Zusammenfassung
Seit den 1990er Jahren befinden sich soziale und insbesondere pflegebezogene Dienstleistungen in Deutschland unter einem anhaltend starken Ökonomisierungsdruck, der Strukturreformen im Bereich der Sozialversicherungen, der Finanzkrise öffentlicher Haushalte sowie der Zunahme pflegebedürftiger hochaltriger Menschen geschuldet ist (Stolz-Willig, Hauptsache billig? Prekarisierung der Arbeit in den Sozialen Berufen, S 7–10, 2011; Voges, Soziologie des höheren Lebensalters: Ein Studienbuch zur Gerontologie, 2008). Träger sozialer Dienste sind in Anbetracht ökonomischer Zwänge zunehmend darauf angewiesen, einen Teil ihres Angebotsspektrums durch Ehrenamtliche abzudecken (Notz, Ehrenamt und Erwerbsarbeit, S 70–81, 2006). Ehrenamtliches Engagement bezieht sich auf organisierte gemeinnützige Tätigkeiten, die Menschen freiwillig, unentgeltlich und verbindlich außerhalb ihres persönlich-familialen Kontexts ausüben (Mühlpfordt, Ehrenamt und Erwerbsarbeit, S 40–60, 2006; Wouters und Rosenkranz, Supervision 4:18–23, 2011). Es handelt sich dabei um Tätigkeiten, die auch als Erwerbsarbeit verrichtet werden könnten (Mösken et al., Arbeit 19(1):37–52, 2010). Sie können sowohl komplementär als auch zur Substituierung von Erwerbsarbeit genutzt werden (Keupp, Supervision 4:3–10, 2011; Notz, Ehrenamt und Erwerbsarbeit, S 70–81, 2006). Neue empirische Studien zur Erwerbsarbeit im Bereich sozialer Dienste verweisen auf zunehmend problematische Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen (Fuchs, Hauptsache billig? Prekarisierung der Arbeit in den sozialen Berufen, S 25–10, 2011). Hingegen besteht erheblicher Forschungsbedarf zur Qualität ehrenamtlicher Tätigkeiten aus arbeitswissenschaftlicher Perspektive: In Anbetracht der vielfältigen Tätigkeitsfelder ehrenamtlichen Engagements mangelt es an (vergleichend angelegten) arbeitswissenschaftlichen Studien, welche die Qualität dieser Tätigkeiten feldspezifisch differenzieren und unter Berücksichtigung ihrer organisatorischen Einbindung analysieren. Insbesondere zur gesundheitlichen Dimension ehrenamtlicher Tätigkeit in sozialen Diensten liegen kaum empirische Erkenntnisse vor.
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Notes
- 1.
Ehrenamtliches Engagement unterliegt gesellschaftlichen Veränderungsprozessen (Keupp 2011), in denen traditionelles ehrenamtliches Engagement, das durch Langfristigkeit, Altruismus, Pflichtethik und Opferbereitschaft geprägt ist, ergänzt wird durch neue, projektförmige Engagementformen, für die Handlungsmotive des Erfahrungsgewinns und der persönlichen Weiterentwicklung zentral sind (Schlaugat 2010). Die in diesem Beitrag untersuchte ehrenamtliche Tätigkeit entspricht annähernd der traditionellen Engagementform. Daher verwenden wir im Weiteren den Begriff des Ehrenamts.
- 2.
Die Betriebsfallstudie war eingebunden in das als Forschungs- und Entwicklungsprojekt angelegte und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte interdisziplinäre Verbundvorhaben COCKPIT: http://www.cockpit-projekt.de/.
- 3.
Zur Übersicht der Ressourcenmodelle im betrieblichen Kontext siehe Richter et al. (2011).
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Becke, G., Wehl, R., Wetjen, A. (2014). Überforderung im Ehrenamt sozialer Dienste: Gesundheitsförderung durch professionelle Koordination?. In: Bornewasser, M., Kriegesmann, B., Zülch, J. (eds) Dienstleistungen im Gesundheitssektor. Springer Gabler, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-02958-6_12
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