Zusammenfassung
Die zentrale und Grenzen gebende Aufgabe der Soziologie besteht in der Analyse der Gesellschaft. Trotz aller positivistischen Verführungen, dieses Geschäft als die von jedem Vorurteil bereinigte neutrale Bestandsaufnahme nackter Fakten zu verstehen, ist die Soziologie dabei selbst Teil der Gesellschaft, selbst gesellschaftliches Phänomen. Und so wie die Soziologie in der Gesellschaft wieder vorkommt, der gegenüber sie gleichwohl einen Abstand der Beobachtung zu institutionalisieren versuchen muss, so ist die Soziologie auf zweifache Weise mit der Sinndimension der Zeichen befasst. Sie analysiert soziale Verhältnisse und soziale Entwicklungen immer als solche, die sich im Medium des „Sinns“ bewegen, d. h. in der Dimension der fundamentalen Relation zwischen etwas, das für etwas anderes „steht“, das in diesem Sinne „Sinn“ hat. Die Mehrstelligkeit der Zeichenrelation erschöpft sich dabei keineswegs in der einfachen Beziehung zwischen Signifikant und Signifikat, weil es erstens aufgrund der Arbitrarität der Zeichen eine wenigstens vorläufig und halbwegs stabilisierende Gesamtheit selektiver Beziehungen zwischen Gruppen generalisierter Zeichen (paradigmatische Dimension) und von Verkettungs- bzw. Verwendungskonventionen (syntagmatische Dimension) geben muss, und weil es zweitens eine intern und extern sozial differenzierte Konstellation zwischen unterschiedlichen Trägergruppen der entsprechenden Konventionen geben muss, die in ihren Zeicheninterpretationen und in ihren Routinen der Bezugnahme von Zeichen auf Bezeichnetes hinreichend übereinstimmen müssen (und zugleich hinreichend differieren müssen, soweit das Faktum der Notwendigkeit der Kommunikation die unhintergehbare Unsicherheit der Zeichenbedeutung belegt).
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Notes
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Und dieses Verständnis einer Analyse, die ohne die Vorstruktur des Verstehens (Gadamer 1975) soll auskommen können, ist eben selbst bereits ein Vorverständnis, dass sich von der hermeneutischen Selbstauslegung der Soziologie nur durch die Verdrängung der Vorausgelegtheit des Gegenstandsbezugs auf der Grundlage einer langen Tradition szientistischer Gegenstandskonstitution unterscheidet.
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Wenn man denn vorläufig die semiotischen Grundlagen in den Begriffen de Saussures skizzieren will (de Saussure 1972).
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Renn, J. (2016). Die Lesbarkeit der sozialen Welt: Hans Blumenberg und die hermeneutische Situation der Soziologie. In: Ragutt, F., Zumhof, T. (eds) Hans Blumenberg: Pädagogische Lektüren. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-03477-1_9
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