprünglich von technischen Umwelten unterschieden. Diese Unterscheidung ist nicht unumstritten, und es ist fraglich, ob Organisationen in technischen Umwelten nicht auch bestimmten Erwartungen gerecht werden müssen, damit ihr Handeln als legitim angesehen wird (vgl. Scott 1992). In neueren Veröffentlichungen wird die Trennung zwischen technischen und institutionellen Umwelten daher als eine analytische beschrieben (vgl. Walgenbach 2002: 328).
- 4.
Als legitim wird eine Organisation dann betrachtet, wenn ihre Ziele, Strukturen und Verfahren nicht in Frage gestellt werden und als sinnvoll und wichtig anerkannt sind.
- 5.
Der damalige Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn, Heinz Dürr, wird mit den Worten zitiert, aus der Sicht der Bahn sprächen die Fakten gegen den Transrapid. Sie würden aber mitmachen, weil die Bundesregierung Industriepolitik wolle (vgl. Kirchner und Weyer 1997: 259).
- 6.
Aus der Innovationsforschung ist dieses Modell als „Coopetition“ bekannt (vgl. Garud et al. 2002).
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Meyer, U. (2014). Forschungsförderung, Verkehrspolitik und Legitimität: Die Folgen heterogener Rationalitäten in politischen Prozessen. In: Canzler, W., Knie, A., Schwedes, O. (eds) Handbuch Verkehrspolitik. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-04777-1_27-1
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